1896 war der Schwabtunnel ein städtebaulicher Geniestreich. Bis heute erleichtert er Menschen in Süd und West das Leben. Foto: Kathrin Wesely

Seit 120 Jahren leistet die Röhre zuverlässige Dienste und erleichtert den Menschen in Süd und West das Leben. 1896 war sie ein städtebaulicher Geniestreich, und im Zweiten Weltkrieg schützte sie die Stuttgarter vor den Bomben. Eine Hommage

S-West - Opa hat runden Geburtstag und keiner kommt zum Gratulieren. Das war bei seinem 100. noch ganz anders. Im Jahr 1996 hatte man die Eingänge des Schwabtunnels mit Fahnen zum Jubiläum dekoriert. Zwanzig Jahre später ist er noch immer rüstig, tut tagein, tagaus seinen Dienst – klaglos wie ein braves Muli. Nur dankt ihm das heute keiner. Die Leute beklagen die Abgase im Tunnel, den Lärm, den Dreck. Fußgänger fühlen sich von Autos bedroht, Radler fordern gleiche Rechte, und mancher möchte den motorisierten Verkehr am liebsten ganz aus der Röhre verscheuchen.

Heslach wachgeküsst

Die Menschen haben vergessen, dass sie beim Schwabtunnel mit einer Hauptschlagader der Stadt zu tun haben. Insbesondere bruddelnden Heslachern scheint nicht klar zu sein, dass sie ohne die kurze Verbindung in den Westen noch heute ein Entwicklungsgebiet wären: Fortan, versprach Oberbürgermeister Emil von Rümelin bei der feierlichen Tunneleröffnung am 29. Juni 1896, seien die Heslacher „keine Stuttgarter zweiter Klasse“ mehr.

Bis dahin musste man nämlich die Karlshöhe umständlich umfahren oder den steilen Weg über die Karlshöhe nehmen, um in den Westen zu gelangen. Das einst verschnarchte Nest im schattigen Nesenbachtal wurde zum veritablen Stadtteil mit stetig wachsender Bevölkerung. Täglich passierten 4000 Menschen den Schwabtunnel, auch Fuhrwerke nahmen diesen Weg, wenig später dann die Trambahn. Die aller letzte Straßenbahn fuhr 1972 durch den Tunnel.

Die Eröffnungsfeier war ein großes Volksfest, zu dem 1600 Menschen drängten. „Tausende wollten den Eintritt gleichzeitig erzwingen, und nur das schneidige Vorgehen der (Ordnungs)Mannschaft, welche das Publikum in Gruppen teilte und dann paarweise zur Aufstellung zwang, ermöglichte eine ordnungsmäßige Lösung“, berichtete das Neue Tagblatt. Der Schwabtunnel war 1896 – als erster städtischer Straßentunnel im Deutschen Reich – eine bauliche Sensation, die man mit großzügigem Dekor zu würdigen verstand. So führen je zwei schmucke Treppenaufgänge zu beiden Seiten der Tunnelausgänge hinauf zur Karlshöhe. Am Westportal ist auf zwei Steinplatten der Name des Erbauers Karl Kölle verewigt. Durch seine Tunnelröhre, so wird kolportiert, tuckerte weltweit erstmals ein Automobil.

Singen unerwünscht

Die ersten Bruddler traten schon viel früher – kurz nach der Eröffnung – auf den Plan. Ein Leserbriefschreiber beklagte kurze Zeit nach der Eröffnung den Lärm, der nächstens aus der Röhre drang: „Das verehrte Publikum ist’s, das durch die Schallwirkung des Tunnels sich gedrungen fühlt, seine zweifelhafte musikalische Begabung durch überlautes Singen, welches sich am Sonntagabend zum wüstesten Brüllen steigerte, der Welt kund zu tun.“

Während der Bombardements im Zweiten Weltkrieg diente der Schwabtunnel als Luftschutzbunker. Anlässlich der 100-Jahr-Feier erinnerte sich eine Stuttgarterin, wie sie und ihre Familie dort Schutz suchte: „Da saßen wir jede Nacht mit 2000 anderen Stuttgartern im Tunnel.“

Trotz seiner treuen Dienste hat es im Jahr 2016 nicht gereicht für ein Geburtstagsgeschenk – keine flatternden Fahnen, kein neuer Anstrich, keine Feier. Aber es besteht Grund zu der Hoffnung, dass der Tunnel bis zum 125. Jubiläum einer Kur unterzogen wird, dass auch er im Zuge einer abschnittsweisen Verschönerung der Schwabstraße in den nächsten Jahren mit ein paar Maßnahmen bedacht wird.

Eine davon waberte vor einiger Zeit bereits durch den Bezirksbeirat: Die Stadtplaner vom Internationalen Stadtbauatelier in Stuttgart hatten mit der Idee aufgewartet, farbige Lichtbilder auf die Innenwände des Tunnels zu projizieren. Und der Kreisverband des alternativen Autoclubs VCD schlug vor, im Tunnel nur Tempo 30 zu erlauben und die hässlichen Betonschutzwände zwischen Gehweg und Fahrbahn abzureißen.