Aus einer Videoarbeit von Jan-Peter E.R. Sonntag Foto: Sonntag/wkv

„Rauschen“ ist die Ausstellung mit Installationen und Videoarbeiten des Berliner Medienkünstlers Jan-Peter E.R. Sonntag im Württembergischen Kunstverein Stuttgart schlicht betitelt. Tatsächlich lässt es Sonntag rauschen – und macht den Vierecksaal zur Bühne für eine Metapher des Lebens an sich.

Stuttgart - In der Riege der schönsten und zugleich konsequentesten Ausstellungen aktuellen künstlerischen Schaffens hat diese ihren festen Platz sicher – „Rauschen“ im Württembergischen Kunstverein Stuttgart (Kunstgebäude am Schlossplatz). Die Kunstvereinsdirektoren Iris Dressler und Hans D. Christ setzen mit der Erarbeitung dieser Einzelschau zum Werk des Berliner Medienkünstlers Jan-Peter E.R. Sonntag ein Ausrufezeichen – wieder einmal.

Dabei ist der Titel Programm. Als Künstlerforscher ist Sonntag ebenso der eigenen Spezies (und dabei insbesondere Friedrich Kittler) auf der Spur wie auch der Bedeutung von Erscheinungsformen und Begrifflichkeiten. Auf den Klang, auf den Ton, auf das Geräusch an sich musste Sonntag in seiner Arbeit fast zwangsläufig stoßen – um so mehr, als die Manipulation immer mitschwingt, nicht minder die Frage dessen, was wir individuell überhaupt als Ton wahrnehmen oder schlicht hören wollen. Und kaum zu trennen ist ja zudem die Thematik des „Rauschens“ von jenem scheinbar nie versiegenden Nachrichtenstrom, der – als „Grundrauschen“ bezeichnet – kaum hinterfragt unser aller Handlungsmuster mitbestimmt.

Lässt sich aber solche Analyse noch einmal überzeugend angehen – nach den Klangerkundungen der späten 1950er und frühen 1960er Jahre, nach den poetischen Überhöhungen eines Tons in den 1970er Jahren?

Sonntag, 1965 in Lübeck geboren, umgeht die Frage, indem er die Forschung über die Forschung voranstellt. Sonntag erkundet Friedrich Kittlers praktizierte Medientheorie noch einmal – und nähert sich der Gegenwart dadurch wie selbstverständlich auf Basis erforschter und im besten Sinn durchgearbeiteter Vergangenheit. Noch einmal wird so der Weg hin zu einem reinen Klangraum möglich, hinein in einen „Rauschraum“, der als Raum im Raum ebenso das Unbedingte in der Kunst betont, als auch erkennen lässt, dass Kunst immer auch und immer noch gefährdet ist.

Der Rauschraum als Schutzraum? Sonntag wird andere Akzente betonen, hat doch auch sein Rauschraum bereits eine eigene (Präsentations-)Geschichte. Doch hier, im Vierecksaal des Kunstgebäudes Stuttgart, bekommt seine Rausch-Collage noch einmal alle Freiheiten – und Sonntag nützt sie.

Ein Display dient als Orientierung. Der Spielplan ist angezeigt, der Fahrplan für die Abfolge der Aktivierung des Rauschraums beziehungsweise des Klang-Film-Raums als Bühne der Videoarbeiten. Das Display, zugleich selbst elektronische Zeichnung, macht unmissverständlich klar, dass das einzelne Werk für sich steht und das in Medienkunstaustellungen gern geübte Videohopping sehr bewusst verunmöglicht ist. Indem Sonntag in und an den Werken Kittlers entlang fragt, warum es wichtig ist, den Bausteinen der technologischen Klangerzeugung auf den Grund zu gehen, bereitet er den Grund für eine eigene Forschungsarbeit. Sonntags Werke sind ja nichts anderes als Elemente einer Hommage an die Konzentration.

Das Rauschen hat Verbündete. Der Philosoph Peter Sloterdijk skizziert in seiner „Sphären“-Trilogie den Schaum als Sinnbild variabler Gestaltungsmöglichkeiten.

Und im Gespräch mit unserer Zeitung skizziert er den Schaum als positiven Gegenentwurf zu „dem meist in einer denunziatorisch Tonart verwendeten“ Begriff der Flexibilität: „Der Ausdruck ‚Flexibilität‘“, so Sloterdijk, „gehört zu einem Jammerdiskurs; denn erstens wird regelmäßig ihr Fehlen beklagt; zweitens zielt er vor allem auf die Flexibilisierungsverlierer. Die Metapher ‚Schaum‘ hingegen hat einen hellen, wenn auch fragilen Klang. Sie enthält den Hinweis, dass die lebensraumschaffende Potenz der menschlichen Intelligenz als positive Reserve betrachtet werden muss.“

Folglich sieht Sloterdijk in den Strukturen des Schaums eine wesentliche Voraussetzung für eine aus seiner Sicht notwendige gesellschaftliche Neubestimmung: „Die Populationen der Moderne“, sagt er, „leben seit 200 Jahren inmitten einer stetigen Urbanisierung. Folglich lassen Unzählige die sesshafte ländliche Herkunft hinter sich und gehen über in Lebensformen städtischer Mobilität. Dieser Vorgang ist viel abgründiger und mit viel mehr Widerständen durchsetzt, als man gemeinhin annimmt. Gerade in Deutschland sind das innere Bauerntum und Gewohnheiten der sesshaften Gesinnung tiefer verankert, als Modernisierungstheoretiker vermutet haben.“

Wie aber lassen sich Vergangenheit und Gegenwart, Naturerfahrung und Technikorientierung, Forschung und Poesie verbinden und können dabei noch Kunst werden? Jan-Peter E.R. Sonntag ließ schlicht die Lichtdecke des Vierecksaals öffnen, positionierte im Bereich des Dachgebälks eine hellgrün leuchtende Lampe und inszeniert mittels einer mit Kupferdraht umspannten weißen quadratischen Leinwand und einem Langwellenempfänger eine Umkehrung von Innen und Außen, von Enge und Weite. In Sonntags „Natural-Radio-Wave-Trap“ hat das Licht einen eigenen Klang – und von hier aus auch erschließt sich das Kräftemessen, dass die Videoarbeiten kennzeichnet. Erzeugen sie einerseits einen hart linierten Tiefenraum (vor allem in den Schwarz-Weiß-Arbeiten), nutzen sie doch andererseits bewusst auch ausgestellte Klangwerkzeuge der 1930er Jahre, um die Geräusche buchstäblich hervorzuholen und über die Köpfe der Besucher hinwegzuführen – in ein Draußen, das Sonntag mit seiner Natur-Radiowellen-Falle doch bereits neuerlich zum Werkzeug gemacht hat.

„Rauschen“ endet an diesem Sonntag. An diesem Samstag lädt der Kunstverein von 15 bis 21 Uhr zu Rundgängen und Arbeitsgruppen – mit Hans D. Christ, Sebastian Döring, Iris Dressler, Wolfgang Ernst, Moritz Hiller, Katrin Mundt, Arnaud Obermann, Jan-Peter E.R. Sonntag, Bettina Steinbrügge. www.wkv-stuttgart.de