Hurling ist ein rasanter Mannschaftssport mit axtförmigen Schlägern und in Irland ein echtes Kulturgut. Foto: irland Tourismus

Keltische Rhythmen, Hungerschiffe und den schnellsten Mannschaftssport der Welt kann man in Wexford, einer Grafschaft im Südosten Irlands, entdecken.

Kilkenny - Alles eine Frage des Takts. Von Rhythmus und Timing. „Hoppedi, hoppedi, hoppedi, hoppedi - hoppedi, hoppedi, hopp: Das ist der Jig“, sagt Barry Keatley und schlägt mit dem Holzschlegel auf seine Bodhran, die irische Trommel. Locker aus dem Handgelenk. Mal mit Aufschlag, mal mit Abschlag. Dann wechselt er in den 2/2-Takt. „Blackunddecker, blackunddecker“, singt er dazu. Klar: Das ist der Reel, genau genommen ein schottischer Import. Barry Keatley klopft in immer schnellerem Tempo auf das straff gespannte Ziegenfell und singt mit rauer Stimme ein Liedchen. Über Nancy O., irgendeine Liebste. Auf den dunklen polierten Holztischen von Kyteler’s Inn, Kilkennys ältestem Pub, stehen Biergläser mit wässrigem Pale Ale und schaumlosem Cider. Hier wird seit 1324 getrunken und getrommelt, als noch die vierfache Witwe Anne de Kyteler Wirtin war, bevor sie wegen Hexerei zum Tode verurteilt wurde. Sie entkam dem Galgen nur knapp.


Irland ist voll von Geschichten wie diesen, die mit bis an den Rand gefüllten Gläsern in der schwieligen Faust erzählt werden. Gläser, in die rasch das Gebräu von Guinness, Harp oder Kilkenny gekippt wird. Oder von Smithwick’s, wo in enger Nachbarschaft zu Kyteler’s Inn seit dem 12. Jahrhundert Irlands ältestes Ale gebraut wird - eine geschmackliche Herausforderung, der sich kontinentale Zungen auch nach der Führung durch das fluffige Biermuseum nur widerstrebend, wenngleich ausdauernd stellen. Wie auch immer: Den Iren schmeckt’s. Die rund 20 000 Einwohner von Kilkenny (gälisch Cill Chainnigh, was bedeutet: Kirche des Canisius) jedenfalls können unter zwei Kathedralen und neun Kirchen wählen - und unter 70 Pubs. „So ist das hier in Kilkenny“, sagt Fremdenführer Pat Tynan begeistert. Er scheint sie alle ausprobiert zu haben.


Volkstänze und Melodien

Es sind Volkstänze wie Jig und Reel, die die Iren seit Jahrhunderten ausgelassen auf den Tischen tanzen oder leidvoll zugedröhnt unter selbigen liegen lassen. Weisen, mit denen der großartige Jordi Savall auf der Viola da Gamba und der virtuose Violinist Thomas Hayes in der St.-Canisius-Kathedrale ein andächtiges Festival-Publikum begeistern. Melodien, wie sie hunderttausendfach in den ärmlichen Hütten zum Besten gegeben wurden, als zwischen 1845 und 1852 nach Missernten, die von der neuartigen Kartoffelfäule ausgelöst wurden, eine Million Menschen, etwa zwölf Prozent der irischen Bevölkerung, verhungerten. Zwei Millionen Iren gelang die Auswanderung. In New Ross, dem mit knapp 8000 Einwohnern drittgrößten Flecken in Wexford County, erinnert im Hafen der originalgetreue Nachbau der „Dunbrody“ - eine dreimastige Bark, deren Original zwischen 1845 und 1851 Emigranten nach Kanada und in die USA brachte - an das wohl dunkelste Kapitel der irischen Geschichte. „Coffin-Ships“ wurden die Schiffe genannt. Sarg-Schiffe. Weil bis zu ein Fünftel der unter Deck zusammengepferchten Passagiere die bis zu sechs Wochen dauernde Überfahrt nicht überlebte. Vor dem Museumseingang mahnt die Emigrant Flame, das Schicksal der Flüchtlinge und Auswanderer nicht zu vergessen.


