Die israelische Militäroffensive im Gazastreifen geht in die dritte Woche und fordert immer mehr Menschenleben Foto: Getty

„Stellen Sie sich vor, plötzlich tauchten mitten in Stuttgart Terroristen aus der Erde auf und begännen, um sich zu schießen – wie reagieren Sie?“, fragt Yakov Hadas-Handelsman – Israels Botschafter in Deutschland über Bomben in Schulen und Raketen unter Moscheen.

„Stellen Sie sich vor, plötzlich tauchten mitten in Stuttgart Terroristen aus der Erde auf und begännen, um sich zu schießen – wie reagieren Sie?“, fragt Yakov Hadas-Handelsman – Israels Botschafter in Deutschland über Bomben in Schulen und Raketen unter Moscheen.
 
Stuttgart - Herr Hadas-Handelsman, warum kommt es im Nahen Osten immer so, wie es kommt?
Das ist eine gute Frage, auf die ich so schnell keine Antwort habe. Es ist zu einfach zu sagen, das ist eben so. Solange die Terrororganisation Hamas nicht bereit ist, Israels Existenzrecht anzuerkennen, so lange wird es diesen Kreislauf aus Angriffen der Terroristen und der Selbstverteidigung Israels geben.
In irgendeiner Weise muss doch dieser teuflische Kreislauf zu durchbrechen sein, den Sie beschreiben.
Sehen Sie, wenn die Hamas keine Raketen mehr auf Israel schießen würde, dann würde es ruhig sein. Stellen Sie sich nur für einen Moment vor, statt der ganzen Raketen hätte die Hamas in den vergangenen Jahren Lebensmittel, Medikamente und Schulbücher in den Gazastreifen gebracht: Was für eine blühende Region wäre der Gazastreifen heute. Leider herrscht eine derartige Einsicht nicht aufseiten der Hamas, der Hisbollah und auch nicht auf der Seite des Iran. So haben wir die Situation, dass sich die Terroristen im Gazastreifen sechs Jahre lang aufgerüstet haben.
Aber worüber reden wir da? Sie fangen doch viele der aus dem Gazastreifen abgeschossenen Raketen mit ihren Abwehrsystemen ab?
Nur etwa ein Drittel der Raketen, die auf bewohnte Gebiete abgeschossen werden. In Israel sterben meine Landsleute durch diese Raketen. In Israel werden meine Landsleute durch diese Raketen verletzt. In Israel werden meine Landsleute durch diese Raketen fast täglich in Angst und Schrecken versetzt. Das ist der Alltag, über den Journalisten leider kaum berichten: Vor Beginn der Krise am 7. Juli schlugen 450 Hamas-Raketen in Israel ein – das sind drei am Tag.
Wenn auch ein dramatisches, so aber dank des Abfangsystems „Iron Dome“ ein beherrschbares Problem . . .
. . . wenn es das einzige wäre: Wir stellen ja nicht erst jetzt fest, dass die Hamas Tunnel unter dem Grenzzaun hindurch gegraben hat. Durch diese schleichen sich die Terroristen in unsere Dörfer und überfallen sie. Stellen Sie sich vor, plötzlich tauchten mitten in Stuttgart Terroristen aus der Erde auf und begännen, um sich zu schießen. Wie würden Sie reagieren? Ein Wort noch zu den Raketen: Inzwischen verfügen Hamas und Hisbollah über Raketen, die fast jeden Ort in Israel treffen können: Jerusalem, Tel Aviv, Haifa. Stellen Sie sich vor, Sie wären in Deutschland nur in den Alpen sicher davor, von Raketen getroffen zu werden.
Was ist Ihre Erklärung für diese anhaltenden Attacken der Hamas?
Die Antwort ist ganz einfach. Sie steht in der Charta der Hamas: Sie will Israel vernichten. Das werden wir nicht zulassen. Wir sind an dem Punkt angekommen, wo wir um unsere Heimat, um unser Leben kämpfen.
Während wir miteinander sprechen, sind 25 israelische Soldaten gefallen, zwei israelische Zivilisten getötet worden, Hunderte Palästinenser gestorben. Was fühlen Sie da?
Es macht mich zutiefst traurig. Vor allem deshalb, weil viele der palästinensischen Zivilisten noch leben könnten. Wir haben zum Teil sogar Tage vor unseren Angriffen die Menschen aufgefordert, die entsprechenden Gebiete zu verlassen. Weil wir wissen, dass Abschussrampen in der Nähe von Kinderspielplätzen aufgebaut werden. Dass die Hamas ihre Bomben in Schulen und Krankenhäusern baut. Oder ihre Raketen unter Moscheen zusammensetzt und dort versteckt.
Das behaupten Sie . . .
. . . nein, ich beweise es. Nehmen Sie das Beispiel des Ortes Shuja’iya, den Sie im Norden Gazas mit bloßem Auge von der Grenze aus sehen können. Von dort wurden am 13. und 14. Juli Raketen direkt neben dem Krankenhaus, von einem Spielplatz, von einem Friedhof und aus dem Hof einer Moschee auf Israel abgeschossen. Was Ihnen die Kameras und ihr Auge nicht zeigen, ist: Es gibt ein zweites Shuja’iya unter der Erde, in das unsere Soldaten sich gerade vortasten. Dort finden sie Bombenwerkstätten, Raketenverstecke und Waffenlager – direkt unter den Häusern, in denen Palästinenser leben. Und das ist beileibe kein Einzelfall. Sagen Sie mir: Was sollen wir da tun, um unsere Staatsbürger vor den Angriffen der Hamas zu schützen?
Ein Staatsmann hat am vergangenen Wochenende in Sachen Gaza-Konflikt auf sich aufmerksam gemacht. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan hat gesagt – ich zitiere – , „der terroristische Staat Israel hat mit seinen Gräueltaten in Gaza Hitler übertroffen“. Was macht ein solcher Einwurf mit Ihnen?
Ich weiß nicht, in welcher Welt Erdogan lebt. Auf keinen Fall in unserer Realität – und damit meine ich eine normale Sicht der Dinge. Aber das müssen Sie ihn fragen, was er damit bezweckt.
Ich frage aber Sie, was das Ganze mit Ihnen macht.
Eines kann ich Ihnen sagen: So etwas ist furchtbar, das ist klassischer Antisemitismus. Wir waren in unseren israelisch-türkischen Beziehungen da schon deutlich weiter.
Die Türkei möchte gerne ein weiterer Vermittler in der arabischen Welt sein, eine weitere Führungsnation.
Um vermitteln zu können, um gehört zu werden, muss man vertrauensvolle Beziehungen zu beiden Parteien haben, zwischen denen man vermitteln will. In diesem Fall ist es mehr als klar, dass das nicht funktioniert. Im Fall der Hamas haben wir eine ungewöhnliche Gemengelage: Die Terroristen werden aus dem Iran, aus Katar und aus der Türkei unterstützt. Eines ist sicher: Eine Nation mit dem Anspruch, in der arabischen Welt oder sogar in einer der strategischen Schlüsselregionen dieser Welt führen zu wollen, wird dies nicht mit solch fürchterlichen Parolen tun können.