Magnus Nisson ist einer der besten Köche der Welt. Foto: Erik Olsson

Dank Restaurants wie dem „Noma“ oder dem „Fäviken“ wurde die nordische Küche weltbekannt. Koch Magnus Nilsson begab sich auf Recherchereise, was das Essen der nordischen Länder ausmacht.

Herr Nilsson, was hatten Sie heute zum Frühstück?
Avocado auf Toast.
Sehr typisch für Berlin, aber eher untypisch für Ihre Art des Kochens. Ihnen liegt das saisonale und regionale Kochen besonders am Herzen, was im Norden Schwedens nicht gerade ein leichtes Unterfangen ist.
Wir müssen eben alles haltbar machen, wir trocknen, räuchern, legen ein. Aber wenn Sie im März in einem deutschen Supermarkt eine Karotte kaufen, wurde die auch schon im Oktober geerntet. Nur jemand anderes hat sie für Sie gelagert. Aber auch damit kann man den Geschmack eines Gerichtes beeinflussen, deshalb machen wir alles selbst und kontrollieren jeden Schritt. Der Prozess des Kochens beginnt bei uns mit der Auswahl des Saatkorns.
Was ist der Unterschied zwischen gut und fantastisch?
Das ist schwierig. Wenn man noch nie etwas Fantastisches gegessen hat, kann man das nicht beurteilen. Und es ist natürlich subjektiv.

„Die nordische Küche gibt es so nicht“

Wie und wann kamen Sie auf die Idee, Koch zu werden?
Essen und Kochen spielten bei uns in der Familie schon immer eine große Rolle. Nicht jeder hat unbedingt supergut gekocht, aber immer gern. Mahlzeiten waren immer wichtig. Es ging mehr um das Essen und das Erlebnis als um einzelne Gerichte. So ist es auch heute in meinem Restaurant Fäviken, es geht mehr um die Erfahrung als um das Essen an sich.
Es gab aber auch eine Zeit, in der Sie nicht mehr kochen wollten.
Das gab es öfters. Das letzte Mal, als mich das Kochen frustrierte, wollte ich mich mit Wein beschäftigten – und kam dann doch zum Kochen zurück.
Sie waren desillusioniert. Warum das?
Wenn man mal in einem Restaurant gearbeitet hat, in dem toll gekocht wird, es eine gute Infrastruktur gibt, ausschließlich tolle Produkte verwendet werden, man das Geld hat, nur beste Waren einzukaufen, ist es hart, etwas Eigenes zu schaffen. Man hat noch keine Infrastruktur, die eine größere Vision umsetzen ließe. Man hat Probleme, die Waren zu bekommen, weil sie eben nicht da sind oder nicht gut genug sind. So erging uns das im Norden Schwedens. Wir fanden gute Produkte, für die man aber 300 Euro Transportkosten zahlen hätte müssen. Darauf haben wir verzichtet.
Warum verstehe ich die nordische Küche am besten, wenn ich ein Stück Brot mit Butter esse?
Das Problem mit nordischer Küche ist, dass es die nordische Küche so nicht gibt. Aber das Sandwich ist eines der wenigen Gerichte, die alle gemeinsam haben. Ein Brot mit etwas darauf wird überall in den nordischen Ländern gegessen. Wie das Brot gemacht, mit was es garniert wird, wann und wie es gegessen wird, sagt viel über die Gesellschaft aus.
Wie mögen Sie Ihr Brot am liebsten?
Im Norden von Schweden essen wir Fladenbrot – und das vor allem mit Käse.

