Hermann Ohlicher – der einstige Publikumsliebling ist heute Funktionär. Foto: Pressefoto Baumann

In unserer Serie 12 aus 16 stellen wir Persönlichkeiten vor, die bei einem Ereignis oder Thema 2016 eine Rolle gespielt haben. VfB-Aufsichtsrat Hermann Ohlicher fand sich im August zum zweiten Mal in seinem Leben in der zweiten Liga wieder. Vor 41 Jahren als junger Profi, jetzt als Funktionär des Ex-Bundesligisten.

Stuttgart - Manche Erinnerung tut weh: 24. August 1975, der VfB Stuttgart spielt in der Zweiten Bundesliga Gruppe Süd in Frankfurt gegen den FSV. Es läuft gut für den schwäbischen Absteiger aus der Bundesliga, der VfB gewinnt am vierten Spieltag mit 7:1, aber Hermann Ohlicher geht trotz des Sieges mit einem Tor von ihm nachdenklich vom Platz. An dem Tag, sagt er heute, habe er gespürt, was Abstieg heißt. „Mensch Ohlicher, was ist nur aus dir geworden?“, hatte ihn sein Gegenspieler verhöhnt. Böse, aber sportlich nicht falsch – der Oberschwabe war damals ein Jungstar in der Bundesliga und stand nach seinem ersten B-Länderspiel mit zwei Toren auf dem Sprung in Helmut Schöns Weltmeisterteam. 17 Tore hatte er in seiner ersten Bundesligasaison für den VfB geschossen, 17 auch in der zweiten, an deren Ende dann freilich der Abstieg stand.

Hermann Ohlicher hätte nach Schalke wechseln können, die wussten genau, was er konnte. In seinem ersten Bundesligaspiel hatte er den Knappen drei Tore eingeschenkt. Aber der bodenständige Typ aus Briggen blieb. Der Abstieg sei ja auch nur ein Betriebsunfall, dachte der strebsame Sportler, der schon mit 23 Jahren Diplom-Ingenieur (FH) war. „Das richten wir schon.“ Da lag er freilich daneben, trotz der Verpflichtung dreier gestandener Profis, unter anderem Otmar Hitzfeld, lief für den VfB nach dem 7:1 gegen Frankfurt so gut wie nichts mehr. Am 35. Spieltag dann ein sportliches Debakel: 2:3 gegen Reutlingen vor jämmerlichen 2500 Zuschauern im Neckarstadion. „Das war der absolute Tiefpunkt“, sagt er heute.

Auftakt 2016 vor ausverkauftem Haus

8. August 2016: Der VfB Stuttgart ist nach 41 Jahren wieder in der zweiten Liga angekommen. Auftakt gegen St. Pauli. Hermann Ohlicher ist wieder dabei. Dieses Mal aber als Funktionär und auf der Tribüne. Der VfB gewinnt nach holprigem Auftakt 2:1 gegen St. Pauli, und das vor 60 000 Zuschauern, also ausverkauftem Haus. „Das war wichtig“, sagt Ohlicher, „ein deutliches Signal.“ Aber was wird es am Ende bringen? Wenn einer weiß, wie man als VfB wieder hochkommt, dann doch er?

Hermann Ohlicher lächelt. Ganz so einfach ist das sicher nicht. Der Abstieg des VfB vor mehr als 40 Jahren war etwas anderes – weil er praktisch aus dem Nichts erfolgte. „In der Saison davor haben wir noch im Halbfinale des Uefa-Cup gegen Feyenoord Rotterdam gespielt, und dann steigst du ab, das war ein unerwarteter Tiefschlag“, sagt er. 2016 lief es anders – der Sturz ins Unterhaus war kein freier Fall, sondern hatte sich seit Jahren angedeutet. Seit der Saison 2011/12 klebte der VfB in der Bundesliga im hinteren Drittel der Tabelle, und Ohlicher litt auf der Tribüne mit. Der 67-Jährige, der nach dem Ende seiner Fußballerkarriere 1984 auch beruflich durchstartete und bis 2015 Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft von Toto-Lotto war, engagiert sich seit 2010 als Ehrenrat im Verein. Seit Oktober 2016 sitzt er im Aufsichtsrat und soll mit seiner Erfahrung helfen, dass es schnell wieder nach oben geht.

Ein Sieg gegen Mannheim als Signal für den Aufbruch

Wobei der Wiederaufstieg damals ja auch nicht auf Anhieb geklappt hat. Ganz im Gegenteil: Nachdem der erste Anlauf 1976 gescheitert war, wurde es fast dunkel an der Mercedesstraße. „Danach war der VfB finanziell am Ende, wir Spieler haben unsere Gehälter monatelang nicht mehr pünktlich bekommen“, erinnert er sich. Außerdem hätten sich die Fans damals scharenweise abgewandt. Heute staunt Ohlicher darüber, dass die Massen strömen. „Wir sind als Zweitligist bei den Zuschauerzahlen unter den Top 15 in Europa“, sagt er. „Die Euphorie der Fans heute ist unglaublich, zeigt aber auch, was sie von uns erwarten.“

Damals hatte nach dem ersten Zweitligajahr keiner mehr große Hoffnung, aber dann lief es auf einmal doch. Die Wende zum Guten: „Ein 4:3-Sieg gegen Waldhof Mannheim nach 2:3-Rückstand im ersten Drittel der Saison“ erinnert sich Ohlicher. Danach lief es: Aufstieg 1977, der VfB schoss 100 Tore in 38 Spielen, Ohlicher 15 davon. Und von da an brüllten die Fans noch viele Jahre glücklich bei Heimspielen: „Oh – Oh – Ohlicher!“ Und der flinke Mittelfeldspieler schoss bis 1985 157 Tore für seinen VfB, 1984 ebnete sein Treffer zum 2:1-Sieg in Bremen dem VfB am vorletzten Spieltag den Weg zur Meisterschaft.

Hoffen auf den jungen Trainer

Jetzt will der zweifache Vater, der mit seiner Frau in Esslingen lebt, als Aufsichtsrat helfen, dass der VfB wieder nach oben kommt. Ob es gleich im ersten Anlauf klappt, weiß er nicht. Aber mit Energie an etwas arbeiten und Erfolg haben – das kann er. So wurde zum Beispiel aus dem Kicker Ohlicher nach seiner Karriere ein nervenstarker Golfer mit Handicap 2. Und es gibt einen Vergleich zu damals, der ihm Mut macht. Nach dem verpassten Wiederaufstieg 1976 kam ein Trainer an den Wasen, den damals alle für zu jung und zu unerfahren hielten: Jürgen Sundermann. Der war damals 37. „Jetzt haben wir den 35-jährigen Hannes Wolf, und das ist doch ein gutes Zeichen“, hofft Hermann Ohlicher.