Weil in Niedersachsen offenbar nicht sogleich von allen Neuzugängen Fingerabdrücke genommen wurden, konnten einzelne Asylsuchende Sozialleistungen erschleichen. Foto: dpa

Das baden-württembergische Innenministerium kann bisher keinen mehrfachen Bezug von Sozialleistungen durch Asylsuchende in größerem Umfang feststellen – so wie in Niedersachsen, wo bisher Hunderte Fälle aufgedeckt wurden. Wäre dies noch immer möglich?

Stuttgart - Eine Braunschweiger Sonderkommission ermittelt in Niedersachsen in gut 300 Fällen von Sozialbetrug. Demnach haben sich Asylsuchende mit wechselnden Identitäten in mehreren Gemeinden registrieren lassen, um mehrfach Sozialleistungen zu kassieren. Vielfach soll es sich dabei um Flüchtlinge aus dem Sudan handeln. Der Gesamtschaden wird mit drei bis fünf Millionen Euro beziffert.

Der Leiter der Kripo Braunschweig, Ulf Küch, äußert den Verdacht, dass diese Methode über Niedersachsen hinaus angewandt worden sei. „Es ist zu vermuten, dass es bundesweit so gelaufen ist“, teilte der Vize des Bundes Deutscher Kriminalbeamter dieser Zeitung mit. Man könne fast sagen, „dass das organisiert war“. So etwas passiere immer, wenn Leistungen an Personen ausgezahlt werden, die man nicht kenne – da würden Lücken im System ausgenutzt. Bei einer Person mit drei Identitäten könne man von einem Schaden in Höhe von 10 000 Euro ausgehen. Ein Asylbewerber soll gar bis zu zwölf Identitäten angenommen haben – und rund 45 000 Euro zu Unrecht kassiert haben. Seine Kripo erhalte schon Anfragen von Polizeibehörden aus ganz Deutschland, so Küch.

Auffälligkeiten bei Polizeikontrollen

In der Tat tauchen auch andernorts solche Fälle auf – nicht nur in Niedersachsen. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fordert daher eine rückwirkende Kontrolle aller seit 2015 eingereisten Flüchtlinge. Er sprach sogar von hochgerechnet Zehntausenden Fällen von Sozialmissbrauch durch Migranten in Deutschland. „Das ist unerträglich.“ Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums teilte mit, dass für den Vollzug der Sozialleistungen die Kommunen zuständig sind und die Länder die Aufsicht hätten. In Braunschweig handele es sich um Fälle aus der Vergangenheit. Heute solle ein Datenaustauschverbesserungsgesetz verhindern, dass Flüchtlinge mehrfach registriert werden und Sozialleistungen beziehen.

Im baden-württembergischen Innenministerium kann man bisher kein Trend erkennen. Auch das Landeskriminalamt habe keine Kenntnis von umfangreichem Sozialbetrug. Allerdings müssten die Polizeipräsidien noch die einzelnen Fälle herausfiltern und zusammengetragen. Bisher mangelte es dafür an Relevanz. Für die Flüchtlingsangelegenheiten des Landes und die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ist die Abteilung neun des Regierungspräsidiums Karlsruhe zuständig. Deren Sprecherin versichert: „Nach jetziger Erkenntnis können wir sagen, dass es sich um Einzelfälle handelt.“ Details vermag sie noch nicht zu nennen – außer dass Mehrfachregistrierungen im Ausländerzentralregister insbesondere bei Personenkontrollen der Polizei aufgefallen seien.

Günstige Phase für Trickser ist längst vorbei

Bis zu 2000 neue Flüchtlinge täglich wurden auf dem Höhepunkt des Andrangs gezählt – im Herbst 2015 und Anfang 2016 hätten Einzelne mit Täuschungsversuchen durchaus durchkommen können, heißt es. In Baden-Württemberg soll es aber von Anfang eine Registrierung mit Fingerabdrücken gegeben haben – dies war in Niedersachsen offenbar erst von Mai/Juni 2016 an möglich. Allerdings gab es auch im Südwesten das Problem, dass erst im Frühjahr vorigen Jahres eine Schnittstelle für die Softwaresysteme der Ländereinrichtungen und des Bamf eingerichtet wurde. Danach konnte ein Abgleich vorgenommen werden.

Womöglich ist hier auch nicht so viel Geld abzugreifen: Die einzige Barleistung ist nach dem Asylbewerberleistungsgesetz am Anfang ein Taschengeld von 135 Euro pro Monat pro Alleinstehendem. Davon abgezogen werden die sogenannten Mobilitätskosten für ein Monatsticket. Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen gibt es 216 Euro. Baden-Württemberg nimmt praktisch auch keine Asylsuchenden aus dem Sudan auf, sondern ist bezogen auf Afrikaner Schwerpunktland für Menschen aus Gambia, was mit der Organisation etwa von Dolmetschern zu tun hat.

Heute nur noch 100 Flüchtlinge täglich

Heute kommen täglich nur noch um die 100 Flüchtlinge im Südwesten an, die praktisch alle zur Landeserstaufnahme an der Durlacher Allee in Karlsruhe geschickt werden. 70 bis 80 bleiben im Lande und werden zum Registrierungszentrum Heidelberg in der ehemaligen US-Siedlung Patrick-Henry-Village geleitet. Binnen zwei Wochen, so heißt es, werde dort das ganze Verfahren inklusive Asylbescheid absolviert – sofern alle Papiere vorhanden seien. Der Rest von bis zu 30 Menschen wird auf andere Bundesländer verteilt.