Junge Arbeitgeber wie Leonardo Re wollen Flüchtlingen eine Chance geben Foto: Bitenotbark

Die Diskussion um Asylbewerber dreht sich oft noch um bloße Unterbringungsfragen. Dabei stehen Flüchtlinge, die schon lange in Deutschland leben, längst vor anderen Herausforderungen, der Suche nach einem Job etwa. Die Abschlussarbeit von zwei Kommunikationsdesign-Studenten könnte helfen

Stuttgart/Berlin - Gelebte Willkommenskultur. Das klingt theoretisch super. Die deutschen Arbeitgeber fordern schon lange einen Zustand in den Köpfen und dem Verhalten der Menschen, der Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland attraktiv macht. André Hellmann kennt den Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit. „Meine Frau kommt aus Ghana“, sagt der Chef der Karlsruher Agentur Netzstrategen. „Ich weiß, wie schwer es sein kann, in Deutschland Fuß zu fassen.“ Der Bürokratiedschungel ist immer noch immens. Das gilt vor allem für Flüchtlinge. Sie hatten nicht die Zeit, sich jahrelang auf einen Arbeitseinsatz in Deutschland vorzubereiten. Viele Syrer sind geflohen, weil ihr Haus nicht mehr steht.

„Wir haben drei Kinder“, sagt Hellmann. „Und ich wünsche mir, dass sie in ihrem Leben auf jemanden treffen, der ihnen eine Chance gibt.“ Auch darum hat der 36-Jährige seine Firma auf workeer.de registriert.

Das ist ein neues Internetportal, das die beiden Kommunikationsdesign-Studenten Philipp Kühn (25) und David Jacob (24) als Abschlussarbeit ihres Bachelor-Studiums gebaut haben. Dort können Flüchtlinge ein Profil anlegen, in dem sie ihre Qualifikationen und ihren Berufswunsch angeben.

„Wir brauchen schlicht Fachkräfte hier in Deutschland“

So schreibt Ali Mirzail (22), der in Afghanistan für die Nato gearbeitet hat und daher in seinem Land verfolgt wird: „Ich möchte gerne eine Ausbildung machen und habe großen Spaß am Umgang mit Menschen und interessiere mich für den Bereich Kfz. Ich möchte mich so gut und schnell wie möglich in die deutsche Gesellschaft integrieren und einbringen.“ Er sei „sehr fleißig, teamfähig, pünktlich, zuverlässig und habe großen Spaß an jeder Art von Arbeit“.

Und auch Arbeitgeber können sich registrieren und ihre Jobangebote auf die Seite stellen:„Wir brauchen schlicht Fachkräfte hier in Deutschland“, sagt Hellmann. Seine Firma sucht gerade beispielsweise nach Webentwicklern.

Es geht aber nicht nur um Ressourcengewinnung: „Es ist auch ein Statement, dass ich unsere Firma auf der Plattform registriert habe“, sagt Till Beinder. Der 25-jährige Gründer des Stuttgarter Start-ups JTMD Innovations will zeigen, dass die Gründerszene Flüchtlinge willkommen heißt. „In den vergangenen Monaten ist viel über Anschläge auf Asylbewerberheime berichtet worden“, sagt er. „Das ist schlecht fürs Image von Deutschland.“ Er will aber nicht nur im stillen Kämmerlein sitzen und lamentieren. „Ich fände es gut, wenn ich einem Menschen auf die Weise eine Chance geben kann.“

Auch er sucht derzeit nach Web- und App-Entwicklern. Dass viele Firmen aus der IT-Branche offen sind für Flüchtlinge, liegt daran, dass dort fast alles auf Englisch abläuft. Deutschkenntnisse sind also nicht zwingend erforderlich. Die Teams dort sind meistens jung, lässig – und international.

Workeer trifft den Nerv der Zeit

Darüber hinaus haben sich Arbeitgeber aus der Gastronomie, dem Handwerk, aber auch der Zeitarbeit registriert. Das Portal ist erst am Montag in einer Beta-Version gestartet. So heißen in der Computersprache noch nicht ausgereifte Versionen einer Internetseite. Die beiden Macher haben offenbar nicht damit gerechnet, damit dermaßen den Nerv der Zeit treffen. „Leute, wir sind so baff!“, schreiben Kühn und Jacob auf ihrer Seite im sozialen Netzwerk Facebook. „An dieser Stelle bedanken wir uns für euer überwältigendes (!) Feedback – so war das alles gar nicht geplant!“ Derzeit überlegen die beiden, wie sie das Projekt in Zukunft weiterführen können.

Bis jetzt haben sich über 90 Arbeitgeber auf der Plattform registriert. Jeden Tag kommen neue dazu. So auch die Bremer Werbeagentur Bitenorbark. Die Registrierung sei allerdings keine Werbemaßnahme, um mit einem Quoten-Flüchtling angeben zu können, sagt Leonardo Re. Der 24-Jährige ist Gesellschafter der Agentur. „Wir suchen ohnehin Leute.Wenn durch uns ein Flüchtling eine Chance bekommt, ist das ein schöner Nebeneffekt.“

Was viele Arbeitgeber bislang noch stört, sind die bürokratischen Hürden. Bevor ein Flüchtling eingestellt werden kann, sind viele komplizierte aufenthaltsrechtliche Fragen zu klären. Außerdem können Arbeitgeber einen Flüchtling erst nach der sogenannten Vorrangprüfung einstellen. Diese schreibt vor, dass ein Flüchtling einen Job erst dann bekommt, wenn ihn kein Bürger der Europäischen Union haben will. Das prüft die Bundesagentur für Arbeit.

Christian Rauch, Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur in Baden-Württemberg, sieht in workeer keine Konkurrenzveranstaltung: „Jedes Engagement, das die Integration von qualifizierten Flüchtlingen zum Ziel hat, finde ich anerkennenswert, da keine Organisation und Institution allein die Herausforderung bewältigen kann“, sagt er. Da für die Beschäftigung von Flüchtlingen jedoch zusätzliche aufenthalts- und erlaubnisrechtlichen Fragen gelten, empfiehlt er Arbeitgebern, sich auch an die Arbeitsagenturen vor Ort zu wenden, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein.