Die Welt und das Theater sind zum Verzweifeln – Claus Peymann bei der Probe zu Peter Handkes jüngstem, im Februar in Wien uraufgeführtem Stück. Foto: Christian Michelides

Zurück in der Stadt seiner frühen Triumphe: Am Sonntag tritt Claus Peymann, einer der wichtigsten Theaterintendanten der Nachkriegszeit, in der Stuttgarter Liederhalle auf. Seine Liebe zu den Schwaben ist ungebrochen, sein Blick auf die Welt aber düster. Und der einzige Lichtblick: die Kanzlerin.

Stuttgart -

Ob Stuttgart, Bochum oder Wien: wo immer Claus Peymann als Intendant gearbeitet hat, erlangte das jeweilige Haus theaterhistorischen Rang. Selbst wenn ihm das an seinem jetzigen Arbeitsplatz, dem Berliner Ensemble, nicht vergönnt sein sollte: Der Aufklärung ist sein Theater nach wie vor verpflichtet, weshalb Peymann auch als 78-jähriger Elder Statesman keinem Streit aus dem Weg geht. Die Berliner Kulturpolitik findet er fast so furchtbar wie die politische Großwetterlage. Einziger Lichtblick: Angela Merkel und die Schwaben. Am Sonntag, 11 Uhr, ist Claus Peymann zu Gast bei Wieland Backes in der Liederhalle.
Herr Peymann, Sie wollen in Stuttgart über die „Schieflagen der Welt“ reden. Wo sehen Sie derzeit die größten Gefahren?
Ich sehe sie in der neuen Völkerwanderung, die eine Folge unserer Interventionspolitik in Nordafrika, im Vorderen und Mittleren Orient ist. Für mich als politisch denkender Mensch ist das zwar keine Überraschung, aber dass diese Völkerwanderung so rabiat einsetzen würde, war auch von mir nicht vorauszusehen – obwohl ich schon immer gesagt habe, dass wir in Europa eine Mauer bauen werden, mit der verglichen die Berliner Mauer ein Gartenzaun ist. Jetzt ist es soweit. Das Ausmaß ist erschreckend: Wir haben in Europa eine Vorkriegssituation mit archaischen Konstellationen.
Vorkrieg? Ist das jetzt eine Zuspitzung?
Nein, eher eine Zustandsbeschreibung, die schon wieder rosarot eingefärbt ist. Tatsächlich wohnen wir einem lang vorbereiteten Weltuntergang bei. In unserer globalisierten Welt sind die Kriege in Syrien oder Jemen doch Kriege vor unserer Haustür. Wir befinden uns mitten im Dritten Weltkrieg, der sich jetzt aber noch an verschiedenen Schauplätzen manifestiert.
Rechnen Sie mit weiteren Eskalationen?
Ich rechne damit. Gott sei Dank bin ich alt genug, um das nicht mehr alles miterleben zu müssen. Als kleiner Bub bin ich im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen und habe immer gedacht: Nie wieder Krieg! Diese Botschaft konnte meine Generation aber nicht an die Nachgeborenen weitergeben. Selbst mein eigener Sohn versteht nicht wirklich, was Krieg bedeutet, er hat keine Vorstellung davon. Zudem beobachte ich eine Militarisierung des Zusammenlebens: Die Leute fahren mit Jeeps durch die Städte, soziale Rücksichten fallen weg, die Gewalt nimmt zu. Und an der Schwelle zum Greisenalter sage ich jetzt: Da findet auch eine Verrohung der Seelen statt. Die Menschen, die eines Tages bei uns Krieg führen werden, haben es leicht mit dieser Generation. Sie ist das ideale Kanonenfutter.
Zurück zur Flüchtlingspolitik: Finden Sie es richtig, dass Europa zur Festung wird?
Das Problem werden wir mit Mauern nicht lösen. Alles, was Frau Merkel jetzt in die Wege leitet, sind Schönheitsoperationen. Sie berühren ja nicht den Kern der Krankheit. Der Kern ist die jahrhundertelange Ausbeutung der Dritten Welt und der Anspruch der USA, den American Way of Life als Doktrin für alle Völker dieser Erde durchzusetzen. Ich möchte aber kein fetter, um sich schießender Ami sein. Wir sollten uns auch hüten, diesen Lebensstil nach Libyen und Syrien, in den Irak und den Iran zu exportieren. Aber was Deutschland betrifft: ich finde Merkels Politik richtig.
Sie haben die Kanzlerin sogar schon auf dem „spektakulären Sprung zum Friedensnobelpreis“ gesehen. Gilt diese Einschätzung auch nach dem Türkei-Deal noch?
Die Vereinbarung ist von einer großen Unmenschlichkeit: Die einen dürfen ins Paradies, die anderen müssen vor der Pforte wieder umkehren und werden mit einem Polizisten an ihrer Seite zurück nach Asien geschickt. Das ist schrecklich, aber wahrscheinlich gab es gar keinen anderen Weg, als die Tür jetzt zuzumachen. Den Millionen von Menschen, die schon nach Europa gekommen sind, folgen ja noch weitere Millionen. Das Unrecht der Welt lässt sich nicht in einer Dekade lösen.