Leitet seit 1. März das Produktionszentrum für Tanz und Performance: Isabell Ohst Foto: Blende 11

Seit dem 1. März hat das Produktionszentrum Tanz und Performance eine neue Geschäftsführerin. Und Isabell Ohst hat schon jetzt alle Hände voll zu tun: Mit der Stadt Stuttgart verhandelt sie über die lang diskutierte Spielstätte für die freie Szene.

Stuttgart - „Genau mein Ding!“ Ihre Augen leuchten, als Isabell Ohst erzählt, wie sie Spanisch entdeckte, damals in der neunten Klasse des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Marbach. Und dass diese Sprache, neben einem Interesse für die Kunst, irgendwann ihren Lebensweg bestimmen sollte, schien klar. „Nach dem Abitur ging ich als Au-Pair nach Barcelona, studierte dann Iberomanische Philologie, Kulturwissenschaften der englischsprachigen Länder und Kunstgeschichte in Würzburg und Barcelona.“ Dass dann die katalanische Hauptstadt im Angebot war, als sie sich im Erasmus-Austauschprogramm bewarb, glich einem Omen. „Ideal!“, erinnert sich Ohst. „So bekam ich einen tieferen Einblick in die Kultur und lernte Katalanisch.“

Hier im alten Felsenkeller in Stuttgart-Feuerbach, geht es immerhin einmal im Jahr Spanisch zu, wenn Choreografin Catarina Mora zum Stuttgarter Flamenco Festival lädt. In dem denkmalgeschützten Bau hat Isabell Ohst seit dem 1. März ihren Schreibtisch: Sie ist die neue Geschäftsführerin des Produktionszentrums Tanz und Performance (PZ). Der Verein fördert seit 16 Jahren freischaffende Tänzer und darstellende Künstler, ist Anlaufstelle für Tänzer, Choreografen und Performer der freien Szene Stuttgarts. „Das hat mich gereizt.“ Entspannt erklärt die 28-Jährige, warum sie sich um die Stelle im PZ beworben hat. Zuvor, als Stipendiatin im Bereich Kulturmanagement bei der Kunststiftung Baden-Württemberg, habe sie weniger mit Tanz, eher mit Bildender Kunst zu tun gehabt. „Das Management bleibt gleich. Aber in eine neue Richtung zu gehen, in der Spielstättenproblematik etwas bewirken zu können, dieser Herausforderung, auch der politischen, wollte ich mich stellen.“

Freie Szene sucht seit mehr als 10 Jahren eine Spielstätte

Diese Problematik kennen nicht nur die mittlerweile 50 Mitglieder des PZ nur zu gut, auch viele andere freischaffenden Künstler. Seit mehr als zehn Jahren wird in Stuttgart diskutiert, ob und wo die Freien eine Spielstätte bekommen, in der sie ihre Stücke zeigen und produzieren können. Da wurde so manches angedacht, angeschaut und als nicht finanzierbar verworfen – zuletzt das ImWerk8 im Feuerbacher Industriegebiet. Gerade die letzte Absage löste viel Unmut aus in der freien Szene, die bis zum Sommer vergangenen Jahres für neun Monate übergangsweise das ehemalige Straßenbahndepot im Osten als Spielstätte nutzen konnte und nach dem Auszug aus dem Ost nun wieder heimatlos ist. „Das Scheitern des IW8 hat das Vertrauen einiger in die Stadt enttäuscht“, so Isabell Ohst. „Aber man muss nach vorne schauen. Ich sehe es als Teil meiner Verantwortung, alle wieder zusammenzubringen.“

Die Chance kam schneller, als sie dachte. Schon an ihrem zweiten Arbeitstag gab es ein Gespräch mit der Kulturamtsleiterin Birgit Schneider-Bönninger zum Thema Spielstätte. „Die Stadt kam auf das PZ zu, es gibt viel Interesse, alles zu einem guten Ende zu bringen.“ Klar sei, dass der Spielort auch zeitgenössische, interdisziplinäre Formate zulassen müsse, viele Bedürfnisse der Freien abdecke, ob Tanz auf der Bühne, Lesungen im Foyer oder interdisziplinäre Performances durch das Haus.

