Opferanwalt Yavuz Narin Foto: dpa

Der NSU-Prozess ist nach mehr als vier Jahren auf der Zielgeraden. Opferanwalt Yavuz Narin wirft Staatsanwälten vor, Beweismaterial im Verfahren zurückgehalten zu haben.

Der NSU-Prozess ist nach mehr als vier Jahren auf der Zielgeraden. Oberstaatsanwältin Anette Greger hat Opferanwälten vorgeworfen, Verschwörungstheorien anzuhängen. Die wehren sich: Die Ankläger hätten die Anwerbung von V-Leuten forciert.
Herr Narin, an welcher Verschwörungstheorie basteln Sie denn aktuell?
Das ist ja eine dreiste Unterstellung, die Sie mir da machen . . .
. . . meine Unterstellung ist das nicht. Ich fasse nur einen Satz Anette Gregers zusammen, den die Oberstaatsanwältin des Generalbundesanwaltes während des laufenden NSU-Verfahrens in ihrem Plädoyer zu Beate Zschäpe sagte.
. . . das macht den Satz nicht weniger dreist. Als davon betroffener Anwalt der Frau des vom NSU ermordeten Theodoros Boulgarides drängt sich mir angesichts des Schlussvortrags der Bundesanwaltschaft die Frage auf, in welcher Welt Frau Greger in den letzten sechs Jahren gelebt hat, seitdem der rechtsterroristische NSU im November 2011 aufflog.
Greger gilt als Expertin, die sich eingehend mit Zschäpe beschäftigte und so die Ermittlungen zum NSU entscheidend mitgeprägt hat.
Ja, leider. Bei ihrem Plädoyer ist auffällig, dass es sich maßgeblich auf Beweismittel stützt, die durch Anträge der Opferanwälte in das Verfahren eingeführt wurden – gegen den Willen der Bundesanwaltschaft.
Geht es konkreter?
Nehmen Sie einen Beweisantrag zum Drehbuch des Bekennervideos, das im Brandschutt des letzten bekannten NSU-Unterschlupfs in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden wurde. Das wertete ich detailliert aus, so dass nachgewiesen werden konnte, dass Zschäpe an diesem perfiden Machwerk mitgearbeitet hatte.
Ein Erfolg in 360 Prozesstagen . . .
 . . nicht der einzige: Zahlreiche Beweisanträge der Nebenklage dienten dazu, die Anklage zu erhärten. So kam heraus, dass das NSU-Trio eine Synagoge in Berlin ausspähte. Zschäpe war dabei von erkannt worden, als sie mit einem Stadtplan hantierte. Das ist der erste Nachweis, dass Zschäpe sich aktiv an den Taten von Uwe Böhnhardts und Uwe Mundlos beteiligt hat. Die Bundesanwaltschaft wusste von diesem Sachverhalt, weigerte sich aber bis zu meinem Antrag, diesen Beweis selbst ins Verfahren einzuführen.
Aus welchem Grund sollte sie das tun?
Hier muss ich leider raten. Vielleicht, weil Zschäpe und Mundlos nicht alleine waren, sondern von einem Mann und einer Frau begleitet wurden. Der Mann war Sektionschef des rechtsextremistischen Blood & Honor Sachsen. Jan Werner ist eine mutmaßliche V-Person des Landeskriminalamtes Berlin – und heute auch Beschuldigter in einem weiteren NSU-Verfahren des Generalbundesanwaltes. Vermutlich dürfte er aber nie angeklagt werden: 2014 hatte die Bundesanwaltschaft selbst – angeblich aus Versehen – Beweismittel zu Jan Werner vernichtet.
Es wurde nie bewiesen, dass Werner V-Mann war oder ist.
Ein Ermittler des Bundeskriminalamtes sagte im Prozess aus, dass in seiner Behörde davon ausgegangen werde, Werner sei V-Mann, übrigens wie nahezu alle Führungskader von Blood & Honor. Die Bundesanwaltschaft hatte seinerzeit – gegen Bedenken der Polizei – deren Anwerbung forciert.
Als V-Mann berichtete auch Thomas Starke . . .
. . . der dem NSU Sprengstoff, Waffen, Geld und Unterschlupf besorgte. Oder Marcel Degner, der die Terroristen mit Geld versorgte, das bei Neonazi-Konzerten eingenommen wurde. Wenn wir Opferanwälte den Namen Degner im Prozess nur ansprachen, brach ein Sturm der Entrüstung der Staatsanwälte über uns herein. Daher sind wir sehr zufrieden, dass die Bundesanwälte Degners Namen im abschließenden Plädoyer etwa fünf mal erwähnten.
Das sind alles Details, die in der Fülle der Akten untergehen können . . .
. . . oder aktiv verschwiegen wurden. Denn Bundesanwälte logen im Prozess, dass sich die Balken bogen.
Wo zum Beispiel?
Wie bei dem Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der sofort nach Auffliegen des NSU systematisch Akten zum Umfeld des NSU vernichtete. Greger behauptete, es existierten keinerlei Hinweise, dass der Mann vorsätzlich gehandelt habe. Die Akten wurden uns vorenthalten. 2016 – als praktischerweise die Tat gerade verjährt war – erfuhren wir aus dem Bundestagsuntersuchungsauschuss, dass Verfassungsschützer „Lothar Lingen“ bereits 2014 bei der Bundesanwaltschaft gestanden hatte, die Akten wegen der Verstrickung zahlreicher V-Leute vorsätzlich vernichtet zu haben.