US-General Rodriguez warnt vor Libyen als Brandherd der aktuellen Flüchtlingskrise. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Terrormiliz IS profitiert vom Chaos in Libyen. Die Islamisten bedrohen von dort die Nachbarn und treiben Flüchtlinge nach Europa, warnt der US-Kommandeur.

Stuttgart - General Rodriguez, welches Thema beschäftigt Sie und Ihr Kommando derzeit am meisten?
Nachdem wir sehr erfolgreich zur Eindämmung der Ebola-Krise in Afrika beitragen konnten, ist das vorrangige Thema jetzt die Entwicklung in Libyen. Der Verfall der Wirtschaft, zugleich der Mangel an staatlicher Kontrolle befeuern nicht zuletzt die Flüchtlingskrise in Afrika und in Europa.
Gerade mit Blick auf die Flüchtlinge die Frage: Ist Libyen ein gescheiterter Staat?
Die UN arbeiten daran, einer Regierung der nationalen Einheit auf die Beine zu helfen. Was wir derzeit in diesem Land sehen, ist eine Vielzahl von Machtzentren. Immerhin gibt es ein Abkommen, das dieser Regierung den Weg ebnen soll. Aber noch sind das äußerst schwierige Zeiten für das libysche Volk und auch für die aktuelle Regierung.
Ihr Generalstabschef, Joseph Dunford, hat vor wenigen Tagen „ein entschiedenes militärisches Vorgehen in Libyen“ angekündigt. Was sind die Ziele, wer beteiligt sich?
Die Gefahr des Terrorismus, der von libyschem Gebiet ausgeht, belastet die internationale Gemeinschaft. Auch indirekt, etwa weil er viele Menschen in die Flucht treibt. Es gibt darauf keine einfachen Antworten. Die Dinge werden zusätzlich kompliziert durch den Konflikt in Libyen zwischen dem Allgemeinen Nationalkongress und dem Abgeordnetenhaus sowie den jeweiligen Milizen, von denen sie unterstützt werden. Umso schwieriger wird es, jegliche Art von militärischer Aktivität zu koordinieren und die Unterstützung der jeweiligen Regierungen dafür zu gewinnen.
Wie ist das zu verstehen? Steht ein militärisches Eingreifen nun bevor oder nicht?
Es gibt noch keine Entscheidungen. Alle suchen nach dem bestmöglichen Weg, um Libyen zu helfen.
Alle? Bisher war von Beratungen zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien die Rede – der Kern der Koalition, die Diktator Muammar al-Gaddafi 2011 gestürzt hat.
Wie gesagt: Es gibt keine Entscheidungen, es gibt keine einfachen Antworten. Es hat viele Empfehlungen gegeben, nicht zuletzt seitens der UN und auch der EU.
Welche Rolle spielen die USA?
Wie Sie wissen, haben wir vor wenigen Monaten gezielt Schläge gegen hochrangige Ziele des Islamischen Staats in Libyen geführt. Alle Erweiterungen und Optionen, die derzeit diskutiert werden, zielen auf ein Handeln in einer Koalition ab.
Deutschland erwägt, libysche Truppen in Tunesien auszubilden. Reicht dieser Beitrag, um etwas Substanzielles zu bewirken?
Das ist gegenwärtig einer der Vorschläge, wie Libyen militärisch zu unterstützen wäre. Aber da es noch keine Zentralregierung, also auch keine zentral kontrollierten Streitkräfte in Libyen gibt, ist das Zukunftsmusik. Wenn das gegeben ist, wird es in der Tat darum gehen, diese Streitkräfte so auszubilden, dass sie sich selber entwickeln können.
Als es um den Sturz Gaddafis ging, hielt sich Deutschland fern. Inwieweit ist es jetzt an gemeinsamen Planungen beteiligt?
Deutschland ist voll beteiligt an dieser – ich nenne es mal Koalition der Diskutierenden. Nächste Woche wird es wieder Gespräche geben, inklusive der Bundesregierung.
