Hinter Gittern entstehen schnell geheime Netzwerke – auch radikal-islamische Foto: dpa

Seit nach dem Anschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ bekannt wurde, dass einer der Täter hinter Gittern radikalisiert wurde, ist die Rede von Gefängnissen als „Brutstätten“ für Terroristen. Damit dies hierzulande nicht passiert, sollen islamische Theologen stärker in Gefängnissen lehren.

Mannheim - Der Gottesdienst im Mannheimer Gefängnis ist gut besucht. 98 Männer drängelten sich am vergangenen Sonntag in der anstaltseigenen Kirche, davon kann mancher Gemeindepfarrer nur träumen.

Natürlich weiß Gotthold Patberg, einer von drei hauptamtlichen Seelsorgern in Baden-Württembergs größtem Knast, dass seine Schäfchen nicht nur in frommer Absicht kommen. Zwischen Predigt und Psalmen werden gern auch handfestere Dinge besprochen. Doch wenn die Gefangenen ihre Schale überhaupt mal öffnen, davon ist der evangelische Pfarrer überzeugt, dann in dieser Zeit der Besinnung.

Auch der eine oder andere Muslim mischt sich unter die Besucher, obwohl das niemand so genau weiß: „Die Religion wird von uns nicht abgefragt“, sagt Gefängnisdirektor Thomas Weber. Doch er weiß, dass 17 Prozent seiner rund 600 Häftlinge aus islamisch geprägten Staaten stammen, sie allein könnten also die Kirche füllen. Zweimal im Monat kommt deshalb ein Imam von der Yavus-Sultan-Selim-Moschee herüber, um den Gefangenen Religionsunterricht zu erteilen: „Ich mache Therapie“, sagt Mustafa Aydinli, „und ich habe Geduld.“

Seit rund 20 Jahren gibt es diese Zusammenarbeit in der rauen Stadt an Rhein und Neckar, und lange hat sich niemand dafür interessiert. Seit jedoch nach dem Anschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ bekanntwurde, dass einer der Täter hinter Gittern radikalisiert wurde, ist allenthalben die Rede von Gefängnissen als „Brutstätten“ für Terroristen.

„In Baden-Württemberg ist das nicht so“, versichert Justizminister Rainer Stickelberger und verlässt sich dabei auf den Verfassungsschutz – und auf seine Gefängnischefs. Die wiederum berufen sich auf ihr Personal, dem in den engen Mauern wenig verborgen bleibt, aber auch auf sogenannte Strukturbeobachter. Das sind Leute, die besonders auf Netzwerke, Hierarchien und Subkulturen hinter Gittern achten sollen. Auch eine Checkliste gibt es mit Hinweisen für die Bediensteten auf extremistische Tendenzen.

Islamistisches Gedankengut sei danach allenfalls bei vier der rund 6600 Gefangenen im Land erkennbar, sagt der Minister. Doch er sagt auch: „Da kommt noch etwas auf uns zu.“ Denn mit jedem verurteilten Heimkehrer aus dem Heiligen Krieg – 30 Dschihadisten sollen derzeit in Syrien und im Irak sein – wächst die Gefahr, dass sie andere anstecken.

Sie abzusondern von den anderen Gefangenen, halten die Vollzugsexperten dennoch für falsch. „Damit macht man sie nur zu Märtyrern, oder es wächst so eine Desperado-Mentalität“, sagt Gefängnischef Weber. Stattdessen setzt er auf „Gesinnungsisolation“, also darauf, dass Islamisten mit ihren Missionsversuchen scheitern.

Dass dies nicht einfach ist in einer Welt von Gescheiterten und Gestrandeten, räumt Weber ein: „Viele hier sind empfänglich für einfache Antworten.“ Außerdem versuchten radikale Gruppen, einen Fuß hinter die hohen Mauern zu bekommen. Umso wichtiger seien Religionsgelehrte wie Mustafa Aydinli, die den Gefangenen zeigten, dass Salafismus eine Pervertierung des Islam sei. Auch in Mannheim gebe es da noch Nachholbedarf, obwohl sich hier schon ein Moscheeverein engagiert. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir mehr Imame als Ansprechpartner hätten“, sagt Stickelberger.

Aus dem Stand wird das nicht gehen, glaubt Pfarrer Patberg. Denn Gefängnisseelsorge erfordere eine gründliche fachliche Schulung: „Da können Sie nicht jeden hinsetzen.“ Während die christlichen Kirchen sich hierbei schon lange engagierten, erkenne der Islam diese Notwendigkeit erst allmählich, sagt Patberg. Und welche Islam-Richtung ist überhaupt gemeint? Man könne die fachliche Führung doch nicht dem Staat überlassen, vielmehr müssten sich die Muslime untereinander einigen – dasselbe Problem also wie beim Islamunterricht an Schulen. Integrationsministerin Bilkay Öney hat deshalb kürzlich einen „Beirat“ islamischer Verbände als Ansprechpartner für den Staat vorgeschlagen.

Einstweilen setzen die Vollzugsexperten darauf, dass weitere ehrenamtliche Kräfte der Moscheevereine die Imame unterstützen – einige von ihnen sind bereits in Ausbildung. Nötig sei aber auch ein besserer Informationsaustausch zwischen den Behörden. Die Justizministerkonferenz, die im Juni in Stuttgart tagt, hat das Thema auf der Tagesordnung.