Zivilisten sind die Leidtragenden des Bürgerkriegs in Syrien. Foto: AFP

Aus Angst hielt sich Israel jahrelang aus dem Bürgerkrieg in Syrien heraus. Doch hinter den Kulissen startete die Regierung ein groß angelegtes Hilfsprogramm für Notleidende im Nachbarland - eine Allianz, die noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre.

Golanhöhen - Mit Tonnen von Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidungsstücken hat Israel in den vergangenen Monaten die Opfer des syrischen Bürgerkriegs versorgt. Die „Operation Guter Nachbar“ läuft nach Angaben Jerusalems bereits seit mehr als einem Jahr, wurde aber bislang verdeckt gehalten. Die Streitkräfte stellten das umfangreiche Hilfsprogramm in der Grenzregion erst jetzt vor. Die Präsentation markiert eine wichtige Ausweitung des israelischen Engagements in einem Konflikt, dem das Nachbarland bisher aus dem Weg zu gehen versuchte. Zu groß war die Angst in Israel, in die Kämpfe hineingezogen zu werden.

Das Militär beschränkt sich auf gelegentliche Luftangriffe auf mutmaßliche Waffenlieferungen der verfeindeten Hisbollah-Miliz, die an der Seite der syrischen Regierungstruppen kämpft, und reagiert vereinzelt auf Schüsse auf israelisches Gebiet. Doch zur gleichen Zeit wurde im Verborgenen humanitäre Hilfe für rund 4000 Zivilpersonen organisiert, darunter 900 Kinder. Im Laufe des vergangenen Jahres wurde das Programm deutlich ausgeweitet: Während es anfangs nur für verletzte Zivilisten vorgesehen war, umfasst es nun auch lebensrettende medizinische Hilfe für kranke Kinder. Zudem stellten die Streitkräfte nach eigenen Angaben 450 000 Liter Treibstoff bereit sowie mehr als 360 Tonnen Lebensmittel und Rohre mit einer Gesamtlänge von 600 Metern zur Reparatur zerstörter Wasserleitungen.

Aktuell bauen israelische Soldaten an der Grenze zu Syrien ein Feldlazarett mit moderner medizinischer Ausstattung. Die Hilfe sei dringend notwendig, erklärt der leitende Stabsarzt des Nordkommandos, Oberst Noam Fink. Denn etwa 70 Prozent aller syrischen Ärzte hätten das Land verlassen und die medizinische Infrastruktur sei zerstört worden. „Wir können nicht einfach daneben stehen und das hier ignorieren“, sagt Fink.

Mehr als 400 000 Menschen hat der Bürgerkrieg bereits das Leben gekostet. Über elf Millionen weitere und damit die Hälfte der syrischen Gesamtbevölkerung wurden seit 2011 aus ihren Häusern vertrieben. Fünf Millionen von ihnen flüchteten ins Ausland. Fink betont, die „Operation Guter Nachbar“ sei rein humanitär motiviert. Doch zugleich räumt er ein, dass der gute Wille langfristig zu einem Abbau der Spannungen beitragen könnte und die „internationale Sprache der Medizin“ zu einer friedlichen Zukunft verhelfen könnte.

Israel und Assad verbindet eine erbitterte Feindschaft

Noch vor kurzem wäre jeglicher Zusammenhalt zwischen Syrern und ihren israelischen Wohltätern undenkbar gewesen. Israel und die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad verbindet eine erbitterte Feindschaft. Entlang der Linie auf den geteilten Golanhöhen gab es in der Vergangenheit praktisch keinerlei Kontakt. Israel hatte Teile des strategisch wichtigen Plateaus im Sechstagekrieg 1967 von Syrien erobert. Der Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 veränderte das Gebiet drastisch. Die syrische Seite des Golans ist heute zwischen Regierungstruppen und einer Vielzahl von Rebellengruppe geteilt.

Die Soldaten von Assad werden von russischen und iranischen Streitkräften sowie von Kämpfern der libanesischen Hisbollah unterstützt. Die Nachbarstaaten Syriens vermuten, dass der Iran eine umfassendere Agenda verfolgt, darunter den Ausbau eines Landwegs in den Libanon. Entsprechend besorgt reagierte Israel auf eine kürzlich unter Vermittlung Russlands und der USA ausgehandelte Waffenruhe im Süden Syriens. Nach Angaben aus israelischen Militärkreisen gingen die Kämpfe seitdem zwar zurück. Doch unter den diversen Rebellengruppen, die etwa 85 Prozent der an Israel grenzenden Provinz kontrollieren, dauere die Gewalt weiter an.

Die Anwohner an der israelischen Grenze sitzen zwischen den Konfliktparteien fest und haben kaum eine Möglichkeit zur Flucht. Dennoch hat es sich herumgesprochen, dass der langjährige Feind Israel inzwischen überraschend zum Helfer mutiert ist. „Das Einzige, was sie über Israel wissen, sind die Geschichten“, sagt Oberst Barak Hiram, Befehlshaber der Regionalbrigade an der Grenze. „Wenn sie beschließen, dass die israelische Grenze der einzige sichere Ort ist, an den man flüchten kann, dann kann man sich vorstellen, wie schlecht es ihnen geht.“

Zur Beruhigung wurden die an die Grenze geflohenen Syrer mit einem Frühstück empfangen und die Kinder von arabisch sprechenden Clowns begrüßt, wie er sagt. Auf einem nahe gelegenen Stützpunkt werden Kisten mit Bohnen, Weizen, Zucker und Öl ebenso bereitgehalten wie Beatmungsgeräte, Babynahrung und Windeln. Israel versorge ausschließlich Zivilpersonen und stehe nicht mit der Terrormiliz Islamischer Staat und anderen Dschihadisten in Kontakt, betont Hiram. Bislang habe noch niemand die Operationen gestört oder absichtlich auf israelische Soldaten in dem Einsatz geschossen.