Ein Siedler-Haus in Hebron nach der Räumung. Foto: EPA

Der Israelische Premier Netanjahu gerät wegen des Siedlungsbaus in Bedrängnis.

Jerusalem. Zehn Monate lagen die Baustellen in den israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland brach. Jetzt sollen die Bagger wieder an die Arbeit: "Wir haben das Moratorium genutzt, um Pläne auszuarbeiten und alles vorzubereiten, damit es endlich losgehen kann", sagt der Siedler Israel Medad und zeigt auf ein Schild, das für das nächste Bauprojekt in der Siedlung Shilo wirbt: Schimmernd weiß erheben sich darauf terrassierte Häuser über dem fruchtbaren Tal. Der traumhafte Ausblick zeigt palästinensische Olivenhaine, die an jüdische Weinberge grenzen. Doch die Häuser in Shilo sind nicht Ausdruck verträumter Bibelromantik. Das Ende des Baustopps könnte die gerade erst begonnenen Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern jäh stoppen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte den Baustopp verfügt, um direkte Gespräche mit dem palästinensischen Präsident Mahmud Abbas zu ermöglichen. Dieser sieht im fortschreitenden Siedlungsbau einen Versuch, Fakten zu schaffen, die das Ergebnis der Verhandlungen zu Israels Gunsten beeinflussen sollen: "Je mehr illegale Siedlungen Israel baut, desto weniger Land bleibt für einen Palästinenserstaat", sagt der palästinensische Sprecher Hussam Zomlot. Abbas will nur solange verhandeln, wie das Moratorium in Kraft bleibt. Medad hingegen will verhindern, dass Netanjahu den Baustopp weiter verlängert.
 
"An einem klaren Tag kann man von hier aus drei von Israels vier Grenzen sehen: Den Hermon-Berg im Norden, die Berge Moabs in Jordanien und das Mittelmeer", sagt Lior Shtul, Direktor der Toraschule Bnei David (Die Söhne Davids) in Eli, einem Nachbarort der Siedlung Shilo. Hier bereitet er religiöse Israelis auf ihren Wehrdienst vor. "Dies ist das Kernland Israels", sagt Shtul. Ortsnamen wie Eli und Shilo stammen aus der Bibel und sollen auf die historische Verbindung zwischen Juden und dem Land hinweisen. In Shilo befand sich einst das Stiftszelt, in dem die Bundeslade stand, bevor sie in den Tempel in Jerusalem gebracht wurde. Tatsächlich haben Archäologen am Berg Überreste gefunden, die mit der biblischen Überlieferung in Zusammenhang stehen. Die Siedler betrachten ihre Präsenz deswegen als Rückkehr zu ihren Wurzeln: "Die Bauaktivität eines Juden in diesem Land kann doch gar nicht illegal sein. Es gehört uns", sagt Medad. Araber hingegen nennen das Land Palästina, und die Siedler sind für sie Kolonialisten, die ihr Land rauben.

Angst vor Raketen

Die Siedler führen nicht nur theologische Argumente ins Feld. "Wenn es die Siedlungen nicht gäbe, würde sich auch Israels Armee bald zurückziehen", sagt Shtul. "Nur sie verhindert, dass die radikalislamische Hamas die pragmatische Regierung der Palästinenser stürzt, genau, wie es in Gaza vor fünf Jahren geschehen ist", meint Shtul. Dann sei es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Raketen aus dem Westjordanland auf Israel abgeschossen würden, genau wie an der Grenze zu Gaza heute.Shtul kennt den Preis der israelischen Besatzung: Zwanzig seiner Schüler sind in den letzten zwanzig Jahren in Kriegen getötet worden, darunter befinden sich auch Soldaten, die in Israel als Kriegshelden gefeiert werden wie der Offizier Roi Klein. Der warf sich auf eine Handgranate, um das Leben seiner Soldaten zu retten: "Kleins Witwe und zwei Kinder wohnen hier bei uns. Sie sind eine Inspiration für unsere Schüler, alles für den Staat zu geben", sagt Shtul.Doch Siedler wie Shtul oder Dani Dayan, der Vorsitzende des Siedlerrats, glauben nicht, dass ein Palästinenserstaat ihnen Sicherheit bringen kann: "Natürlich wollen wir Frieden. Aber ein Palästinenserstaat wird ein Quell der Unruhe für die gesamte Region werden", sagt Dayan. "Manche Gleichungen haben einfach keine Lösung."

