Gernot Erler, der Russlandbeauftragte der Bundesregierung Foto: dpa

Der ganze Umsetzungsprozess des Minsker Abkommens ist ins Stocken geraten. Doch jetzt gibt es einen neuen Anlauf, sagt der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler.

Stuttgart - Herr Erler, ist der Eindruck richtig, dass sich die Lage in der Ostukraine leicht beruhigt hat?

Eine Entwarnung kann es nicht geben, weil wir von den 13 Punkten, die das Abkommen von Minsk beinhaltet, noch nicht einen einzigen definitiv umgesetzt sehen. Es gibt auch weiterhin Beschuss von beiden Seiten. Insgesamt haben wir seit Beginn des Konflikts 6500 Tote zu beklagen. Das ist eine ganz problematische Situation. Aber seit dem 23. Juli gibt es eine Chance für einen Fortschritt in diesem Prozess.
Und die wäre?
Es wurde der Abzug von leichteren Waffen bis 100 Millimeter in einer Pufferzone von 30 Kilometern vereinbart. Und das wurde mit Nachdruck von der russischen Seite unterstützt. Das ist seit langer Zeit mal wieder eine gute Nachricht, weil der ganze Umsetzungsprozess des Minsker Abkommens ins Stocken zu geraten schien. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf.
Und was ist mit den Wahlen?
Am 18. Oktober finden Kommunalwahlen statt, auch in der Ostukraine sind sie geplant. Freilich wird immer noch um die Vorbedingungen gerungen – um eine Verfassungsänderung, um einen Sonderstatus für die Gebiete von Donezk und Lugansk, um eine Amnestie. Da ist noch keine Einigung erzielt worden. Es sieht so aus, dass die Wahlen in den abtrünnigen Gebieten erst später stattfinden. Das Gesamtprogramm von Minsk gerät dadurch in Rückstand.
Die Befürchtungen, dass die Separatisten ihren Einflussbereich weiter ausdehnen, haben sich nicht bewahrheitet, der Vormarsch auf Mariupol ist ausgeblieben. Ist das nicht ein positives Zeichen?
Da muss ich zustimmen. Es wird ja auch von der ukrainischen und russischen Seite sowie von den Sprechern der Separatisten unterstrichen, dass man sich an die Bestimmungen von Minsk halten wird. Gleichzeitig wirft man jeweils der anderen Seite vor, dies nicht zu tun. Die Umsetzung des Abkommens verläuft schleppend, aber es gibt auch keine Ausbrüche aus dem Rahmen.
Hat Moskau die Separatisten in der Ostukraine zurückgepfiffen?
Das vermute ich nicht nur, sondern es ist ganz offensichtlich, dass Russland ganz nachdrücklich für die am 23. Juli getroffene Vereinbarung geworben hat. Auch sahen sich die Separatisten veranlasst, einseitig Vollzug zu verkünden.
Haben die Sanktionen gegen Russland vielleicht doch Wirkung gezeigt?
Es ist schwer zu sagen, welche Einflüsse hier gewirkt haben. Ich bin sicher, dass die Sanktionen auch ihre Rolle spielen. Entscheidend ist, dass ein gewisser Wechsel in der russischen Politik eingetreten ist. Man hatte eine Zeit lang den Eindruck, dass Russland rein auf Konfrontationskurs gegangen ist – Stichwort Krim-Annexion und Unterstützung der Separatisten. Inzwischen sieht die russische Politik eine Chance, bei der Umsetzung des Minsker Abkommens in die Offensive zu kommen. Es ist eine Offensive, die darauf abzielt, die Isolierung aufzubrechen, in die Russland geraten ist.
Nach dem Abschluss des Iran-Abkommens hat US-Präsident Barack Obama den russischen Staatschef Wladimir Putin gelobt. Mit einer bestimmten Absicht?
Ich glaube, dass das auf keinen Fall zufällig gewesen ist. Das ist ein klares Signal, dass der Westen eine konstruktive russische Führung bei der Lösung von internationalen Problemen braucht. Es sieht danach aus, dass Russland ein Interesse daran hat, nicht dauerhaft in einer Ecke zu verharren. Auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist darauf bedacht, die Lage nicht eskalieren zu lassen. Es ist aber schwer einzuschätzen, wie stark seine Position ist. Man muss sehen, dass sich die wirtschaftliche Lage in seinem Land zuspitzt.