Beschauliche Freizeitvergnügen: Momentaufnahme von Johannes Haile Foto: Haile

Die Deutsche Botschaft in Äthiopien schickte Johannes Haile 1962 nach Deutschland, damit er Bilder vom Alltag und Wiederaufbau macht. In Ostdeutschland begegnete man dem jungen Fotografen nicht sehr herzlich.

Stuttgart - Woran erkannte man zu Zeiten der DDR den Unterschied zwischen Ost- und Westberlinern? An den Gesichtern. Ernst schauen die Ossis, sie scheinen vor der Kamera flüchten zu wollen, blicken misstrauisch zu dem jungen Mann, der die Passanten am Alex in den Fokus genommen hat. Der Fotograf Johannes Haile machte 1962 einen Tagesausflug nach Ostberlin, wo einige ihn warnten, dass das Fotografieren auf offener Straße gefährlich sei. Die meisten aber huschten schnell weiter, das Unbehagen ist ihnen anzusehen.

Es ist eine vergangene Welt, die Johannes Haile dokumentierte und die das Institut für Auslandsbeziehungen nun in ihrer Stuttgarter Galerie vorstellt. Haile war Mitte dreißig, als ihn die Deutsche Botschaft in Äthiopien nach Deutschland schickte, damit er dort den Alltag und den industriellen Wiederaufbau fotografiert. Der Äthiopier kam aus wohlhabendem Hause, studierte in den USA und arbeitete als Fotograf für die Vereinten Nationen. Die Auswahl, die die Kuratorin Meskerem Assegued nun unter dem Titel „Mit anderen Augen“ präsentiert, war zunächst im Ifa Berlin zu sehen, Haile hat die Schau noch selbst mit vorbereitet. Im April vergangenen Jahres starb er.

„Mit anderen Augen“ – das passt, denn mancher Fotografie sieht man das Erstaunen förmlich an, das die fremde Welt bei dem afrikanischen Fotografen ausgelöst haben muss. Sei es die Bäuerin mit Kopftuch beim Melken oder das Volksfest in einem bayrischen Wirtshaus, bei dem die Männer in Lederhosen beim Schuhplattler über den Tanzboden fegen. Sieben Wochen reiste Johannes Haile durch Deutschland, war in Berlin, im Ruhrgebiet, im VW-Werk in Wolfsburg oder im Alpenvorland, fotografierte Schüler, Land und Leute. In Rüdesheim lichtete er Souvenirläden und Touristenströme ab, im Kreis Helmstadt die Tristesse des Zonenrandbezirks.

Blick eines Fremden auf die deutsche Lebensart

Haile ist ein wacher Chronist, dabei aber weniger an einer künstlerischen Gestaltung interessiert. Die quadratischen Fotografien sind eher Dokumentationen als ausgetüftelte Kompositionen. Immer wieder sind Motive eigenwillig abgeschnitten oder fehlen zum Beispiel dem Bus die Räder. Dafür wirft dieser Querschnitt durch die deutsche Lebensart den Blick immer wieder auf Szenen, die nur dem Fremden auffallen – wie die Arbeiter und Angestellten, die in anonymer Masse zum Dienste eilen.

Weil zu einigen Fotografien leider Erklärungen fehlen, lassen sich nicht alle Motive der Ausstellung zuordnen, dabei ging es doch genau um konkrete Szenen und Situationen bei dieser Reise, die in die Idylle in den Bergen führte sowie in die nächtlich beleuchtete Metropole Berlin. Haile besuchte auch Arbeiter des Walzwerks Neu-Oberhausen und Kinder in einem Heidelberger Klassenzimmer. Er ging nah ran und schaute zu, wie VW-Käfer in der Montagehalle ihr Zubehör eingesetzt bekamen.

Die meisten Motive lieferte freilich das geteilte Berlin. Haile fotografierte Schutzpolizei und Checkpoint, die Blumen und Kränze für Peter Fechter, der 1962 an der Mauer starb. Die Ausstellung im Ifa erinnert auch noch einmal daran, wie zerstört die Stadt in den sechziger Jahren noch war – und die Bilder der Ruinen verhindern falsche Melancholie über die vermeintlich gute alte Zeit, in der Frauen die Haare mit viel handwerklichem Geschick zu Bienenkörben hoch toupierten oder auch noch Hut trugen. Im Berlin der sechziger Jahre trauerte man damals aber sehr wohl vergangenen Zeiten nach. Ein Schuhputzer, der mit seinem Straßenstand saubere Schuhe „auch für Damen“ verspricht, wirbt in jedem Fall mit einer guten Portion Nostalgie: „Ein Stück altes Berlin.“

Bis 9. April,
geöffnet Dienstag bis Sonntag 12 bis 18 Uhr, der Katalog kostet 15 Euro