Sind das Gespräche auf militärischer oder auf politischer Ebene?
Was das Militärische angeht, gibt es erst diesen Vorschlag der Ausbildungshilfe. Keiner unserer europäischen Partner hat ein fertiges Rezept, wie wir gemeinsam in Libyen verfahren wollen. Im Vordergrund steht erst einmal die Regierungsbildung. Dann geht es um die wachsende Stärke des IS, der nicht nur den Staatsaufbau in Libyen gefährdet, sondern auch die Sicherheit von Libyens Nachbarstaaten gefährdet.
Wie stark ist der Islamische Staat in Libyen?
Der IS ist stark genug, um größere Gebiete zu kontrollieren, und hat seine Basis fortlaufend ausgeweitet. Ein weiteres Problem: Sein Herrschaftszentrum in Syrte liegt genau zwischen den Zonen, die der Allgemeine Nationalkongress im Westen und das Abgeordnetenhaus im Osten kontrollieren. Unmittelbar ostwärts des IS-Machtbereichs liegt der Kern von Libyens Ölindustrie, die wichtigste wirtschaftliche Grundlage des Landes. Der IS hat sie bereits mehrfach angegriffen, um die Lieferwege zu unterbrechen. Östlich und westlich von Syrte gibt es Zonen, die der IS zwar nicht dominiert, um die er aber kämpft.
Ist der IS die stärkste Terrorgruppe in Libyen?
Derzeit ist das so auf das ganze Land gesehen. Das kommt aber auch darauf an, welches Gebiet Libyens Sie betrachten.
Haben Sie einen Gesprächskontakt zum IS?
Nein, den haben wir nicht. Die Führungsriege hat sich bisher absolut nicht an Diskussionen oder gar an so etwas wie Friedensgesprächen interessiert gezeigt. Die sind komplett darauf konzentriert, Menschen durch Gewaltanwendung zu kontrollieren.
Welchen direkten Einfluss hat die IS-Herrschaft über Syrte auf das Flüchtlingsthema, so wie es sich in Europa stellt?
Die Instabilität, die der IS schafft, befeuert große Wanderbewegungen in Afrika. Sie verschafft auch Schmugglern und Menschenhändlern, die nicht zum IS gehören, größeren Spielraum.
Sind Vorschläge, wie sie in Deutschland immer wieder laut werden, man müsse zur Entschärfung der Flüchtlingskrise Aufnahmelager in Libyen bauen, da nicht lächerlich?
Fest steht: Auch für die Bewältigung der Flüchtlingskrise gibt es mit Blick auf Afrika keine einfachen Lösungen.
Der militante Islamismus breitet sich in Afrika aus. Wird er noch mehr Menschen zu Flüchtlingen machen?
Dadurch geraten immer mehr Menschen in Bewegung. Das führt zu einem zweiten Riesenproblem: Immer mehr Menschen leben in ihrem Land oder in der unmittelbaren Nachbarschaft als Vertriebene. Nehmen Sie als Beispiel das größte Flüchtlingslager für Somalier in Kenia. Das ist heute Kenias zweitgrößte Stadt. So etwas setzt viele afrikanische Staaten zusätzlich unter Druck. Viele von ihnen gehen damit insofern positiv um, dass in den meisten afrikanischen Lagern für Vertriebene eine akzeptable Versorgung vorhanden ist.
2015 sind mehr als 140 000 Afrikaner nach Europa gekommen, und zwar aus Ländern ohne Krieg. Wie geht man damit um?
Es gibt wirtschaftliche Gründe, vor allem aber ist es Gewalt in vielerlei Form, die Afrikaner zur Auswanderung bewegt. Da spielt organisierte kriminelle Gewalt eine mindestens so große Rolle wie terroristische Gewalt. Kriminelle Netzwerke aller Art in Afrika leben davon, dass sie möglichst viel in Bewegung halten – sei es Schmuggelware, seien es Menschen. Das müssen wir immer im Auge behalten.   -