Jesse Owens 1936 in Berlin beim Weitspringen. Ergebnis: Goldmedaille. Foto: Getty

Er entlarvte die angebliche Überlegenheit der arischen Rasse mit seinen vier Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin als Mumpitz. Im Interview sprechen die Töchter von Jesse Owens über ihren Vater.

Marlene und Beverly, wenn Sie Ihren Vater mit einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das?
Beverly: Großartig!
Marlene: Leidenschaftlich.
Und wenn Sie ein paar Worte mehr zur Verfügung haben?
Marlene: Er war unglaublich menschlich, menschenliebend und hingebungsvoll. Er hatte sich mit Leib und Seele seiner Familie und seinen Freunden verschrieben. Und auch seinem Land.
Letzteres ist besonders erstaunlich, denn die USA und nicht zuletzt das dortige Olympische Komitee behandelten ihn nicht unbedingt wie einen Helden. . .
Marlene: Da haben Sie Recht. Aber trotzdem hat er nie aufgehört, an das gute Amerika zu glauben. An das Versprechen, dass unserem Land innewohnt. Er war sich sicher, dass es ihm nirgends sonst möglich gewesen wäre, das zu erreichen, was er erreicht hat. Die Möglichkeiten, die die USA ihm in seinem Leben boten, waren nicht zahlreich. Doch immerhin gab es überhaupt welche. Und die hat er genutzt.
Als Afroamerikaner in Nazi-Deutschland die Goldmedaille im Weitsprung zu gewinnen – wie bewusst machte sich Ihr Vater die symbolische Bedeutung, die dieser Moment hatte?
Beverly & Marlene (wie aus einem Mund): Gar nicht! (lachen)
Marlene: Das war ja nichts, was er geplant hatte. Es ist einfach passiert: er war talentiert, die Sache lief gut für ihn und er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Auf den historischen Aspekt dieses Sieges hat er sich nichts eingebildet. Aber er war enorm stolz auf seine eigene Leistung, keine Frage.
„Zeit für Legenden“ hält diesen Moment nun auf der Leinwand fest. Auf korrekte Weise?
Beverly: Oh ja, dafür haben wir gesorgt. Wir wurden glücklicherweise beim Drehbuch zu Rate gezogen und konnten Einspruch erheben gegen Szenen, die nicht stimmten. Deswegen erzählt der Film nun tatsächlich die Wahrheit.
Marlene: Natürlich erlaubten sich die Macher hier und da auch künstlerische Freiheit. Warum auch nicht, das muss schließlich manchmal sein, um einen bestimmten Aspekt herüberzubringen. Aber wir haben sichergestellt, dass dieser Punkt wahrhaftig ist.
Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie den Film schließlich gesehen haben?
Marlene: Es war für uns beide eine sehr emotionale Erfahrung. In gewisser Weise war das da auf der Leinwand ja ein Teil unseres eigenen Lebens. Einige Szenen waren nicht leicht zu ertragen, denn als Töchter von Jesse Owens war uns selbst – vor allem in der Jugend zuhause – gar nicht klar, wie schwer unser Vater es oft im Leben hatte.
Hat er zuhause viel über seine Olympia-Teilnahme und diese Zeit seines Lebens gesprochen?
Marlene: Nicht wirklich. Für mich war es immer wichtig zu betonen, dass die Olympiade nichts war, was ihn ausgemacht hat. Er hat daran teilgenommen, mehr auch nicht. Zuhause war er Daddy, das war viel wichtiger. Erst als wir Teenager waren, realisierten wir nach und nach, was unser Vater geleistet hatte und wie berühmt er eigentlich auf der ganzen Welt war.
Die Dreharbeiten zu „Zeit für Legenden“ war nicht Ihr erster Besuch im Berliner Olympiastadion, oder?
Marlene: Nein, wir waren schon öfter dort. Das erste Mal war 1980, als in Berlin die Jesse Owens Allee eingeweiht wurde. Die Eindrücke, die wir damals gesammelt haben, waren unglaublich inspirierend. Dort in diesem Stadion zu stehen und sich vorzustellen, wie unser Vater dort gestanden hat, war etwas ganz Besonderes. Und dann ganz wahrhaftig seinen Namen dort an der Wand zu sehen!
Hat Ihr Vater Sie eigentlich je ermutigt, in seine Fußstapfen zu treten?
Marlene: Nein, nie (lacht). Das war das letzte, was er im Sinn hatte. Für junge Frauen, zumal seine Töchter, hatte er ganz anderes im Sinn. Wir sollten echte Ladys werden und bekamen Benimmkurse.
Beverly: Und Tanzunterricht.
Wo bewahren Sie seine vier Goldmedaillen auf?
Marlene: Wir gar nicht. Die Jesse Owens Collection haben wir schon vor langer Zeit an die Ohio State University übergehen. Dort ist also auch das Gold zu sehen.
Bleibt noch die Frage nach dem Konkurrent und Freund Ihres Vaters. Haben Sie heute noch Kontakt zur Familie des deutschen Weitspringers Luz Long, der 1936 Silber im Weitsprung holte?
Marlene: Oh ja, und wie. Beverlys Sohn ist mit der Enkelin von Luz befreundet. Ohne dass wir damit etwas zu tun gehabt hätten.
Sondern?
Beverly: Das war tatsächlich Zufall. Mein Sohn war eines Abends mit einer Kollegin in Deutschland in der Kneipe und erwähnte beiläufig, wer sein Großvater war. Da zückte sie ihr Telefon und rief ihre beste Freundin an, mit der er unbedingt sprechen sollte. Denn bei der handelte es sich tatsächlich um Longs Enkelin. Die beiden sich auf Anhieb prächtig.
Auch irgendwie eine kleine Legende...
Beverly & Marlene (gleichzeitig): Ganz genau (lachen)!