Die ewige Flamme vom Grabmal John F. Kennedys auf dem US-Nationalfriedhof Arlington war am 22. Juni 2013, genau nach dem Zurück-zu-den-Wurzeln-Besuch des damaligen US-Präsidenten, in New Ross angekommen. Denn in Dunganstown, sechs Kilometer südlich von New Ross, liegt der irische Stammsitz des Kennedy-Clans, wo sich während der Großen Hungersnot ein Patrick Kennedy auf den Weg nach Amerika aufgemacht hatte. Die Hungersnot zeigt bis heute ihre Auswirkungen. Noch immer hat sich die Insel von dem Aderlass und den schweren Erschütterungen der sozialen Strukturen auf dem Land nicht erholt. Außer beim Hurling, dem Nationalsport, der seit 1884 in der Gaelic Athletic Association (GAA) organisiert ist und die Stadien der Republik bis auf den letzten Platz füllt. Schon den Sechsjährigen liegt das Ballspiel im Blut, das zu den schnellsten Mannschaftssportarten der Welt zählt. Hurling ist nichts für Reingeschmeckte. Mitspielen dürfen nur Leute, wenn sie im County geboren sind. Peter Lanigan steht lässig auf dem satt-grünen Rasen im Nowlan Park von Kilkenny und hält den Hurley hoch.


„Let’s go, folks!“

Einen zwischen 64 und 97 Zentimeter langen Eschenholz-Schläger mit breitem Ende, das Bas genannt wird. Längst hat Lanigan seinen Stammplatz in der Mannschaft mit dem hinter der eigenen Theke getauscht, von wo aus er skurrile Geschichten zu erzählen weiß - von Barfuß-Spielen in den 1940ern, gebrochenen Rippen und ausgeschlagenen Zähnen und natürlich vom Blutsonntag, dem Bloody Sunday. Jenem 21. November 1920, als auf Anordnung des damaligen Finanzministers und Kopf der Irish Republican Brotherhood (IRA) zwölf britische Agenten ermordet worden waren. Kurz darauf rächten sich die Briten, als sie bei einem Gaelic-Football-Spiel ein Massaker anrichteten. „Mein Großvater war damals als Spieler dabei. Das Team aus Dublin spielte gegen die Mannschaft aus Tipperary im Dubliner Croke Park“, sagt Lanigan. Zwei Spieler, Michael Hogan und Jim Egan, wurden angeschossen; Hogan erlag später seinen Verletzungen. „Let’s go, folks!“ Lanigan wechselt das Thema. „Die besten Hurling-Mannschaften kommen aus Cork, Kilkenny und Tipperary“, sagt er dann. Auch wenn seit den 1980ern Clare, Galway, Limerick, Waterford und Wexford oben mitspielen.


In diesem Jahr heißt der Sieger wieder Kilkenny. In den Umkleideräumen des Nowlan Park riecht’s nach verschwitzten Trikots und feuchten Männerfüßen. „Hier haben alle Hurling-Größen gesessen“, schwärmt Lanigan und nennt Namen, die man nur in Irland verehrt. In Flecken, die stolz ihre gälischen Namen tragen. Orte wie Graiguenamanagh, der Stadt der Mönche. Helden, die dem bedeutendsten Wettbewerb - der seit 1887 ausgetragenen All-Ireland Senior Hurling Championship -, ihren Stempel auf die gegnerischen Knochen gedrückt haben. Dann nickt Mick, der Platzwart, bevor er einige Hurleys und die passenden Spielbälle an die Anfänger vom Kontinent verteilt. Und natürlich Plastikhelme mit Gesichtsschutz, die seit 2011 für alle Pflicht sind. Eine Regel, die für den fast zahnlosen Mick zu spät kam. Der Hurley liegt gut in der Hand.


Ein gut geschlagener Ball schafft bis zu 150 km/h

Der lederne Ball heißt Sliotar, hat einen Durchmesser von rund sieben Zentimetern und wiegt zwischen 110 und 120 Gramm. Lanigan gerät ins Schwärmen: „Ein gut geschlagener Ball schafft bis zu 150 km/h und fliegt gut 80 Meter weit.“ Mehr muss man nicht wissen: dass das Spielfeld 130 bis 145 Meter lang und 70 bis 80 Metern breit ist. Abgehakt. Dass in der Mitte der Grundlinien ein H-förmiges Tor steht, der Abstand zwischen den Torpfosten 6,50 Meter und ihre Höhe mindestens sieben Meter beträgt. Geschenkt. Dass in 2,50 Meter Höhe eine Querstange liegt, der darunter befindliche Teil „Tor“ genannt wird, jede Mannschaft aus 15 Spielern besteht und zweimal 35 Minuten gespielt wird. Nun gut. Peter Lanigan ist nicht mehr zu bremsen. Elegant hebt er den Ball mit dem Hurley vom Boden auf und befördert ihn mit einem kernigen Hüftschwung weit in die 30 000-Mann-Arena. Denn: „Den Ball mit der Hand aufzuheben, ist verboten.“ Verboten ist auch, mit ihm mehr als vier Schritte zu laufen oder ihn alternativ vier Sekunden zu halten.


