Stefan Lentzen ist den Jakobsweg von Freiburg bis Santiago de Compostela gewandert – stolze 2243 Kilometer. Foto: z/privat

Der Vaihinger Stefan Lentzen ist 2243 Kilometer auf dem Jakobsweg gewandert. 40 bis 50 Kilometer am Tag, rund zwei Monate lang. „Ich würde es grad nochmal machen“, lautet sein Fazit über eine Zeit mit prägenden Erlebnissen und Begegnungen.

Vaihingen - Die Schuhe hat er dort gelassen. Über ein am Straßenrand stehendes Kreuz gehängt, mit Datum und Kilometerzahl versehen. „Zumindest das eine Paar, das andere Paar Wanderschuhe habe ich weggeworfen“, erzählt Stefan Lentzen und grinst bis über beide Ohren. Sein Gesicht und seine Arme sind tief gebräunt, obwohl der 46-Jährige eher der helle Hauttyp ist. Die französische und spanische Sonne hat seine Pigmente getönt während der vielen Tage, die er unterwegs war. Lentzen ist den Jakobsweg gegangen, und zwar nicht nur eine kleine Etappe des weit verzweigten Pilgerpfads. Er wanderte von Freibug bis Santiago de Compostela. Das sind 2243 Kilometer, rund zwei Monate war der Energieanlagenelektriker unterwegs.

40 bis 50 Kilometer am Tag

Bereits vor drei Jahren ist Lentzen eine Etappe gewandert. Von Rothenburg nach Rottenburg, weil seine Mutter sich das gewünscht hatte. „Sie musste mich nicht überreden, ich bin gerne in der Natur“, erzählt er. Zu diesem Zeitpunkt habe er begonnen, sich mit dem jahrhundertealten Pilgerweg zu beschäftigen. Im Herbst vorigen Jahres lief er noch einmal ein Stück. „Ich habe mir dann die Strecken herausgesucht, auf denen ich nach Santiago de Compostela laufen könnte“, erzählt er. Der Gedanke, die Reise in die Tat umzusetzen, wächst und gedeiht. Dieses Frühjahr ist es dann so weit. Der Vater zweier Kinder setzt seinen kompletten Jahresurlaub und Überstunden dafür ein; an einem Tag im April läuft er von Freiburg aus los.

Lentzen geht stets den ganzen Tag, von früh morgens bis spät abends. Zwischendurch macht er längere Pausen, ruht aus, isst. So schafft er meist 40 bis 50 Kilometer am Tag. Das ist ziemlich viel, andere schaffen 20 oder 30 Kilometer. Abends baut er sein kleines Zelt auf, dort wo es sich gerade anbietet. Duschen? „Katzenwäsche.“ Rasieren? „Zeitverschwendung.“ Mit ein wenig Wasser das Gesicht waschen, Zähne putzen, das muss reichen. Ab und zu schläft er in Herbergen – dort wäscht er dann auch seine Wäsche – oder auch mal bei Menschen, die er zufällig kennengelernt hat. „Die Begegnungen sind das Highlight“, sagt er. Sie machen das Besondere an der Reise aus.

„Man trifft Menschen jeglicher Couleur“

Einmal traf der Vaihinger einen Koreaner, der mit seinen Wanderschuhen nicht zurecht kam. „Er zog einfach seine Crocs an, diese bunten Kunststoffschlappen, und lief mit denen 700 Kilometer, ganz ohne Probleme“, erzählt er und schüttelt den Kopf. Manch Japaner sei komplett in Funktionskleidung eingepackt gewesen, sogar mit Handschuhen, aus Angst vor der Sonne. „Die müssen doch innerlich verbrennen, dachte ich mir.“ Nicht alle Pilger suchen den Kontakt. Manche sind freundlich, manche neidisch, andere ablehnend. „Man trifft Menschen jeglicher Couleur“, sagt Lentzen.

An einem Abend liest ihn eine Sekte am Wegesrand auf und lädt ihn ein, bei ihnen zu übernachten. „Es war nett, gar nicht seltsam“, sagt er. Ein anders Mal will er einen Hausbesitzer fragen, ob er in dessen Garten zelten darf. Auch dieser lädt ihn spontan ein: Der Mann hat Geburtstag und feiert gerade eine Party. Ein etwa 60-jähriger Lette ist auf dem Jakobsweg quasi hängen geblieben. Lentzen trifft ihn mehrfach, der Mann ist seit vier Jahren dort unterwegs. „Daheim sei er auch arm, da gehe es ihm hier besser, hat er zu mir gesagt.“

Die Sonne weist den Weg

Was der 46-Jährige während seiner Zeit auf dem Jakobsweg erlebt hat, würde ein ganzes Buch füllen – und tut es auch. „Ich habe jeden Tag einige Sätze in ein Notizbuch geschrieben“, erzählt er. 24. Juni, 5 Uhr: „Es ist noch dunkel, laufe mit der Stirnlampe durch den Wald.“ 7.40 Uhr: „Am Denkmal vorbeigekommen, wo man Santiago de Compostela das erste Mal sieht.“ Auch Kommentare von Freunden und Kollegen stehen darin. „Was hat dich denn geritten?“ – „Du bis ja verrückt.“ – „Mutig, das würde ich mich nicht trauen.“ Lentzen liest diese Sätze nacheinander laut vor und lacht zufrieden in sich hinein.

Den richtigen Weg zu finden, ist nicht schwer. Ein tragbares Navigationsgerät hilft dem Vaihinger bei der Orientierung. Außerdem gibt es regelmäßig ein Muschelzeichen auf dem Weg, das ist das Symbol des Pilgerpfads. „Und ich konnte mich an der Sonne orientieren. Wenn ich sie morgens im Rücken und abends im Gesicht hatte, wusste ich, dass es der richtige Weg ist“, erklärt er.

Laut schreien und weiterlaufen

Nicht immer trifft Lentzen andere auf dem Jakobsweg. Oft läuft er komplett allein, einmal trifft er eine ganze Woche niemanden. „Ich habe bewusst eine Strecke ausgewählt, die an den großen Städten vorbei und nicht hindurch führt“, erzählt er. Während des Gehens hat er viel Zeit zum Nachdenken. „Gedanken wälzen“, wie der 46-Jährige es nennt. „Das hat gut getan.“ Frustration gibt es freilich auch. In Spanien ist er einmal lange Zeit direkt neben einer Hauptstraße unterwegs, die Sonne brutzelt, der Weg flimmert. Vorne und hinten sieht es genau gleich aus. „Ich hab’ ganz laut geschrien. Und dann bin ich weitergegangen“, erzählt er.

Seine Schuhe hat Lentzen in Spanien gelassen. Mitgebracht hat er stattdessen einen mit vielen Stempeln gefüllten Pilgerausweis, eine Urkunde und noch viel wichtiger: die Erinnerungen an all die Begegnungen. Die sind das schönste Mitbringsel. Was war seine Triebfeder? „Mir ging es um die sportliche Herausforderung, diesen Weg zu bewältigen“, sagt er. Sein Fazit? „Ich würde es grad noch mal machen.“ Dabei überzieht wieder dieses breites Grinsen sein sonnengebräuntes Gesicht, bis über beide Ohren.