33-Jähriger muss zehn Monate Haft nicht absitzen - Joggerin bei Sindelfingen überfahren.

Böblingen - Eine 66 Jahre alte Frau musste sterben, weil ein sportlicher Ingenieur auf dem Weg zur Arbeit viel zu schnell gefahren ist - mit dem Mountainbike. Ein einmaliger Fall, sagt ein Stuttgarter Staatsanwalt. Seine Anklagebehörde hatte jedenfalls noch keinen, bei dem "ein Radfahrer einen Fußgänger totgefahren hat".

Vor dem Amtsgericht Böblingern ist am Freitag der Prozess gegen den 33-jährigen Radfahrer zu Ende gegangen, der am 1. September 2009 auf einem Waldweg in Sindelfingen gegen eine Joggerin geprallt ist. Die 66-Jährige starb zwei Wochen später im Krankenhaus. Richter Michael Kirbach hat den Radler wegen fahrlässiger Tötung zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Sie ist zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem muss er 6000 Euro an den Verein Krebskranke Kinder bezahlen. Der Staatsanwalt hatte eine 15-monatige Bewährungsstrafe beantragt.

Der Entwicklungsingenieur aus Stuttgart kennt die Strecke gut, auf der es zu dem schweren Unfall gekommen ist. Zwei- bis dreimal die Woche radelt er nach eigenen Angaben zu seinem Arbeitsplatz in Sindelfingen, immer auf demselben Weg. Er führt ihn durch ein Waldgebiet im Norden der Daimlerstadt, das zwischen der Leonberger Straße und der Autobahn liegt. Dort geht es den steilen Stadthäulesweg hinunter, der in einen anderen Waldweg mündet. Hier waren die Joggerin und eine Freundin unterwegs, denen sich der Radler mit "wahnsinniger Geschwindigkeit", so der Staatsanwalt, genähert hat.

Bei dem Prozess ist viel um das Tempo gestritten worden, das der 33-Jährige draufhatte, als er etwa zehn Meter hinter der Frau die Vollbremsung begann. Mindestens 40 km/h, meinte der Sachverständige, deutlich mehr, so einer der Rechtsanwälte, die Ehemann und Sohn des Opfers vertraten. Der Entwicklungsingenieur hatte einen GPS-gesteuerten Fahrradcomputer, der als letzten Wert am Unfalltag 56 Stundenkilometer aufweist. Wegen eines Beweisantrags des Anwalts, der den Computer von einem Spezialisten der Herstellerfirma ausgewertet haben wollte, war die Verhandlung vor zwei Wochen unterbrochen worden. Doch für den Richter spielte "Tempo 40 oder 60" keine entscheidende Rolle. Fest steht nämlich, so Kirbach: "Er war viel zu schnell."

Der 33-Jährige hatte hinter den beiden Joggerinnen geklingelt. Die 66-Jährige lief in der Mitte des Waldwegs, ihre Freundin links daneben. Für den Radfahrer war auf dem schmalen, asphaltierten Weg rechts noch eine Lücke von 80 bis 100 Zentimetern. Hier wollte er durchbrausen, doch die Joggerin wich auf diese Seite aus. Sie wollte offenbar in der Mitte Platz machen. Hat sie den Unfall mitverursacht? Hätte sie beim Klingeln stehen bleiben und nach hinten sehen müssen, wie der Anwalt des Radlers behauptet? Nein, sagt der Richter und spricht das Opfer von jeder Mitschuld frei. Der Radfahrer hätte mit so einer Reaktion rechnen müssen. Zwischen Klingeln und Zusammenprall lagen nur wenige Sekunden.

Der Radler war an jenem Tag mit einem Kollegen auf dem Weg zur Arbeit. Der 38-Jährige fuhr einige Meter dahinter und konnte noch rechtzeitig anhalten. Ob sich die beiden Ingenieure ein Rennen geliefert haben, blieb ungeklärt.

Die Joggerin erlitt bei dem Unfall schwerste Verletzungen an Kopf und Körper. Arzte diagnostizierten unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma, Gehirnblutungen und mehrere Rippenbrüche. Gestorben ist sie aber an einer Lungenembolie. Ein Rechtsmediziner hat die Leiche obduziert. Der Tod der 66-Jährigen ist nach seiner Untersuchung die Folge des Unfalls. Dass sich Blutgerinnsel entwickeln, sei bei älteren Menschen eine häufige Komplikation. Es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Frau im Krankenhaus falsch behandelt worden wäre.

Der Staatsanwalt warf dem 33-Jährigen vor, kein "Wort der Reue" gefunden zu haben. "Er tut den Unfall als schicksalshaft ab", so ein Opferanwalt. Der Radfahrer, Vater eines einjährigen Kindes, sagte zum Schluss, dass kein Tag vergehe, an dem er nicht an den 1. September denke. "Ich bedauere meine Fehleinschätzung, die zu dem tragischen Unfall geführt hat."