„In den USA regiert eine Art von schwarzer Partei, die alles zerstört, besonders die Natur“, sagt T. C. Boyle. Foto: Horst Rudel

Was ist der amerikanische Traum? Und was ist aus ihm geworden? Der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle spricht über sein neuestes Buch, über Menschen unter Glas und was man tun sollte, wenn einem zu viele Leute etwas vorschreiben.

Esslingen - Mindestens 1,90 Meter hoch ist T. C. Boyle und dürr wie eine Bohnenstange. Wie die Hosenbeine schlottern! Dem Fotografen äugt er auf die Kamera: „Sie machen wohl die Fotos?“ Seine ständigen Witze, das wird er später beim Auftritt im Neckar Forum in Esslingen sagen, seien eine Barriere, hinter der er Angst und Emotionen verberge. Doch was ist hinter der Barriere?

Sind Sie ein Hippie?
Ich war ein Hippie. Aber ich vermute, es gibt keine Hippies mehr. Ich habe über sie geschrieben in „Drop City“, weil es ein Weg gegen den Kapitalismus war. Ich denke aber die Hippie-Bewegung konnte nicht funktionieren.
Sind Sie ein Punk?
Wenn Sie es nicht auf die Musikrichtung der Achtziger beziehen, ja. Wenn Punk bedeutet, dass Sie keine Weisheiten von anderen akzeptieren oder das, was Politiker sagen und Ihren eigenen Weg finden wollen, dann stimme ich damit überein.
Sie sind als Kind der Arbeiterklasse aufgestiegen zur Spitze der Gesellschaft. Sind Sie der amerikanische Traum?
Ich war der Erste in meiner Familie, der aufs College ging, ja. Ich bin der frühere amerikanische Traum in der früheren Demokratie, die man Amerika nannte. Jetzt ist das Land nur noch ein Unternehmen, und die ganze Arbeiterklasse wird ausgequetscht. Sie hat kein Gesundheitssystem und keine Bildung.
Was bedeutet dieser Traum?
In einer freien Gesellschaft sollten Sie sich ausdrücken dürfen und tun, was sie wollen. Ich war beispielsweise auf einer öffentlichen Universität und habe dreimal das Fach gewechselt, bis ich herausgefunden habe, was ich werden wollte.
Sie selbst verkörpern den amerikanischen Traum, aber Sie kritisieren Amerika unablässig in ihren Büchern.
Lassen Sie mich kurz darüber nachdenken. Der traditionelle amerikanische Traum, auch der deutsche Traum übrigens, bedeutet, aus den Gesetzen der Klassen auszubrechen, und seine Position in der Gesellschaft zu verändern, allein wegen der Talente, die man hat. Daran glaube ich auch. Ich kritisiere nicht den amerikanischen Traum, sondern die Politik meines Landes, etwa in einem Interview. In meinem Werk hingegen untersuche ich Positionen und Situationen.
Wie lange schreiben Sie an einem Buch?
Das kommt darauf an. Für meine frühen Bücher brauchte ich drei Jahre. Für „Die Frauen“ brauchte ich 14 Monate, obwohl es komplizierter war und mehr Recherchen erforderte.
Und dann geht es in einem Zug durch?
Alle meine Bücher entstehen im ersten Entwurf, den ich während des Schreibens immer überarbeite. So komme ich jeden Tag frisch in das Buch hinein, um es weiter zu schreiben. Wenn ich schreibe, kann ich nicht aufhören. Ich habe immer Ideen, ich will gucken, was als Nächstes passiert. Das macht einen zufrieden.
Wie lange recherchieren Sie für ein Buch?
Vielleicht drei Monate. Für die „Terranauten“, habe ich das originale Gebäude der Biosphere 2 in Arizona besucht. Es war erstaunlich.
Die Biosphere 2, dachte ich damals, würde der Menschheit den Weg ins All zeigen.
Für mich war das Anziehende, dass die Leute drinnen nicht herauskönnen. Es ist eine andere Welt. Man wollte das Projekt 100 Jahre laufen lassen. Jedes Tier würde sich in dieser Zeit durch die Evolution verändert haben.
Das Projekt in ihrem Roman heißt „Ecosphere 2.“ Was zerstörte das Projekt? War es die Presse, die Geldgier oder das Management?
Alle drei Dinge, aber ich denke, die Leser müssen selbst eine Entscheidung finden. Ich denke, es war das Verhalten zwischen den Menschen und natürlich dem Kontroll-Zentrum.
Wollten Sie im Buch zeigen, dass gefangene Primaten anfangen, sich zu bekämpfen?
