Die Röhre in Stuttgart - bald Vergangenheit. Foto: Kraufmann

"Ein Tunnel", hat einmal ein weiser Mann gesagt, "ist nichts anderes als ein Loch."

"Ein Tunnel", hat einmal ein weiser Mann gesagt, "ist nichts anderes als ein Loch, ein nützliches Loch." Der weise Mann hieß Manfred Rommel, und das nützliche Loch befand sich im Wagenburgtunnel. Dort hat am 26. September 1985 Stuttgarts Oberbürgermeister den Musikclub Die Röhre eröffnet. Für die Stadt war es ein Ereignis, in der Stadt war damals nicht viel los.

Jetzt, 25 Jahre später, ist das Ende der Röhre besiegelt. Die drei Clubmacher, Peter Reinhardt, Nanno Smeets und Jan Drusche, haben die Kündigung zum 31. Dezember dieses Jahres erhalten. Das Schreiben des Liegenschaftsamts, des städtischen Vermieters, traf allerdings erst am 1. Oktober per Boten ein - einen Tag nach Quartalsende, so dass sich der Auszug aus juristischen Gründen verschieben könnte.

Dass die Röhre dem Bahnprojekt Stuttgart 21 zum Opfer fallen würde, ist seit langem bekannt. Die Club-Chefs wundern sich dennoch, warum sie erst zum letztmöglichen Termin benachrichtigt wurden, mit einem förmlichen Amtsschreiben, ohne eine Zeile der Würdigung nach der langen Zusammenarbeit mit der Stadt.

Sie vermuten gar, ihre Unterstützung von Stuttgart-21-Gegnern habe die Sache politisch beschleunigt. Der Rockclub stellte seine Räume gelegentlich Mitgliedern von Robin Wood und organisierten Parkschützern zur Verfügung. Auch ansonsten bezogen die Macher Stellung gegen S 21, etwa auf ihrer Homepage. Das Liegenschaftsamt konnte sich gestern nicht dazu äußern; der Chef war nicht im Büro.

Vermutung hin, Verdacht her. Man fragt sich, warum sich die Damen und Herren vom Amt nicht die Mühe gemacht haben, ihre Mieter von Angesicht zu Angesicht oder wenigstens telefonisch zu informieren. Eine Stilfrage, was sonst. Auch hatte die Stadt, etwa die Kulturbürgermeisterin, dem Trio zugesagt, sich um Ersatz zu bemühen. Erst bei der Kündigung erfuhr man, es gebe keine Alternative.

Die Pächter wissen zwar seit geraumer Zeit vom absehbaren Ende ihres Ladens. Man weiß aber auch, dass die Stimmung in der Stadt nicht gut ist. Und auch im Fall Röhre, einem für Veranstalter und Publikum unverzichtbaren Ort stilistischer Vielfalt, macht der Ton die Musik. Über Kommunikation brauchen wir nicht zu reden, ich kann das Wort nicht mehr hören.

Clubs öffnen und schließen, so wahr wie Rockstars auf- und untergehen. Die Röhre jedoch ist ein Stuttgarter Unikat, eine bunte und originelle Live-Bühne mit Geschichte und Atmosphäre. Das Erdloch wurde 1941, als Zwillingsbruder des Wagenburgtunnels, gegraben. Erst war es Luftschutzbunker, nach dem Krieg Weinkeller, später diente es auch als Probebühne für die Staatstheater. Ballett-Fans sprechen noch heute vom Kunstspektakel, das Ende der Siebziger die Stylistin Randi Bubat mit Tänzern veranstaltete.

Als OB Rommel 1985 auf die Vorzüge des Tunnels hinwies, spielten zur Premiere der Jazzer Bernd Konrad und der Punk-Clown G.A.W. Die Röhre war ein Politikum. Das Rathaus investierte 650 000 Mark. Lange, viel zu lange hatte man mit provinzieller Verschlafenheit kulturelle Phänomene wie Rock und Jazz ignoriert. Mit dem Tunnel wollte man, als ginge es um ein Jugendhaus, mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Heraus kam subventionierte Vereinsmeierei. Erst als Peter Reinhardt, anfangs Wirt der Röhre, die Gesamtregie auf eigenes Risiko übernahm, wurde aus dem Gemischtwarenladen ein professioneller Club mit Charakter.

Peter Reinhardt, heute 59, hatte bereits reichlich Erfahrung im Live-Geschäft, er führte unter anderem die legendäre Tangente in der Schlossstraße. Sein Ding war nie die Medienarbeit, die Selbstdarstellung. Seine Programme aber haben Hand und Fuß, und bis heute ist er auf Ballhöhe: Stilsicher bewegt sich der Hobby-Kicker auch auf der Brücke zwischen Pop und Fußball, oft sogar zwischen VfB und Kickers.

Eine so bunte Spielstätte mit Rock-'n'Roll-Geruch, mit kultureller Patina findet man selten. Auch Konzert- und Tournee-Agenturen schätzen den Laden. Er bietet Platz für mehrere Hundert Leute, verfügt über erstklassige Tontechnik und einen Parkplatz vor der Tür für Band-Busse. Würde der Club tatsächlich demnächst ohne Aussicht auf Ersatz gestrichen, wäre ein weithin hörbares Beerdigungskonzert angebracht.

In der Röhre passierte eine Menge. Hier habe ich zum ersten Mal in Stuttgart die Einstürzenden Neubauten erlebt, und ich erinnere mich, wie meine Hosenbeine flatterten. Nicht nur aus Angst, es war der industrielle Sound. Ähnliche, weniger kultivierte Klänge wird man bald wieder vernehmen, nämlich wenn die Lastwagen anrücken, um Stuttgart 21 voranzutreiben. Das nützliche Loch wird, um den Amtsjargon zu bemühen, einer anderen Nutzung zugeführt. Die Art des Abschieds ist ärgerlich. Das ist keine Art.