IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelberger: Man will auf Weiterbildung setzen Foto: Max Kovalenko

Die Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahre massiv verändern. Jobs für An- und Ungelernte fallen weg. Die IG Metall setzt in der kommenden Tarifrunde daher auf Weiterbildung.

Die Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahre massiv verändern. Jobs für An- und Ungelernte fallen weg. Die IG Metall setzt in der kommenden Tarifrunde daher auf Weiterbildung.
 
Stuttgart - Herr Zitzelsberger, die Vorbereitungen laufen für die Metall-Tarifrunde 2015, bei der Sie erstmals Verhandlungsführer sind. Steigt die Anspannung?
Natürlich ist eine gewisse Anspannung da. Baden-Württemberg ist ja immer wieder auch Pilotbezirk für die Metall- und Elektroindustrie in ganz Deutschland. Ich habe Respekt, andererseits saß ich bereits bei vielen Runden auf kleinerer Ebene als Verhandlungsführer am Tisch. Das Terrain ist mir also bekannt.
Viele Experten fordern derzeit, die Spielräume beim Lohn voll auszuschöpfen. Mit welcher Forderung gehen Sie ins Rennen?
Zwischen null und zehn Prozent. Nein, Spaß beiseite, ich kann noch keine konkrete Zahl nennen. Wir werden uns ab September mit den wirtschaftlichen Rahmendaten beschäftigen. Wenn Bundesbank, Wirtschaftsinstitute und andere heute Ratschläge erteilen, ist dies für uns kein Maßstab. In der Regel schöpfen wir den verteilungsneutralen Spielraum aus gesamtwirtschaftlicher Produktivität und Inflation aus.
Und was heißt das konkret?
Bei der Produktivität geht es um die Frage, wie viel mehr an Waren und Dienstleistungen lassen sich mit gleichem Ressourceneinsatz herstellen. Zwar schneidet die Metall- und Elektroindustrie bei der Produktivität meist ein paar Prozentpunkte besser ab, wegen der großen Unterschiede aller Branchen orientieren wir uns aber bewusst an der Gesamtwirtschaft. Bei der Inflation richten wir uns nicht nach der aktuellen Rate, sondern nach dem Zielwert der Europäischen Zentralbank, der zwei Prozent vorhersagt. Beides zusammen ergibt eine Richtgröße, die noch von wirtschaftlichen Aussichten beeinflusst wird. Wir wollen die Entgeltentwicklung verstetigen, also in guten Jahren nicht über- und in schlechten nicht untertreiben.
Welche Forderungen stellt die IG Metall neben dem Lohnzuwachs?
Ein wichtiges Thema wird neben der Fortführung der Altersteilzeit die Bildungsteilzeit sein. Unterschiedliche Beschäftigungsgruppen brauchen Möglichkeiten, materiell abgesichert ihre berufliche Qualifikation zu verbessern. Das gilt neben jüngeren Beschäftigten vor allem für ungelernte Kräfte, für die es nach allen Prognosen in den nächsten Jahren deutlich weniger Arbeitsplätze geben wird. Aber auch Menschen, die schon lange Zeit im Betrieb sind, sollen sich weiterentwickeln, zum Beispiel einen Fachwirt oder Meister dranhängen können.
Woher sollen denn die Angebote zur Weiterbildung kommen?
Wir haben vor über zehn Jahren die Agentur Q gegründet, ein Gemeinschaftswerk von Südwestmetall und IG Metall. Dort beraten und informieren wir vor allem kleinere und mittlere Unternehmen über Möglichkeiten externer Anbieter, etwa von Fach- oder Hochschulen und anderen Bildungsträgern. Klar ist, ein Betrieb mit 250 Beschäftigten kann keine eigene Akademie zur Qualifizierung schaffen.
Die von der Landesregierung geplante Bildungszeit passt da gut ins Konzept, oder?