Ich fange nie mit einer Idee an. Die Idee entsteht in der Story, während ich sie schreibe. Ich habe noch nie ein Exposé geschrieben. Natürlich sind wir Primaten und kämpfen um Dominanz. Aber wir brauchen auch die Natur draußen. Das könnte bedeuten, wir könnten nie in Kolonien leben wie die Biospheriker.
Gab es irgendeinen Grundgedanken?
Wir wissen nicht, ob wir den Zusammenbruch unseres Öko-Systems noch verhindern können, müssen vielleicht in anderen Welten leben wie die Terranauten. Okay. das war ein Gedanke. Aber dann startete ich das Buch, hörte auf und sagte: „Jetzt ist es fertig.“
Haben Sie sich in eine Hauptfigur verliebt?
Alle Figuren haben einen kleinen Teil von mir. Am meisten mochte ich Linda Ryu, die nicht zu den Terranauten gehörte. Denken Sie an alle die Leute, die für irgendeine Aufgabe trainiert werden. Und dann sind sie zweite Wahl oder dritte. Wie fühlen die sich? Oder alle die Leute, die Schriftsteller oder Journalisten werden wollen. Was ist mit denen, die es nicht schaffen? Man gibt sein Leben total auf für ein Ziel und dann – Fehlanzeige. So wie Linda, sie war großartig, ich konnte ihre Bitterkeit untersuchen und ihr Leben außerhalb der Ecosphere 2.
Sex ist ein großes Thema bei den Terranauten. Wollten Sie sagen, dass manche Primaten ihre Probleme mit Sex erzeugen oder lösen können, wie etwa Bonobo-Affen?
Noch einmal. Ich will gar nichts machen. Ich will Kunst machen und später sehen, was daraus geworden ist. Vier Frauen und vier Männer unter Glas, das faszinierte mich. Das ist wie auf der Highschool. Es gibt Bündnisse, sie haben Sex rauf und runter.
Ging Ihr schriftstellerischer Weg von historischen Büchern zu ökologischen?
Von Anfang an habe ich über Ökologie, Biologie und Umwelt geschrieben, das ist meine Obsession.
Ist es leichter, wenn im Buch verschiedene Charakter auftreten?
Das kann sein, aber bedenken Sie, jedes meiner Bücher ist ganz anders. Ich suche mir die Dinge nicht aus. Wenn ich anfange, dann passieren sie einfach. Was mein Interesse ist: wir sind eine Spezies auf diesem Planeten und haben keine Erklärung für uns, weder eine religiöse noch eine naturwissenschaftliche, darüber schreibe ich.
Ist ein Narr eine bessere Figur als ein Wissenschaftler?
Möglich, aber Sie brauchen beide Charaktere.
Als Sie ein „Ein Freund der Erde“ schrieben, dachten Sie da an Ihre Tochter?
Klar. In meinen früheren Büchern kommen keine Kinder vor, weil ich keine Kinder hatte. Kinder in Büchern oder Filmen sind gefährlich, weil sie die Beziehungen der Figuren sehr sentimental machen können. Jetzt denke ich, dass sie die Charaktere reicher machen können.
Könnten Sie die ökologischen Themen einmal langweilen?
Ich weiß nicht, was kommt, deswegen ist ja das Schreiben so spannend.
Stellen Sie sich vor, die Welt würde von Ökologen regiert.
Eine grüne Partei ist besser als das, was wir in den Vereinigten Staaten haben, eine Art von schwarzer Partei, die alles zerstört, besonders die Natur.
Aber wenn die Ihnen vorschreiben würden, was sie essen sollen, was sie anziehen sollen, ob sie Autofahren dürfen?
Zunächst wäre ich bei der Öko-Bewegung. Natürlich, wenn es eine Art Diktatur würde und meine Freiheit beschneiden wollte, dann würde ich einen Aufstand anzetteln. Mein Buch „Hart auf Hart“ handelt davon. Wir leben in einer freien Gesellschaft, also müssen wir uns darauf verständigen, zivilisiert zu leben und die Bedürfnisse und Wünsche von anderen zuzulassen. Das ist es, was man Zivilisation nennt.
Was tun, wenn es in diese Richtung läuft?
Wissen Sie, was Sie dann tun sollten? Kaufen Sie sich einen Nietengürtel und werden Sie ein Punk. Niemand kann Ihnen diktieren, was sie tun sollen. Das ist das Gleiche wie mit der Political Correctness in den USA. Ich stimme deren Vorschlägen zu, aber wenn sie mir vorschreiben, was ich sagen darf und was nicht, dann – (Boyle zeigt einen bestimmten Finger.)
Das Gespräch führe Ulrich Stolte.