„Es ist ein Irrglaube, dass wir selbst entscheiden, was wir essen“

Wie definieren Sie die nordische Esskultur?
Es gibt zwei Irrglauben derzeit. Der eine ist, dass Esskultur definiert werden kann. Das Einzige, was wir definieren können, ist, was wir essen. Essen ist eine sehr unmittelbare Sache. Man kocht, was Sinn ergibt, dann isst man es, und damit ist die erste Erfahrung des Essens weg. Das nächste Mal wird es anders schmecken. Der andere ist, dass wir denken, wir würden selbst entscheiden, was wir essen. Das stimmt nicht. Wir essen, was uns präsentiert wird, und das wird von oben herab diktiert.
Wir haben doch heute die Möglichkeiten, alles zu bekommen.
Das denken wir, aber so ist es nicht. Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass vor ein paar Jahren in Europa alle Avocados gleich aussahen? Es gab nur eine Sorte. Dann wurde eine andere Art, eine größere und grünere, auf dem Markt eingeführt. Fakt aber ist, dass es Hunderte Sorten von Avocados gibt. Diese beiden sind erfolgreich, weil sie sich gut transportieren lassen. Das sind aber nicht die schmackhaftesten und besten Sorten. Wir bekommen nur das, was sich kommerziell lohnt. Wir bekommen nur den Granny Smith in Sachen Avocado.
Sie haben für Ihr Buch über die nordische Küche lange recherchiert, sind durch Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Island, Grönland und die Färöer gereist. Was verbindet die Länder kulinarisch?
Jedes Land des Nordens definiert sich über die Jahreszeiten, das ist es, was sie alle eint. Die Winter sind hart. Und auch wenn man heute alles kaufen kann, bestimmt es immer noch die Art, wie wir essen. In kalten Regionen waren Getreide und Milchprodukte schon immer wichtig. Man kann sie vor allem gut lagern. Das verbindet die nordischen Länder mehr als ein bestimmtes Gericht.

„Auf den Faröern jagt man seit hunderten Jahren Grindwale“

Inzwischen kann man in Berlin in ein isländisches Restaurant gehen, über das Noma in Kopenhagen wird es einen Kinofilm geben. Woher kommt das Interesse an nordischer Küche?
Man muss zwischen Restaurantkultur und dem Kochen zu Hause unterscheiden. Es ist gut für uns, dass nordische Küche durch Restaurants wie etwa das Noma oder Fäviken bekannt wird. Die Leute kennen aber nicht viel mehr als Fleischbällchen oder hausgebeizten Lachs. Wenn man sich mit der italienischen Küche beschäftigt, findet man tausend Rezepte, weil sich die Leute schon ewig für italienische Gerichte interessieren. Über nordische Küche gibt es quasi nichts.
Sie haben mehr als 700 Rezepte gesammelt. Eine Unmöglichkeit, die alle nachzukochen.
Es gibt doch kein Kochbuch, aus dem Sie alles nachkochen. In Kochbüchern geht es eher darum, etwas zu erklären.
Was wollen Sie mit Rezepten für geschmorten Grindwal und Robbensuppe erklären?
Es geht um das Dokumentarische. Solche Rezepte auszulassen wäre eine Zensur. Es wäre ja ähnlich, wenn der News-Journalist nicht über einen Krieg schreibt, weil das so traurig ist. Es gehört dazu. Auf den Färöern jagt man seit Hunderten Jahren Grindwale. Es gibt ein sehr verstörendes Bild im Buch, auf dem man sehr viel Blut sieht. Ich musste dafür sehr kämpfen, dass es gedruckt wird. Das gehört dazu. Alles andere wäre eine Lüge. Ich verurteile das nicht. Ich gebe nur die Information weiter, egal, ob man das jetzt mag oder nicht.
Als Sie in Paris gearbeitet haben, haben Sie Ihr gesamtes Geld für Essen ausgegeben. Und Sie träumten davon, eines Tages eines der besten Restaurants der Welt zu haben. Sie sind Ihrem Ziel sehr nahe gekommen.
Auf eine Art ja, auf die andere nicht. Das ist natürlich subjektiv. Das, was wir im Fäviken machen, machen wir schon gut. Aber das kommt immer auf den Gast, den Abend, die Gerichte an. Es ist schwer zu sagen, was gut oder schlecht ist.