Christian Trull – hier ein Archivbild aus seiner aktiven Zeit als Offizier – hat in der Bundeswehr viele Verwendungen durchlaufen. Unter anderem war er Divisionskommandeur und Leiter der Panzertruppenschule in Munster. Foto: nexus111/Wikipedia

Der frühere Generalmajor Christian Trull kritisiert den Umgang der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit der Truppe.

Stuttgart - In der Bundeswehr rumort es. Die aktiven Soldaten äußern Kritik an der politischen Führung meist nur hinter vorgehaltener Hand. Pensionierte Soldaten wie der ehemalige Generalmajor Christian Trull können dagegen offen sprechen. Trull, 1946 in Göttingen geboren, durchlief viele Stationen in der Bundeswehr. Zuletzt war er stellvertretender Kommandeur des Heeresführungskommandos in Koblenz, bevor er 2008 in den Ruhestand ging.

Herr Trull, nach der Affäre um angebliche sexuell-sadistische Praktiken in Pfullendorf, den Funden von Wehrmachtsdevotionalien in Bundeswehrkasernen und dem Terrorverdacht gegen den Soldaten Franco A. hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der Bundeswehr ein Haltungs- und Führungsproblem vorgeworfen. Was ist los in der Truppe?

Ich will zunächst klarstellen, was nicht los ist: Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften leisten unter schwierigen Bedingungen täglich Außergewöhnliches, und die ganz überwiegende Zahl von ihnen macht den Streitkräften und der Nation Ehre. Die, bei denen das anders ist, repräsentieren – nach allem, was bis jetzt bekannt ist – nicht einmal ein achtel Promille der deutschen Soldaten. Für sie gibt es die Wehrdisziplinarordnung und das Wehrstrafgesetz. Wegen Verfehlungen dieser Minderheit eine Mehrheit in argumentative Kollektivhaftung zu nehmen, wäre selbst bei kleineren Organisationen als der Bundeswehr inakzeptabel.
Warum nimmt die militärische Führung der Bundeswehr diese Kritik der Ministerin unwidersprochen hin?
Das frage ich mich auch. Die Bundeswehr hat vielfach bewährte Mechanismen, mit denen disziplinarrechtliche Verstöße untersucht und geahndet werden können. Generale und Admirale haben eigentlich die Verpflichtung, diese Mechanismen gegen Eingriffe der politischen Führung des Verteidigungsministeriums zu verteidigen. Gerade vom Generalinspekteur kann das verlangt werden.
Innerhalb der Bundeswehr sind vor allem zwei Führungsgrundsätze tief verwurzelt: Geführt wird von vorne und durch eigenes Vorbild. Wie viel Autorität hat die Verteidigungsministerin zurzeit?
Der einstige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg war auch nicht besonders bescheiden und wurde trotzdem von der Truppe so lange akzeptiert, bis herauskam, dass er abgeschrieben hatte. Ein Minister, der lügt – das ging nicht. Bei der aktuellen politischen Führung ist es vor allem ihre Neigung zu Pauschalierungen, Übertreibungen und Alarmismus, die viele Soldaten befremdet. G36, rechtsextreme Vorfälle, Wehrmacht: Überall ist das gleiche Gemenge aus Verallgemeinerung und Zuspitzung zu beobachten. So kann nicht geführt werden.
Frau von der Leyen hat betont, dass die Bundeswehr „nicht in der Tradition der Wehrmacht steht“ und nur die Soldaten des Widerstands Vorbild sein könnten. Können Sie dem folgen?
Die deutsche Militärgeschichte darf nicht so selektiv wahrgenommen werden. Widerstandskämpfer wie Stauffenberg, Tresckow und Boeselager sind als Vorbilder akzeptiert, weil sie einen Offizierstypus repräsentieren, der mit der Politik auf Augenhöhe war und sich nicht zum Befehlsempfänger machen ließ. Aber es werden nur die Attentäter und nicht ihr Umfeld gesehen, nicht der Bamberger Reiter, nicht das Infanterieregiment Nr. 9, nicht die Kultur des Widerspruchs, die in diesen Einheiten herrschte. Nur der misslungene Staatsstreich interessiert. Dass die Offiziere des 20. Juli aber von ihren Kameraden gedeckt wurden und viele dadurch sogar der NS-Justiz entkamen, wird ignoriert.

Das Gespräch führte Martin Eich.