Für Handwerkstag-Präsident Joachim Möhrle ist Ausbildung ein Top-Thema. Foto: Leif Piechowski

Seit Jahren herrscht im Handwerk der Hochkonjunktur. 80 Milliarden Euro haben die rund 130.000 Betriebe zuletzt jährlich umgesetzt. Dennoch hat die „Wirtschaftsmacht von nebenan“, wie sich die Branche selbst nennt, Nachwuchssorgen.

Stuttgart – Seit Jahren herrscht im Handwerk der Hochkonjunktur. 80 Milliarden Euro haben die rund 130.000 Betriebe zuletzt jährlich umgesetzt. Dennoch hat die „Wirtschaftsmacht von nebenan“, wie sich die Branche selbst nennt, Nachwuchssorgen.

Herr Möhrle, Großflughafen Berlin, Elbphilharmonie, Stuttgart 21. In Deutschland geht auf Großbaustellen nichts voran. Blutet Ihnen als Handwerker da das Herz?
Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man in Deutschland offenbar komplexe Projekte nicht mehr durchgeplant und nicht von Anfang an eine sinnvolle Projektsteuerung hinbekommt. Die Planung dürfte kein Problem darstellen. Gute Ingenieurbüros kriegen das hin. Wenn aber die Entscheidungsebene zu früh auf die Politik verlagert wird und die Fachleute nicht mehr zu Wort kommen, wird es schwierig. Man ist generell beim Bau von Großprojekten nicht ehrlich genug. Kosten werden wider besseres Wissen herunter gerechnet, um Zustimmung zu bekommen. Wenn ein gewisser Baufortschritt erreicht ist, stellt man dann Kostensteigerungen fest und zieht sich hinter dem Argument zurück, dass jetzt ja fertiggebaut werden müsse.. Da sind Widerstände der Bürger programmiert.

Bei der energetischen Haussanierung gibt es jetzt einen Kompromiss. Eine Mietrechtsreform und 300 Millionen Euro jährlich extra sollen den Durchbruch bringen. Reicht das?
Der Mini-Kompromiss ist völlig unzureichend. 40 Prozent der Gebäude in Deutschland müssen dringend saniert werden. Das wird so nicht klappen. Es müssen steuerliche Abschreibungen für Hausbesitzer her, um voranzukommen. Die Energiewende steht und fällt mit mehr Energieeffizienz in privaten und öffentlichen Gebäuden.

Wie wichtig ist die Energiewende allgemein ?
Sehr wichtig. Eine ganze Reihe von Gewerken profitieren davon. Abgesehen davon brauchen wir die Unabhängigkeit von Öl und Gas aber auch einfach. Schauen sie sich doch die Preissteigerungen in den letzten Jahren an. Davon müssen wir uns abkoppeln. Auf lange Sicht ist das der einzige Weg.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt?
Die Menschen wollen die Energiewende. Man muss ihnen aber sagen, was es kostet und wie der Masterplan aussieht. Ähnlich wie bei Stuttgart 21 und den anderen Bauvorhaben war man auch hier zu lange nicht ehrlich und ist mit der Wahrheit nur Häppchenweise herausgerückt. Zurück zur Atomkraft geht nicht. Gar nicht mal, weil die Technologie unbeherrschbar wäre, wie manche behaupten. Es ist die Endlagerfrage, die die Atomkraft diskreditiert. Keiner will die Tausende Tonnen Abfälle. Dann dürfen wir sie eben auch nicht produzieren.

Immer ausgefeiltere Technologien machen ihr Fachkräfteproblem nicht einfacher. . .
Fachkräftesicherung ist für uns das wichtigste Zukunftsthema. Dazu muss die duale Ausbildung wieder den Stellenwert bekommen, den sie früher hatte. Die Akademisierung unserer Gesellschaft geht zu Lasten der fundierten beruflichen Ausbildung. Das von der Politik ausgegebene Ziel, dass 50 Prozent eines Jahrgangs ein Studium machen sollen, halte ich für falsch. Außerdem muss das Handwerk noch stärker für sich werben, um sich von Industrieberufen abzusetzen. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass Betriebe, die kontinuierlich ausbilden, meist genügend Azubis finden. Probleme haben oft Unternehmen, die nach konjunkturellen Intervallen einstellen und ausbilden.

Warum zahlen Sie nicht einfach mehr Gehalt?
Wir kommen nicht an die Löhne heran, die in der Industrie bezahlt werden. Im Bau, wo die Tariflöhne hoch sind, bekommt ein ausgelernter Berufsanfänger um die 13 Euro Stundenlohn Brutto. Wir merken aber auch zusehends, dass immer mehr junge Menschen sich für Handwerksberufe entscheiden, weil sie darin Erfüllung finden. Die lernen dann vielleicht Konditorin oder Schreiner. Es ist etwas anderes jeden Tag zum Beispiel mit Holz zu arbeiten, das immer unterschiedlich ist, das man formen und individuell verarbeiten kann, als in einem Industriejob den ganzen Tag das gleiche zu machen. In einem familiär geprägten Handwerksbetrieb haben Sie meist auch kein Problem, Job und Familie zu vereinbaren.

Sollte das Schulsystem mehr auf Praxis setzen?
Vor allem brauchen wir eine bessere Berufsorientierung. Die sollte auch bereits in den unteren Klassen starten.

Die Hauptschule ist vor dem Aus. Bisher haben Sie dort viele Azubis rekrutiert. Was nun?
Wir sehen mit großen Erwartungen der Gemeinschaftsschule entgegen, für die wir uns auch immer eingesetzt haben. Das dreigliedrige Schulsystem hatte keine Antworten mehr parat auf die sich ändernden Lebensverhältnisse der Menschen. Seit Jahrzehnten ist die Ausbildungsreife der Jugendlichen gesunken. Insofern begrüßen wir den von Grün-Rot eingeleiteten Systemwechsel. Wichtig ist es jetzt aber, dass auch genügend Lehrer für die neuen Schulen bereitstehen. Da gibt es noch Nachholbedarf, und die Landesregierung muss sich bewegen und mehr Lehrer einstellen.

Wie stark ist die Konkurrenz fürs Handwerk aus anderen europäischen Ländern?
Mittlerweile gibt es deutsche Personalvermittler, die ganz gezielt Handwerker aus Rumänien und Bulgarien anwerben und sie ermutigen, sich hier in Deutschland selbstständig zu machen. Damit umgehen sie den Tatbestand, dass die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für diese Länder noch nicht gilt. Unsere Kammern stellen das immer dann fest, wenn wieder einmal zehn neue Apparatebauer oder Leitungsverleger auftauchen, die alle an der gleichen Anschrift gemeldet sind. Diese machen den ansässigen Handwerkern durch Spottpreise Konkurrenz. Das Phänomen gibt es überall im Land.