Die Oststadtschule II (hier ein Archivbild) ist in die Schlagzeilen geraten. Foto: factum/Archiv

Die AfD behauptet, in Ludwigsburg seien Grundschüler zu islamischen Praktiken gezwungen worden. Doch Belege bleibt sie schuldig – das ist der eigentliche Skandal, so der Kommentar von Rafael Binkowski.

Ludwigsburg - Wenn es um Kinder geht, ist die Aufregung immer besonders groß. Deswegen hat die Islamstunde in der Oststadtschule II so große Wellen geschlagen. Der AfD-Bundesvorsitzende und Landtagssprecher Jörg Meuthen hat wie so häufig ungeprüft einen Vorwurf auf Facebook und Twitter verbreitet: Schüler seien zum islamischen Kotau auf dem Gebetsteppich gezwungen worden und hätten einen Satz vorlesen müssen, wonach Allah der einzige Gott sei.

Das passt nun wunderschön in das Zerrbild der Rechtspopulisten, die uns tagtäglich erzählen wollen, das christliche Abendland werde von einer Horde muslimischer Eiferer überrannt. Das mediale Echo reicht vom SWR bis zu bundesweiten Magazinen wie dem Focus. Bei Licht betrachtet bleibt von dem Vorgang nichts übrig. Die Schulleitung, das Schulamt, der Elternbeirat, selbst die Referendarin, die den Unterricht gestaltet hat, andere Eltern und Mitschüler: Keiner kann sich daran erinnern, dass auch nur eine angedeutete Form von Zwang stattgefunden haben soll. Selbst Meuthen behauptet in den sozialen Medien lediglich, die Schüler hätten sich „zum Mitmachen verpflichtet“ gefühlt.

Beweise werden nicht vorgelegt

Es ist nur der Brief einer einzigen Mutter an die Behörden, der Meuthens Aufschrei in den sozialen Medien zugrunde liegt. Auch wenn Jörg Meuthen in einem zweiten Posting inzwischen von „Beweisen“ spricht, so bleiben er und die beschwerdeführende Mutter die Vorlage derselben schuldig. Stattdessen zettelt der AfD-Chef zur Ablenkung eine Debatte darüber an, ob islamische Gebete überhaupt in den Religionsunterricht gehören.

Das ist so dünn, dass es nicht mal in diesem müden Sommerwahlkampf ausreichen sollte. Tatsächlich gehört es in jeder Grundschule zum Lehrplan, dass andere Religionen behandelt werden. Dazu gehört auch Anschauungsmaterial wie eine Thora-Rolle fürs Judentum und ein Gebetsteppich für den Islam. Und natürlich sollen die Schüler auch die Gebete und Praktiken anderer Glaubensrichtungen ausprobieren dürfen. Das ist tagtägliche Realität.

Wahlkampfgag auf dem Rücken der Schüler

Man könnte das Ganze als Wahlkampfgag abtun. Doch gerade weil es hier um Kinder geht, ist nicht nur die Aufregung groß. Sondern auch der Abgrund, der sich auftut. Werden jetzt schon missverständliche Schilderungen eines einzelnen Viertklässlers in der Grundschule herangezogen, um die krude These der Überfremdung zu belegen? Es entspräche einem Minimum an politischem Anstand, wenigstens die Kleinsten aus dem Wahlkampf heraus zu halten. Solcherlei Skandalisierung von ganz alltäglichen Vorgängen vergiftet das Klima und trägt die Verunsicherung bis in die Familien. Vielleicht sind Meuthens Postings aber auch ein Zeichen der Ratlosigkeit. Denn die Umfragewerte der AfD sinken, je weniger Flüchtlinge kommen. Da kommt wohl jede Petitesse gelegen.