Netanjahu steht nun vor einem schweren Dilemma: Seine Regierung stützt sich auf die Vertreter der Siedler, selbst Netanjahus Partei sympathisiert mit ihnen. Die sind ohnehin über den Baustopp erzürnt: "So hart ist noch keine Regierung gegen uns vorgegangen", sagt Shtul. Dani Dayan ist allerdings zuversichtlich: "Es ist für Netanjahu politisch unmöglich, das Moratorium formell zu verlängern. Seine Regierung würde innerhalb von Wochen oder Monaten stürzen." Nimmt Israel jedoch den Siedlungsbau wieder auf, droht nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen eine diplomatische Isolation: "Niemand will dafür die Verantwortung tragen, zumal die USA sehr tief im Prozess involviert sind", sagt ein Berater Netanjahus. Seit Wochen sucht man deswegen nach einer Kompromisslösung. Eine Option wäre, das Moratorium zwar nicht zu verlängern, aber trotzdem insgeheim nur in sehr beschränktem Ausmaß zu bauen. Die Fortsetzung eines völligen Baustopps schlossen selbst pragmatische israelische Kabinettsmitglieder kategorisch aus: "Auch die Palästinenser müssen Flexibilität an den Tag legen", sagen sie.

Palästinenser drohen

Die palästinensische Seite scheint dies inzwischen zu akzeptieren: "Wir schauen auf Fakten, nicht Deklarationen", betonte ein Mitglied des palästinensischen Verhandlungsteams gegenüber unserer Zeitung. Solange Israel nur vom Siedlungsbau spreche, vor Ort aber keine neuen Bauten entstünden, blieben die Palästinenser weiter am Tisch, deuten Quellen in Ramallah an. Letztlich hänge alles von der öffentlichen Meinung ab: "Je mehr Siedlungen entstehen, desto schwerer wird es für uns, am Tisch zu bleiben."

Kurz vor Ablauf des Moratoriums zeigte Abbas sich denn auch plötzlich flexibler: In einem Gespräch mit Juden in den USA drohte er nicht mehr kategorisch mit dem Abbruch der Gespräche, falls der Baustopp nicht verlängert würde. Auch Dayan hält den Mittelweg für wahrscheinlich: "Zunächst werden nur wenige Siedler den Siedlungsbau wieder aufnehmen können, hauptsächlich diejenigen, die bereits Baugenehmigungen besitzen, die seit Monaten eingefroren waren. Um die Siedlungen massiv aufzubauen, bedarf es aber offizieller Ausschreibungen der Regierung, und das kann Monate dauern", sagt Dayan. Doch Infrastrukturminister Uzi Landau von der nationalistischen Partei Israel Beiteinu ("Israel ist unser Heim") kündigte an, ab Sonntag wieder Millionenprojekte im Westjordanland anzuleiern: "Auch die Siedler haben Menschenrechte", sagt Landaus Sprecher Chen Ben Lulu. Für die Palästinenser sind solche Äußerungen eine Provokation. Sie können einstweilen nur hoffen, dass das Nahost-Quartett - Vertreter der UN, EU, USA und Russland - die Siedler noch einmal in die Schranken weisen kann. US-Außenministerin Hillary Clinton übte sich in Zweckoptimismus und bescheinigte Netanjahu sowie Abbas, ernsthafte Gespräche zu führen. "Israel und die Palästinenser sollen den Glauben an den Friedensprozess trotz aller Schwierigkeiten nicht verlieren."