Gefunden scheint dieser Ort nun zu sein, hinter dem Theaterhaus am Pragsattel. In dem 40 Millionen Euro teuren Ergänzungsbau soll, nach den Plänen des Kulturamts, nicht allein die Theaterhaus-Kompanie Gauthier Dance unterkommen, sondern auch die Freie Szene. „Das gewünschte Produktionshaus ist zwar nun vom Tisch, aber dort ist Potenzial für ein Kulturzentrum“, schwärmt Ohst. „Durch die Nachbarschaft von Theaterhaus, Friedrichsbau Varieté und Gauthier Dance können sich Synergien ergeben. Sinnvoll ist, dass die Freie Szene, wie angedacht, einen eigenen Eingang, mit autarken Räumen und eigenem Programm hat.“ Nach Schneider-Bönninger sei eine Spielstätte für 150 Zuschauern, einer 350 Quadratmeter großen Bühne, Lagerräumen, Garderobe, Teeküche und sanitären Anlagen vorstellbar. Wie die Kulturamtschefin freut sich auch die PZ-Chefin, dass alle Beteiligten dies befürworten, insbesondere die drei wichtigsten Organe der Freien Szene: Neben dem PZ ist das der Trägerverein Vereinigung der freien darstellenden Künstler für Stuttgart und die Region sowie der Verein Freie Theater Stuttgart.

Die Initiative „Tanz Süd“ versucht stärkere Vernetzung

„Alles muss höchst transparent ablaufen, die PZ-Mitglieder bekommen nach jedem Gespräch ein Protokoll“, so die Kunsthistorikerin. Ernst fügt sie hinzu: „Ich mag keine Hinterzimmergespräche. Es muss um die Sache gehen, nicht um Eigeninteressen.“ Daher sei es meist besser, wenn Nicht-Künstler derlei Häuser oder Interessensvertretungen leiteten. „Sie haben eher das große Ganze im Blick.“

Um wiederum im Auge zu behalten, was die PZ-Mitglieder wünschen, hat Ohst begonnen, mit jedem einzelnen zu sprechen. „Ich will wissen, was sie brauchen, was wir besser machen können. Wir müssen verhindern, dass Tänzer und Choreografen weiter abwandern nach Berlin oder sonst wohin oder ganz aufhören. Und wir müssen uns um den Nachwuchs kümmern.“ Dafür sei Spielstätte und Förderung wichtig, denn um Geld zu verdienen, tourten viele Tanzschaffende zwischen Stuttgart und anderen Städten, wo sie engagiert würden. „Das ist zeit- und kräfteraubend“, ist Ohst überzeugt. „Doch es geht auch um die Anerkennung und ein Publikum, das nicht nur unterhalten werden will, sondern offen für neue, tiefgründige Formen und Experimente ist.“ In Berlin und Nordrhein-Westfalen sei das, aufgrund des Tanzhauses und anderen subkulturellen Strukturen, bereits gegeben.

Ohst begrüßt daher, dass die Macher des Heidelberg Unterwegstheaters und des dortigen Choreografischen Zentrums die Initiative „Tanz Süd“ starteten, in der es darum geht sich zu vernetzen und gegenseitig Präsenz in anderen Städten zu verschaffen.

„Ich könnte mir auch vorstellen, internationale Austauschprogramm zu initiieren, etwa mit Barcelona, wie es in der Bildenden Kunst eines bei der Kunststiftung gibt“, denkt sie nach vorn. Auch Professionalisierungskurse stehen auf ihrer Liste, in denen Tanzschaffende über die Arbeit als Selbstständige informiert würden.

Und freilich soll das Workshop- und Vernetzungsfestival „Tanzspur“ wieder im Herbst stattfinden, das vergangenes Jahr erfolgreich etabliert wurde, mit Projektförderung aus dem Innovationsfonds der Stadt. „Wir suchen derzeit Sponsoren.“

Reicht für all dies eine 50-Prozent-Stelle? „Ein volles Programm“, gibt Ohst zu. „Ich bin super empfangen worden, alle helfen mit. Und ich kann noch Kunstausstellungen kuratieren – dabei neue Kontakte für das PZ knüpfen. Ich will die Schnittstelle zwischen Performance, Kunst, Tanz und Literatur weiter öffnen – und, wenn es möglich ist, dazu interdisziplinäre Veranstaltungen machen.“