Und den Ball werfen? „Das ist ein technisches Foul“, erklärt Lanigan. Allerdings gibt es ein paar Ausnahmen. „Alles klar, Guys?“ In Lanigan’s Bar stehen viele Trophäen. Und wie wird gezählt? Einen Punkt gibt’s, wenn der Ball die Torlinie zwischen den Torpfosten oberhalb der Querstange überquert, sagt Lanigan. Ein Tor zählt drei Punkte. Tore und Punkte werden getrennt gezählt. Ein Referee, der von zwei Linienrichtern und vier sogenannten Umpires unterstützt wird, passt auf, dass alles richtig läuft. Hurling ist Irland, sagt Peter Lanigan: „Pride and passion!“ Stolz und Leidenschaft. Zum ersten Mal sei das Spiel in einer Beschreibung der Schlacht von Moytura erwähnt worden, die im 14. vorchristlichen Jahrhundert stattgefunden haben soll. Damals besiegten die Túatha Dé Danann die Firbolg erst auf dem Platz und später in einer Schlacht. Irland und seine Geschichte. 9000 Jahre. Für Touristen glatt gebügelt und nachgebaut im National Heritage Park in der Nähe von Wexford. Behutsam renoviert wie das Viking Triangle von Waterford, in dem 904 die ersten Wikinger an Land gingen. Mächtig wie der Rock of Cashel. In Lanigan’s Bar macht sich ein Trio breit. Live-Musik. Fiddle-Klänge. Hoppedi, hoppedi, hopp. Hurling, Bodhran, Guinness. Alles eine Frage des Takts. Von Rhythmus und Timing. In Irland sowieso.

Infos zu Irland

Irland

Anreise
Mit dem Flugzeug: Aer Lingus Direktflug u. a. von Stuttgart, Frankfurt und München nach Dublin sowie von München nach Cork (ab 54,99 Euro). www.aerlingus.com .
Mit dem eigenen Pkw: Nachtfähre von Cherbourg nach Rosslare (Stena Line hin und zurück pro Person 258 Euro), www.irlandfaehre.de .

Unterkunft
Dublin: Trinity City Hotel, zentral gelegen, Zimmer/F ab 229 Euro, www.trinitycityhotel.com .
Dublin: The Spencer Hotel, sehr modernes Haus zwischen Altstadt und Flughafen, DZ/F ab 250 Euro, www.thespencerhotel.com .
Waterford: The Granville Hotel, in der City am Fluss, EZ/F ab 90 Euro, www.granville-hotel.ie .
Kilkenny: River Court Hotel, Blick aufs Schloss, Zimmer/F ab 160 Euro, www.rivercourthotel.com .
Offaly: Kinnity Castle Hotel, historisches Schlosshotel, DZ ab 140 Euro, www.kinnitycastlehotel.com

Attraktionen
Neben den weltberühmten Cliffs of Mother, dem Giant’s Causeway, dem Ring of Kerry und dem einzigartigen Burren bieten die ausgeschilderten Routen Wild Atlantic Way und Causeway Coastal Route auf einer Länge von 2700 Kilometern eine atemberaubende Küstenlandschaft. Mit einer Länge von insgesamt 750 Kilometern bilden die durch einen Kanal verbundenen Flüsse Shannon und Erne Europas größtes befahrbares Flusssystem.

Reisezeit
Das ganze Jahr über herrscht ein mildes, ausgeglichenes Klima. Die Temperaturen liegen zumeist zwischen 0 und 25 Grad. Schnee und Frost kennt man auf der Insel kaum. Reisezeit April bis Oktober. Vor allem Mai/Juni und September/Oktober sind vom Wetter her relativ beständig.

Allgemeine Informationen
Irland Information, Gutleutstraße 32, 60329 Frankfurt am Main, Tel. 069 / 66 80 09 50, www.ireland.com
Dunbrody Besucherzentrum, www.dunbrody.com
National Heritage Park, www.inhp.com