Siegfried Rapp mit einer Ecuadorianerin. Dank eines Mikrokredits konnte auf den Feldern unweit der Stadt Ambato ein neues Bewässerungssystem installiert werden. Seither verzeichnen die Bauern enorme Zuwächse – auch bei der Produktion von Kohlköpfen. Foto: privat

Fairer Handel, Ökologie und Ökonomie – in einer turbulenten Zeit kämpft der ecuadorianische Honorarkonsul Siegfried Rapp für eine Politik der konkreten Fortschritte. Im Interview erklärt er, warum es wichtig ist, sich zu engagieren. Trotz aller Hürden. Trotz aller Kritik.

Ludwigsburg - Siegfried Rapp ist intimer Kenner Südamerikas – schon in den 1970er Jahren reiste der heutige ecuadorianische Honorarkonsulnach Nicaragua, um den berühmten Dichter und Befreiungstheologen Ernesto Cardenal zu treffen. Gerechtigkeit, Fairer Handel, wirtschaftliche Zusammenarbeit: das sind die Themen, die Rapp umtreiben. Im Interview erklärt er, warum es wichtig ist, dass Ludwigsburg sich in diesen Feldern engagiert, zum Nutzen der Stadt und der Menschen vor Ort.

Herr Rapp, im Oktober haben Sie an der UN-Habitat-III-Weltkonferenz im ecuadorianischen Quito teilgenommen. Welche Eindrücke haben Sie mit zurück gebracht?
Alle Teilnehmer, das war die einhellige Meinung, haben profitiert. Die Konferenz hat sich mit der Stadt der Zukunft beschäftigt, mit der Neuen Urbanen Agenda, die weltweit 20 Jahre Gültigkeit haben wird. Mobilität, Energie, Ökologie, soziale Fragen, Integration – das alles sind Themen, die Kommunen weltweit beschäftigen. Und Ludwigsburg, eine der nachhaltigsten Städte Deutschlands, natürlich besonders.
Trotzdem gab es in der Heimat auch Kritik, der Tenor: was soll es der Stadt bringen, wenn der Oberbürgermeister, eine Verwaltungsmitarbeiterin und zwei Stadträtinnen mehrere Tage bei einer Konferenz im fernen Quito verbringen?
Es bringt eine Menge. Dort waren die besten Architekten und Stadtplaner versammelt und haben Zukunftsmodelle präsentiert. Firmen haben konkrete Lösungen für konkrete Probleme aufgezeigt. Seilbahnen sind in Südamerika etwa gerade ein großes Thema, um Verkehrsprobleme zu lösen – da gibt es ganz neue Ansätze, die auch für Ludwigsburg interessant sind. Außerdem ging es für unsere Delegation auch darum, Kontakte zu knüpfen.
Mit welchem Ziel?
Die Sache ist einfach: Wenn die Leute in Südamerika kein Auto aus Baden-Württemberg kaufen, werden sie ein anderes Auto kaufen. Wenn sie keine baden-württembergischen Produkte kaufen, dann eben andere – und die Chinesen sind in diesen Märkten schon weit vorgedrungen. Hier müssen wir aufholen.
Was haben deutsche Unternehmen dem entgegenzusetzen?
Wir haben uns in Ecuador auch eine ganz neue Universität angeschaut, mit den besten Studenten des Landes und internationalen Dozenten. Alle Laptops und sonstigen Kommunikationsmittel in der Uni wurden von einer chinesischen Firma gesponsert, und es ist ja völlig klar: die Studenten werden in Zukunft eher die Geräte dieser Firma kaufen. Zu unserer Delegation gehörte ein Vertreter von Siemens, und der hat direkt gesagt: für Siemens wäre es ein Vergnügen, so etwas zu machen. Wer schneller ist und die nötigen Kontakte hat, schafft es in die Märkte von morgen.
Das klingt pragmatisch, aber Sie wollen doch, dass die Welt besser wird und nicht, dass Siemens Märkte erobert.
Es geht nicht nur um Profit, sondern vor allem auch um Qualität. Da haben deutsche Firmen, gerade was umweltfreundliche Zukunftstechnologien angeht, viel zu bieten. Das hat mit Markterschließung zu tun, aber zum wechselseitigen Nutzen. Einen Brunnen in Afrika zu graben ist wichtig – diese einfache Form der Entwicklungshilfe müssen wir erweitern. Vernetzung, wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Austausch, darauf kommt es heute an. Die Probleme in Ecuador sind auch unsere Probleme, das ist so in einer globalen Welt. Wenn dort Wald aufgeforstet wird, hilft uns das. Und die aus den Tropen bekannte Tigermücke taucht jetzt in Südbaden auf. Die Welt wird kleiner, die Herausforderungen werden größer.
Ludwigsburg ist 2014 als nachhaltigste Stadt Deutschlands mittlerer Größe ausgezeichnet worden, nennt sich Fairtrade-Stadt. Kann eine Kommune auf diesen Feldern wirklich etwas bewegen?
Ja. Auch die Weltläden sind vor 30 Jahren belächelt worden. Heute ist daraus eine große Bewegung geworden. Im Ludwigsburger Weltladen können sie jeden Tag fair gehandelte Bananen aus Ecuador kaufen. Die Stadt trinkt fair gehandelten Kaffee, und zwar in bester Qualität. Wir müssen Firmen überzeugen, dass fünf Cent mehr pro Tasse Kaffee nicht schaden, aber global nutzen: ökologisch und sozial.
Kann man mit lokalen Initiativen wirklich etwas ausrichten gegen die Marktmacht riesiger Konzerne, denen der Preis womöglich wichtiger ist als Fairness?
Es stimmt, die Macht einzelner Unternehmen ist enorm. Kakao ist für Ecuador ein wichtiges Exportprodukt, aber der weltweite Markt wird von zwei oder drei Unternehmen dominiert. Das ist ein sehr empfindliches Thema. Andererseits hat hier wie dort ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Die Frage, wie Produkte hergestellt werden, wird für Verbraucher immer wichtiger – und die Konzerne registrieren das.
Und was haben die Erzeuger davon?
Fair Trade bedeutet, dass mit kleinen Mitteln viel erreicht werden kann. Ich habe mir Kakao- oder Kaffeeplantagen angeschaut. Man kann bei der Produktion, mit wenig Mehraufwand, weitgehend auf Pestizide verzichten. Das ist der ökologische Aspekt. Der soziale Aspekt ist, dass die Arbeiter einen faireren Lohn bekommen. Die Effekte vor Ort sind konkret.
Heißt das letztlich nicht, dass Kommunen oder einzelne Verbraucher retten müssen, was im Welthandel schief läuft?
Ecuador hat sich hohe Ziele gesetzt, bekämpft die Korruption, will die Kindersterblichkeit reduzieren, die Bildung der Bevölkerung erhöhen, die Gesundheitsstandards, den Mindestlohn. Wenn das Hand in Hand geht mit einem Bewusstseinswandel auf unserer Seite, nochmal: dann lässt sich viel bewegen.
Sie sind in den 1970er Jahren politisch geprägt worden, in einer Zeit der Visionen und großen Weltentwürfe. In einer Zeit auch, in der viele Menschen den Traum von einer besseren Welt träumten. Vermissen Sie diese Zeit manchmal?
Es war eine spannende Zeit, aber auch die Zeit des Kalten Kriegs, der krassen Feindbilder, und ich finde es eher besorgniserregend, dass manches davon wieder Konjunktur hat. Umso wichtiger ist die Fähigkeit, Koalitionen zu bilden. Unterschiedliche Ansichten zu haben, sich aber trotzdem zu respektieren – das ist eine starke demokratische Kraft. Wenn der Kommunikationsfaden abreißt, greifen die Menschen zum Messer, zum Panzer, zur Bombe.
Sie klingen trotzdem optimistisch und glauben daran, in kleinen Schritten etwas bewirken zu können? Was macht Ihnen Hoffnung?
In diesem Jahr haben sich wieder 70 junge Deutsche gemeldet, die für ein Jahr nach Ecuador gehen – um dort zu helfen, um die Menschen dort zu unterstützen. Diese jungen freiwilligen Helfer kommen begeistert und mit neuen Erfahrungen zurück. Sie profitieren persönlich von ihrem positiven Engagement und erzählen von ihren Eindrücken. Auch das ist Entwicklungshilfe. Und das sind für mich Hoffnungsträger. Natürlich ist die weltweite Nachrichtenlage manchmal bedrückend. Umso mehr sind die vernünftigen, die politisch und sozial bewussten Menschen gefordert, auf allen Ebenen zusammenzuhalten.

