Cody Chesnutt Foto: Steinbeißer

Das Festival Jazz Open macht es möglich: An einem Abend gastieren zwei große Soul-Sänger in der Stadt. Gregory Porter war im Mercedes Museum, Cody Chesnutt im Jazzclub Bix.

Stuttgart - Nur selten sind in Stuttgart an einem Abend gleich zwei große Stimmen des zeitgenössischen Soul zu hören. Das Festival Jazz Open hat es am Dienstag möglich gemacht: Am Mercedes-Museum gastierte Gregory Porter, dessen Album „Liquid Spirit“ in aller Ohren ist, im Jazzclub Bix Cody Chesnutt, mit „Landing On A Hundred“ eher noch ein Geheimtipp. Beide tragen Kopfbedeckungen wie Pharell Williams seinen Wildhüter-Hut, Porter eine unterm Kinn zugebundene Strickmütze mit Ballon-Schirmhut, Chesnutt einen Soldatenhelm. Einziger Wermutstropfen: Beide waren nicht etwa versetzt programmiert, Museum früher, Bix später, sondern exakt parallel – bedauerlich, nicht nur für Inhaber von Festivalpässen.

Größer als die Bühne

Gregory Porter (44) ist Ästhet. Er modelliert jeden Ton, jede Silbe. Jeder Atemhauch sitzt. Makellos ist das, aber kein blanker Perfektionismus. Porter zieht und verzögert und beschleunigt, schnörkelt, schlenkert und springt – er schöpft Melodien im Moment, immer aufs Neue. Wenn ihm eine Passage besonders gut gelingt, erstrahlt ein Grinsen.

Die Menschen im ausverkauften Amphitheater erliegen umgehend seinem Charme. „Did you see that big Mercedes sign?“ fragt er schelmisch. „That’s biiig!“ – alles gesagt.

Die seltsame Kopfbedeckung, die angeblich Spuren einer Operation verdeckt, rosa Hemd, grünliches Sakko, Einstecktuch – die Erscheinung gehört zum Gesamtkunstwerk wie die Texte. „Painted On Canvas“ singt Porter, ein Stück über die Farben des Lebens und welches ein jeder sich damit malt, „No Love Dying“, eine Ode an die Liebe, „Be Good (Lion’s Song)“, eine Analyse von Machtverhältnissen. Und natürlich „Liquid Spirit“, in dem es „um das Freisetzen von Energie geht, von Liebe“, sagt der Künstler, ein ausgewiesener Streiter gegen Rassismus.

Porter ist Poet, und er hat Gleichgesinnte gefunden. Fein arrangiert, viel freier als auf den clever produzierten Alben, entfaltet die Band eine ungeheure Jazz-Dynamik. Saxofonist Yosuke Satoh spielt sich mehr als einmal in einen Rausch wilder Skalen, Kontrabassist Aaron James setzt die Musik unter permanente Hochspannung.

Gregory Porter lächelt, scattet, zitiert den großen Marvin Gaye und den großen Ray Charles. Mit seinem Sinn für Balladen ist er der natürliche Erbe von Isaac Hayes und Barry White. Und längst viel größer als die Bühne an diesem Abend. Glücklich, wer ihn einmal aus der Nähe erleben durfte. (ha)

Bis keiner mehr sitzt

„You know what I mean? – Weißt du, was ich meine?, fragt er eine Dame an einem Tisch ganz vorne. Er setzt sich an die Bühnenkante, auf Augenhöhe. „Bist du verheiratet? Ja? 30 Jahre? Klasse! Bei mir sind es 26. Also fehlen mir noch drei – äh vier“, sagt er und singt sanft die Zahl Vier vor sich hin, bevor er samt Band wieder in „Wedding Day“ einsteigt. Vor dem Charme von Cody Chesnutt (45) ist niemand sicher im vollen Bix.

Vom bassigen Knarzen bis zum säuselnden Falsett reicht seine stimmliche Bandbreite, er spielt Gitarre, tanzt und produziert durchweg einen Groove, der es fast unmöglich macht, nicht mitzuwippen. Bei „Everybodys Brother“ singt das Publikum im Chor: „No turning back“ („Kein Zurück“) – bis er überleitet und alle ein „Uh“ flüstern sollen. Chesnutt und seine Musiker, gut eingespielt, wissen exakt, wie lang ein Song, ein Solo, eine Pause sein dürfen.

Als Überraschungsgast betritt US-Rapperin Akura Naru die Bühne. Sie muss sich erst sammeln, dann beginnt sie zu reimen. Das Publikum staunt. Naru erinnert an Lauryn Hill. Auch da fordert Chesnutt wieder das „Uh“ ein, so lange, bis er den Moment für den nächsten Song spürt. Bis schließlich keiner mehr sitzt. Auch nicht die Dame in der ersten Reihe. (nad)

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