Das Ensemble in „Jagdszenen aus Niederbayern“ Foto: JU/Ostkreuz

Martin Kušej inszeniert an den Münchner Kammerspielen Martin Sperrs „Jagdszenen aus Niederbayern“ mit Katja Bürkle.

München - „Aus ist’s.“ Katja Bürkle sagt das mit einer derartigen Festigkeit und in einem Ton, der so glockenhell ist – Herzstillstandsmoment. Der letzte von einigen bemerkenswerten Augenblicken in den Münchner Kammerspielen: Martin Kušej hat Martin Sperrs ausgezeichnetes Stück „Jagdszenen aus Niederbayern“ von 1967 inszeniert und einen tiefernsten, abgründig wortwitzigen, streng rhythmisierten Abend daraus gemacht.

Nachdem in der vergangenen Saison Kammerspiel-Intendant Johan Simons auf der anderen Straßenseite im Residenztheater ein Jelinek-Stück inszeniert hatte, hat sich jetzt Residenztheater-Intendant Martin Kušej revanchiert und am Samstag in den Kammerspielen „Jagdszenen aus Niederbayern“ auf die Bühne der Münchner Kammerspiele gebracht.

Zu Beginn ein grandioser Pathosauftritt. Treibende Klänge, komponiert von Bert Wrede, Spot auf den strohblonden Schopf von Katja Bürkle, Stimmen, Schüsse. Dunkel. In der nächsten Szene ein Tableau mit Dorfbewohnern: Im Zwielicht stehen sie da, unbeweglich posierend, praktizieren Stimmentheater und reden darüber, warum „so einer“ abgeschoben, abgeschossen gehört – und dass er die „arme Tonka“ umgebracht habe. Missmutig und kurzangebunden sagen Maria (Cristin König) und ihr Freund Volker (Hans Kremer), dass sie bald heiraten werden, weil Marias im Krieg vermisster Ehemann für tot erklärt wurde. Die Metzgerin (Silja Bächli) krümmt sich und sagt streng zu Abrams Mutter, sie könne nichts dafür, dass der schwul sei. Derweil sinniert Totengräber Knocherl (Michael Tregor): „Das sagt man, der Mensch ist da, dass Ordnung in der Welt ist. Wenn man sich da so ein bisschen umschaut . . .“

Immer einen Schritt weiter zurück in der Menschenjagd-Geschichte geht diese eineinhalbstündige Inszenierung. Regisseur Kušej und der Dramaturg Jeroen Versteele haben den Text geschickt komprimiert, verändert und umgestellt. Sie machen aus dem Stück über Außenseiter in der Nachkriegsprovinz eine rückwärts erzählte Chronik eines angekündigten Todes. Indem sie die Spannung auf den Fortgang der Geschichte nehmen, betonen sie die Analyse, die Frage, wie es zur Jagd auf den von Katja Bürkle gespielten Homosexuellen Abram kommt.

Die Rolle mit einer Frau zu besetzen ist schon insofern klug, als die Geschlechterfrage so mehrfach gebrochen wird, wenn der von einer Frau gespielte Homosexuelle Abram es ja auch einmal mit einer Frau, mit Tonka (Anna Drexler), versucht, weil er ja „auch nicht gern so einer“ ist.

Kušej lässt am Ende Abram und seine Mutter allein miteinander reden. „Hab’ ich gewusst, was aus dir wird? Hätt’s mir sonst schon überlegt“, antwortet die verhärmte Mutter (Gundi Ellert) auf Abrams Frage, warum sie ihn überhaupt auf die Welt gebracht hat, wenn er ihr doch immer lästig war. Es ist halt nicht alles auf die anonyme Masse, auf Gesellschaft zu schieben. Kleingeisterei und Ausgrenzung beginnen im Kleinen, in der Familie. Und in der Sprache. Sperrs kantige, grobe Sätze sind in die Schauspielerkörper eingeschrieben. Sie verharren in Posen, bewegen sich langsam, schier wider Willen.

Das Ensemble zeigt ein hervorragend unsentimentales Spiel zwischen Lust und Ekel. Verklemmte, leidende Männer und Frauen, die von ihren Vorurteilen nicht loskommen; jede Figur hat ihre Nöte, ist von Vorurteilen und Angst getrieben.

Katja Bürkle spielt den jungen Abram zurückhaltend. Staksiger Gang, Hände in den Hosentaschen, forschende Blicke, keiner, der sich rasch irgendwo beliebt macht. Aber einer, der gefühlvoll ist und gescheit. Er weiß, woran die Gesellschaft krankt, wenn er mit dem sogenannten Dorftrottel Rovo (Jeff Wilbusch) über dessen Kriegstrauma spricht. Und da ist er wieder, dieser glasklare Ton, der den Abend so besonders macht. Katja Bürkle spricht Sätze, die gültig sind bis heute. „Du hast zu viel Angst, Rovo. So viel Angst ist nicht gut.“

Weitere Termine: 24., 27. Februar, 2., 14., 20. März. Kartentelefon: 089 / 23 39 66 00.