Vom Lehrer zum Konsul

Karriere
Siegfried Rapp wurde 1952 in Echterdingen geboren. 1972 begann er ein Lehramtsstudium in Germanistik und Theologie in Ludwigsburg und kam in dieser Zeit erstmals nach Lateinamerika. Fasziniert von der Befreiungstheologie, reiste er 1977 von den USA über Mexiko nach Nicaragua, um dort den Dichter und Theologen Ernesto Cardenal zu treffen, der in Opposition zur damals herrschenden Diktatur stand. Später arbeitete Rapp als Lehrer, begann dann aber ein Zweitstudium in der Erwachsenenbildung. Danach wurde er Fachbereichsleiter an der Ludwigsburger Volkshochschule, vor 15 Jahren gründete er das Ludwigsburger Institut für Konfliktmanagement LIKOM, das er bis heute leitet.

Konsul
Vor drei Jahren wurde Rapp – dank seiner intensiven Kontakte nach Lateinamerika – zum ehrenamtlichen Honorarkonsul vom Ecuador ernannt. Drei solcher konsularischen Vertretungen von Ecuador gibt es in Deutschland, und eine davon ist in Ludwigsburg. Der Konsul fungiert als eine Art Notar im Ausland, ist Ansprechpartner für alle in Deutschland lebenden Ecuadorianer, stellt Beglaubigungen, Vollmachten oder Reisepässe aus. Eine wichtige Aufgabe ist es darüber hinaus, Kontakte auf wirtschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Ebene zwischen Deutschland und Ecuador zu fördern.