Einer der großen US-amerikanischen Songschreiber und Geschichtenerzähler: Jackson Browne Foto: dpa

Ovationen im Stehen schon vor dem ersten Ton – solche Ehre wird nicht vielen Künstlern zuteil. Jackson Browne hat sich dafür am Samstag in der Liederhalle bedankt mit über zweieinhalb Stunden voller Song-Perlen, in denen er die amerikanische Seele ausleuchtet.

Stuttgart - Große Stadien, Millionen zu seinen Füßen, Dauer-Radio-Airplay, Champagner, Privatjet – Jackson Browne hätte all das auch haben können, was sein Kollege Glenn Frey mit dem gemeinsam verfassten Hit „Take It Easy“ und den Eagles bekommen hat. Doch Browne, geboren in Heidelberg und aufgewachsen in Südkalifornien, hat sich anders entschieden, eine Singer-Songwriter-Karriere dem Superstardom mit all seinen Verwerfungen vorgezogen. Und wenn er alle paar Jahre Konzerte gibt, wirkt er immer so, als genieße er das Mehr an Leben und Freiheit, das ihm auf diese Weise vergönnt ist.

Am Samstagabend lässt Browne sein analoges Wohlfühl-Klangbad in Stuttgart ein. Vom ersten Ton an legt sich eine besondere Aura über den ausverkauften Hegelsaal der Liederhalle, die Musik umschmeichelt die Ohren, hüllt die Zuhörer völlig ein. Mal an der Gitarre, mal am Piano singt Browne vom Leben, von der Liebe, von erfülltem und verirrtem Menschsein. Das weiche kalifornische Licht, das aus jedem seiner Songs scheint, kontert er live mit blauer Beleuchtung – denn seine Grundstimmung ist nicht nur golden, sondern oft „blue“; immer schwingt bei ihm die dunkle Gewissheit mit, dass jede Idylle ihre Tücken hat.

Jugendträume und wehmütige Erinnerungen bestimmen das Eröffnungsstück „Barricades of Heaven“, „Fountain of Sorrow“ (1975) wahrscheinlich für Joni Mitchell geschrieben, handelt vom Aufflammen und Schwinden der Liebe. „For Everyman“ (1973) ist eine Reflexion des zerbrochenen Utopismus der 1960er Jahre, „You Know The Night“ eine Verbeugung vor dem amerikanischen Ur-Singer-Songwriter Woody Guthrie zu dessen 100. Geburtstag im Jahr 2012.

Die Stimme des großen Geschichtenerzählers Brownes mag sich über die Jahre aufgeraut haben, in seinem Auftreten ist er das linkische Kind der 1970er Jahre geblieben, das in Musik und Worte fassen kann, was auch viele andere bewegt.

Eine exzellente Band bringt die Songs zum Leuchten. Der englische Gitarrist Shane Fontayne ist ein großer Stilist, er zelebriert jeden seiner Solotöne, horcht ihnen nach, lässt sie wirken. Für größtmögliche Erdung sorgt Greg Leisz mit seinem virtuosen Spiel auf Lap- und Pedal-Steel-Gitarren, wahrhaft uramerikanischen Instrumenten. Wie der Fluss des Lebens unterspült die Musik der weiche, rollende Grundrhythmus von Bassisten-Legende Bob Glaub, seit Jahrzehnten erste Wahl bei Stars wie Dylan und Springsteen, und dem beherzt aufspielenden Drummer Mauricio Lewak. Jeff Young verbindet alles mit besänftigendem Orgel-Kitt und unterstützt Browne beim Satzgesang wie auch Background-Sängerin Alethea Mills mit ihrer betörenden Stimme.

Das Klangbild ist druckvoll, transparent und extrem fein austariert. Kein Detail geht unter, jede Feinheit hat ihren Raum. Das liegt freilich auch an den Musiken, allesamt Handwerksmeister alter Schule, die Instrumente und Gerätschaften mit Bedacht aussuchen, einstellen, pflegen. Sie hören aufeinander, spielen miteinander und halten auch in leisen Passagen die Spannung, unterstützt durch eine effektive Lichtregie, die die jeweiligen Solisten herausstellt.

Im zweiten Teil ändert sich die Atmosphäre zeitweise, denn in den 1980ern hat sich der lebensweise Barden Browne eine politische Facette zugelegt. „Which Side Are You On?“ fragt er auf seinem aktuellen Album „Standing In The Breach“ und im Hegelsaal, „Auf welcher Seite stehst Du?“ Die rücksichtslose Ausbeutung des Planeten Erde verbunden mit der Forderung nach einem Umsteuern ist das Thema auch des Titelsongs und der typischen Browne-Ballade „If I Could Be Anywhere“. In Stuttgart redet er über das Sterben der Ozeane und sagt: „Es könnte sein, dass wir so plötzlich aussterben wie die Dinosaurier, wenn wir nichts ändern.“ Man hätte in diesem Moment eine Stecknadel fallen hören in der gespannten Stille im Saal.

Die Entspannung folgt auf dem Fuß: Bei Brownes erstem Hit „Doctor My Eyes“ (1972) hält es niemanden mehr auf den Sitzen, das Publikum versammelt sich in den Gängen und vor der Bühne. „The Pretender“ (1976) bekommt es dann noch zu hören, ein zynisches Stück über bürgerliche Apathie, und „Running on Empty“ (1977), eine selbstironische Hymne aufs Musikerleben. Tosender Applaus, Johlen – und dann tatsächlich die Zugabe: Browne spielt seine Version von „Take It Easy“, geerdet, weniger zuckrig, und macht die kollektive Verzückung komplett.

Das lange, kurzweilige Konzert endet, wie es begonnen hat: mit Ovationen im Stehen. Zu Recht.