China Moses am Samstagabend im Kunstmuseum Foto: Jörg Becker

Ganz nah sind Kunst und Jazz sich gekommen in der Ausstellung „I Got Ryhthm“ des Stuttgarter Kunstmuseums. Zum Abschluss am Wochenende strömte das Publikum noch einmal.

Stuttgart - Rolf Kühn, der Grandseigneur der JazzKlarinette, kam 1929 auf die Welt. In jenem Jahr – die Ausstellung zeigt es – vollendete Lotte B. Prechner das Bild „Jazztänzerin“. Josephine Baker, die auf der Glasfassade des Kunstmuseums wie ein Cover Girl tanzt, erhielt 1929 in München Auftrittsverbot, wenig später spielte Louis Armstrong den Musical-Song „I Got Rhythm“, das zugkräftiges Motto dieser bemerkenswerten Ausstellung.

Mit der Rolf Kühn Unit klingt am Sonntagabend das Jazzfestival im Kunstmuseum aus. Zuvor haben Avantgardepianist Alexander von Schlippenbach und seine Partnerin Aki Takase die wilde Improvisationsmusik des Holzbläsers Eric Dolphy hochleben lassen. Beide Konzerte bieten in den Räumen des Kunstmuseums Stuttgart ein außergewöhnliches synästhetisches Erlebnis und beenden die sehr gut besuchte Ausstellung quasi mit einem Paukenschlag.

„Ausverkauft“ hieß es seit Monaten, als bekannt wurde, dass China Moses im Kunstmuseum auftreten würde. Am frühen Samstagabend hat zuvor Free-Jazz-Saxofonist Peter Brötzmann einen Tag vor seinem 75. Geburtstag den Festivalreigen eröffnet. Schon in den 1960-er Jahren zertrümmerte er als Fanal gegen verkrustete Traditionen und Verhältnisse harmonische und rhythmische Formen zertrümmert. Seither sind fünf Jahrzehnte vergangen, die Verhältnisse sind nicht mehr dieselben, aber Brötzmann verwendet sein Horn immer noch wie einen Hochdruckreiniger und spielt wild, eruptiv und frei. In eingeweihten Kreisen verwendet man für dieses hochenergetische Holzbläserspiel das Tätigkeitsverb „brötzen“.

Sinnlich und eindrucksvoll feiert China Moses den Blues

Mancher fragt sich bei dieser Improvisationsmusik, ob die radikale Methode mit der Zeit nicht doch in eine Sackgasse geführt hat. Für den Rezensenten ist das so, als habe Kasimir Malewitsch lauter schwarze Quadrate gemalt, Lucio Fontana jede Leinwand aufgeschlitzt und Nikki de Saint Phalle nur auf Gipsreliefs geschossen. Andere dagegen sehen gerade darin eine musikalische Widerspiegelung gesellschaftlicher Gewalt.

Mit drei Kollegen – darunter US-Vibrafonist Jason Adasiewicz – spielt Peter Brötzmann so brachial, dass jedes Kind auf und davon gerannt wäre. Im Saal befinden sich indessen nur kunstverständige Erwachsene. Darunter Pianist Wolfgang Dauner, der in seiner Free-Jazz-Phase einmal öffentlich ein altes Klavier in Brand gesetzt, dann aber einen anderen Weg eingeschlagen hat. Der führte ihn von zertrümmerten Formen zu rhythmischen Strukturen und schöner Harmonik.

Der Schrei, dem sich Brötzmann verschrieben hat, war von Anfang an auch ein Merkmal des Blues. Den feiert China Moses am Samstagabend im Kunstmuseum so sinnlich und eindrucksvoll, dass am Ende alle im Saal aufspringen und applaudieren. Der Blues nämlich bildet das ganze Leben ab. Seine Themen sind Liebe und Eifersucht, Sex und Einsamkeit, Übermut und Klage, Furcht und Mitleid, helle Wut und scharfzüngiger Protest. Und ohne ihn gäbe es weder Rock ‚n’ Roll noch Soul.

Der Weg zum Funk ist da nicht weit, und auch der Hiphop schaut vorbei

Die 38-jährige China Moses stöckelt auf goldenen High-Heels strahlend auf die Bühne, golden glänzt ihr schwerer Schmuck und signalisiert: „Hey Leute, ich bin ein Goldschatz.“ Ihr Quartett interpretiert den Blues mal entspannt-schaukelnd, mal kantigdynamisch. Es ist eine junge, frische Variante. Der Weg zum Funk ist da nicht weit, und auch der Hiphop schaut mal auf einen Sprung vorbei.

Mal zeigt sich der Blues ein wenig stachelig und jazzy, dann fließt er wieder weich und warm. China Moses hat eine starke Bühnenpräsenz, und ihre Fröhlichkeit steckt an. Aber ihre Entertainer-Qualitäten wären nicht viel wert, hätte sie nicht diese besondere Stimme. Die ist kraftvoll, kennt keinerlei Intonationsprobleme und verfügt über einen beträchtlichen Umfang. Die Frau Mama hat sie ihr in die Wiege gelegt, die große Jazzsängerin Dee Dee Bridgewater wird allerdings mit keinem Wort erwähnt – warum auch immer.

Diese Stimme von China Moses trägt, sie legt sich genussvoll auf den Rhythmus, klingt warm und tief und gleich steigt sie hinauf in höchste Höhen. Da findet sie im schnarrenden Sound des Baritonsaxofons ein tiefe Gegenstimme, während der Bass stoisch pulsiert und der Schlagzeuger spannende Akzente setzt. Am 7. Februar vor einem Jahr hat China Moses mit ihrer Blues-Band die Stimmung im Bix auf den Siedepunkt getrieben, nun hat sie auch das Stuttgarter Kunstmuseum gerockt. Respekt, Madame! Sie sind tatsächlich ein Goldschatz.