Unsere Bildungsteilzeit geht in Sachen beruflicher Bildung weit über dieses Konzept hinaus. Trotzdem sehen wir den Vorschlag der fünf bezahlten Tage als hilfreiche Flankierung und unterstützen das auch. Wenn sich die Arbeitgeber dagegen wehren, diese Zeit auch für politische Bildung oder zur Vorbereitung auf ein Ehrenamt nutzen zu können, verstehe ich das nicht. Für beide Themen tragen auch die Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung, die über Sonntagsreden hinausgeht. Die politische Bildung können wir erst dann wieder ausklammern, wenn regelmäßig 85 Prozent der Menschen zur Wahl gehen.
Die Industrie 4.0 mit ihrer digitalen Vernetzung wird die Arbeitswelt in Zukunft radikal verändern. Wie stellt sich die Gewerkschaft darauf ein?
Das betrifft uns heute schon. Es ist ja nicht so, dass irgendwann eine Fabrik 4.0 eröffnet wird. Mensch, Maschine und Werkstück werden in Zukunft viel stärker miteinander vernetzt sein. Die Produktion wird flexibler, wir dürfen nicht mehr in Linien denken, sondern in vernetzten Systemen. Damit lassen sich Kunden schneller und flexibler bedienen als heute. Das ist die positive Seite . . .
Und die negative?
Die Auswirkungen auf die Beschäftigten werden massiv sein. Für An- und Ungelernte wird es weniger Arbeitsplätze in der Produktionswelt geben. Wir stehen vor der gigantischen Herausforderung, die Menschen für die neue Arbeitswelt zu qualifizieren. Auch deshalb ist das Thema Weiterbildung für uns so wichtig. Falsch wäre es, wenn sich der Mensch dem vernetzten System unterordnen müsste, also zum Beispiel am Samstag auf dem Smartphone eine Nachricht über die Bestellung von 200 Teilen bekommt und diese dann erledigen müsste. Unser Anspruch ist es, die Fabrik der Zukunft gemeinsam mit den Menschen zu gestalten.
Wird es irgendwann menschenleere Fabriken geben?
Die Horrorvision, dass intelligente Roboter unsere Arbeit übernehmen, wird nicht eintreten. Komplexe Systeme funktionieren nicht rein automatisiert. Man wird immer Fachkräfte brauchen, die diese Anlagen überwachen. Und ein geschultes Auge bei der Sichtprüfung von Teilen lässt sich nicht durch eine Maschine ersetzen, wenn es zum Beispiel um Dinge wie Oberflächen-Anmutung geht.
Bei vielen Tätigkeiten neigen Unternehmen inzwischen dazu, Arbeit von außen einzukaufen . . .
Bei der Leiharbeit sind wir mit unseren Tarifverträgen auf einem guten Weg, von der angekündigten gesetzlichen Regelung erwarten wir weitere Verbesserungen für die Beschäftigten und die Mitbestimmung. Bei Werkverträgen, wo die Situation wesentlich komplexer ist, brauchen wir dringend mehr Mitbestimmung unserer Betriebsräte.
Um welche Fälle geht es da?
Es geht uns ausdrücklich nicht um den Sonderfall des Ingenieurs eines Entwicklungsdienstleisters, der von sich aus zeitlich befristet für verschiedenen Arbeitgeber arbeiten will. Wir wollen Billigkonkurrenz vermeiden und dafür sorgen, dass Beschäftigte in Werkverträgen nicht zu deutlich schlechteren Konditionen arbeiten als der Rest der Belegschaft – etwa in der Logistik oder der Instandhaltung. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, müssen Betriebsräte eingreifen können. Dazu müssen sie aber wissen, welche soziale Absicherung die Beschäftigten haben, welche Regeln für Arbeitsplatzsicherheit gelten etc.
Brauchen Sie die Zeitarbeiter nicht auch, um in schlechten Zeiten einen Puffer zu haben und die Tarifbeschäftigten etwa vor Einschnitten zu schützen?
Das würde unterstellen, dass wir uns nur den Tarifbeschäftigten verpflichtet fühlen. Wir fühlen uns aber auch gegenüber Leiharbeitern und Beschäftigten in Werkverträgen verpflichtet. Alles andere würde gegen das solidarische Prinzip verstoßen, das zu unseren Grundsätzen gehört.