Foto: Eppler

Nach Jahren der Pause hatte ich versucht, einen "Tatort" anzuschauen, aus Stuttgart.

Stuttgart - Es war einer der schönsten Apriltage, seit ich lebe, als ich nach Ostern die Neckarstraße entlangging. Es gab keinen Grund, in die Neckarstraße zu gehen, außer der Rohrzange. Nach Jahren der Pause hatte ich versucht, einen "Tatort" anzuschauen, die SWR-Folge aus Stuttgart. Im Film liegt der Chef der Wagenhallen am Nordbahnhof schon früh mit eingeschlagenem Schädel herum, weshalb eine Dame von der Spurensicherung den Zuschauer aufklärt, "dass eine Rohrzange in Anwendung war". Daraufhin sagt ein anderer Bulle, man müsse den Hausmeister fragen, ob was von seinem Werkzeug fehle. Spätestens nach diesem Beispiel großer Dialogkunst war klar, dass der "Tatort" auch nicht mit der Rohrzange zu retten war. Ich schaltete ab.

In der Neckarstraße gibt es ein schönes Geschäft für Eisen- und Stahlwaren. Am Gebäude stehen die Namen der Ladeninhaber: "Hummels Nachf. Gebr. Volland". Man sollte sich bei ihnen eine Rohrzange kaufen, mit ihr die Neckarstraße entlanggehen und sie im SWR-Gebäude mit besten Grüßen an den Herrn "Tatort"-Regisseur abgeben: Hier schenken wir Ihnen ein Produkt aus dem Hause Hummels Nachf. Gebr. Volland. Dann müssen Sie die Zuschauer nicht länger 90 Minuten mit lächerlichen Kunstmarkt-Tucken, Musikgeschäft-Zauseln und Pubertätsbullen langweilen, ehe Sie Ihre Rohrzange finden.

War in der Neckarstraße je etwas los?

Von dem irischen Dichter und Nobelpreisträger Samuel Beckett - er hat in den Achtzigern für den SDR gearbeitet - stammt der Vers: "Vergesst nicht beim Stuttgart-Besehen / die Neckarstraße zu gehen. / Vom Nichts ist an diesem Ort / der alte Glanz lange fort. / Und der Verdacht ist groß / hier war schon früher nichts los."

Ob nie was abging, weiß ich nicht. Habe nur gelesen, dass auf dem heutigen SWR-Gelände bis 1944 die Stadthalle stand. Ehe die Bomben fielen, hatten in diesem Haus für Sport und Musik 10.000 Besucher Platz.

In den siebziger Jahren saß ich in der Neckarstraße hie und da beim "Roten Dieter" im Hotel Köhler. Der Mann aus dem Milieu erzählte mir von den Catchern, die während ihrer Shows auf dem Wasen bei ihm logierten, und ich hatte den Eindruck, in der Neckarstraße war was los.

Von der Neckarstraße rauf zur Hackstraße. Von dort kann man den Gaskessel sehen. Ich weiß nicht, warum ich jedes Mal Grillgestank rieche, wenn ich den Gaskessel sehe. Der Gaskessel stinkt nicht. Es liegt an meiner Nase, ich mag den Grillsport nicht. Ich grille nie, habe aber einen Grund, damit anzufangen: Es gibt jetzt käufliche Brandeisen für Grillwürste. Jeder, der Western anschaut, weiß Bescheid über Brandeisen: Der Cowboy schnappt sich per Lasso eine Kuh, nimmt sein Eisen aus dem Feuer und tätowiert die Kuh mit dem Logo seines Ranchers. Hat danach ein Mann eine Kuh mit falschem Brandzeichen im Angebot, wird der Mann an einen Baum gehängt. Das sind die Regeln. Damit diese Dinge heute nicht mehr im Kampf um Teile der Kuh passieren, hat man das Grill-Brandeisen erfunden.

Gegrillt und authentisch

Diese zukunftsorientierte Technik dient dem Schutz des Eigentums und dem Marketing. Der grillende Mensch kann nicht nur den eigenen Namen in seine Deutschländer brennen, sondern auch liebe Freunde brandmarken. Er ist in der Lage, großes Branding zu starten, Menschen zu unverwechselbaren Markenzeichen aufzubauen, Firmennamen wie diese in die Hirne zu stanzen: Drexler, Schmiedel & Schmid - jederzeit vorstellbar auch als "Gebr. Drexler & Schmiedel Nachf. Schmid".

Namen und Produkte wären, wie man bei der SPD sagt, authentisch, denn so sehen gedrillte Rote immer aus: verschnurzelt, triefend, schwer bekömmlich. Die Schmid-Wurst würde man wie im richtigen Leben zwischen die Drexler-Wurst und die Schmiedel-Wurst in das Sozen-Sandwich quetschen und ins Feuer rufen: Vorwärts, Genossen, jetzt noch das Spezial-Brandeisen für die dickste Pelle, und dann wird gebrutzelt. Am Ende könnt ihr, wie Herr Schmid zu sagen pflegt, klare Kante zeigen. Noch etwas Senf dazu, und die Sache ist gegessen. Sollte die moderne Technik allerdings nicht schmecken, müssten wir wie früher mit der Rohrzange ran.

Joe Bauer liest am Donnerstag, 5. Mai, in der Straßenbahnwelt, Bad Cannstatt. Mit Stefan Hiss, Dacia Bridges, Michael Gaedt. Beginn 20 Uhr. Karten: 07 11 / 78 85 77 70