An den Universitäten im Südwesten sollte verstärkt unternehmerisches Denken gelehrt werden, fordert Michael Bolle. Foto: factum/Granville

Vor gut einem Jahr hat Bosch das Forschungszentrum in Renningen eröffnet. Der Konzern habe Geschwindigkeit aufgenommen, sagt Forschungschef Michael Bolle. Auch andere Firmen im Südwesten haben ihre Forschung gestärkt. Dennoch hat das Land in einigen Bereichen Nachholbedarf.

Stuttgart - Vor gut einem Jahr hat Bosch das Forschungszentrum in Renningeneröffnet. Der Technologiekonzern habe Geschwindigkeit aufgenommen, sagt Forschungschef Michael Bolle. Auch andere Unternehmen im Südwesten haben ihre Forschung gestärkt. Dennoch hat das Land in einigen Bereichen Nachholbedarf.

Herr Bolle, vor gut einem Jahr hat Bosch sein Forschungszentrum in Renningen eingeweiht. Schneller, risikobereiter, früher unternehmerisch denken – das waren Stichworte, die Bosch-Chef Volkmar Denner den Forschern mit auf den Weg gegeben hat. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Wir haben mit dem Campus eine enorme technologische Infrastruktur geschaffen. Unsere 400 Labore bilden die Technologien von Bosch in der Breite ab. Die Campusstruktur bietet ideale Voraussetzungen für interdisziplinären Austausch. Von unserem Forschungsknotenpunkt in Renningen aus arbeiten wir in den einzelnen Projekten eng mit den Geschäftsbereichen zusammen. Wir haben Geschwindigkeit aufgenommen.
Wie schnell ist Bosch geworden?
Das ist im Detail schwer messbar. Wichtiger ist uns der Hebel für ein höheres Tempo. Da spielt die Kulturveränderung eine große Rolle. Unser Motto ist „Passion for Innovation“. Wir wollen noch mehr Leidenschaft für Innovation. Und Innovation heißt, Forschungsergebnisse in den Markt zu bringen. Das erreichen wir, indem unsere Forscher noch enger mit den Geschäftsbereichen und der Produktentwicklung zusammenarbeiten. Wichtig ist uns auch: Unsere Forscher gehen die komplexen, herausfordernden und für uns Menschen nutzenstiftenden Zukunftsthemen an – auch wenn das Risiko des Scheiterns besteht. Das hochautomatisierte Fahren in der Stadt ist ein solches Thema.
Bosch ist nicht der einzige Konzern, der solche Themen vorantreibt. Wie wichtig ist dabei Geschwindigkeit?
Generell haben sich die Märkte deutlich beschleunigt. Das hat vor allem mit neuen Marktteilnehmern zu tun. Denken Sie an IT-Firmen, die rund ums Auto aktiv geworden sind. Aus meiner Sicht ist das Entwicklungstempo ein Top-Thema. Deshalb haben wir Forschung und Produktentwicklung enger miteinander verzahnt. Und wir haben die Methodik geändert, um schneller auf Markt und Kunden reagieren zu können.
Hat der Druck zu mehr Geschwindigkeit auch mit China und deren Hightech-Zukäufen zu tun?
Nein. Renningen ist der Kern des globalen Forschungsnetzwerkes von Bosch mit elf Standorten in sieben Ländern und mehr als 55 000 Forschern und Entwicklern. Entwicklungsaktivitäten in der Produkt- und Serienentwicklung betreiben wir an weltweit 118 Standorten. Auch in Shanghai haben wir ein Forschungszentrum. China ist für uns ein wichtiger Markt, den Bosch auch mit Produkten aus lokaler Entwicklung bedient. Wir arbeiten mit chinesischen Firmen, Universitäten und weiteren wissenschaftlichen Institutionen eng zusammen.
Wie innovativ ist der Mittelstand im Südwesten? Es gibt Wirtschaftsforscher, die an der Innovationskraft zweifeln.
Das sehe ich anders. Zuletzt wurde eine Vielzahl neuer Forschungszentren in der Region eröffnet. Da waren auch mittelständische Unternehmen am Start. Solche Leuchtturmprojekte sind wichtig, um hochqualifizierte Mitarbeiter nach Baden-Württemberg zu holen. Unser Forschungscampus in Renningen ist für diese Zielgruppe ebenfalls sehr attraktiv.
Mit der Elektromobilität steht einem Großteil der Industrie ein Umbruch bevor.
Durch den schrittweisen Umbruch vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität oder den Trend hin zu datengetriebenen Geschäftsmodellen im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge stehen viele Firmen vor einer Herausforderung: Sie müssen sich quasi neu erfinden und in ganz neue Felder hineingehen. Bosch bietet zum Beispiel neben Sensoren zum Erfassen von Daten die passende Software, um diese Daten auszuwerten und Services, die sich daraus ergeben.
Wie aufgeschlossen sind die Mittelständler?
Wir erleben einen sehr aktiven Mittelstand – und eine stetig wachsende Start-up-Szene, die sehr innovativ ist. In Deutschland sehen wir vielfältige Aktivitäten – bei jungen Leuten sind etwa Berlin und München beliebt. In Baden-Württemberg müssen wir uns aber keineswegs verstecken.
Was machen Berlin und München besser als Stuttgart?
Wichtig für Start-ups ist ein universitäres Umfeld . . .
. . . . was Stuttgart hat.
Wir brauchen Lehrstühle für Entrepreneurship, die der Südwesten nur teilweise hat. Unternehmerisches Denken sollte Teil der universitären Ausbildung sein. Und dann müssen Industrie und Start-ups auch noch gut zusammenarbeiten. Andernorts gibt es vielfältige Aktivitäten rund um Internet und E-Commerce. In Stuttgart hat vor allem die Autoindustrie ihren Heimathafen.
Autoindustrie? Wo liegt das Problem?
Wegen der ausgesprochen starken Autoindustrie war Baden-Württemberg für Start-ups in der Vergangenheit eher uninteressant. Warum? Weil sich die Technologie im Bereich der Fahrzeugtechnik etwa im Vergleich zur IT-Industrie langsam entwickelt, zudem waren die Eintrittsbarrieren in der Vergangenheit hoch und die Marktteilnehmer relativ konstant. Doch die Welt hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verändert. Deutlich war das auf der Hightechmesse CES in Las Vegas zu sehen, wo das vernetzte und zunehmend automatisierte Auto zum Schwerpunktthema geworden ist; vor einigen Jahren war das undenkbar. Heute ist das Auto mit seinen neuen Services für Start-ups hochinteressant. In Baden-Württemberg haben wir das relativ spät erkannt.
Und nun?
Mit dem Cyber Valley haben wir eine Initiative ins Leben gerufen, in der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik die Forschung im Bereich Künstlicher Intelligenz vorantreiben. Baden-Württemberg wird zum Hotspot für junge Forscherinnen und Forscher aus aller Welt. Diese ermutigen wir, Start-ups zu gründen. Von den Impulsen, die von ihnen ausgehen werden, wird der Südwesten profitieren. Wenn wir gut sind, sehen wir in fünf bis zehn Jahren die ersten großen Schritte in Richtung eines Ökosystems, das aus Start-ups, Mittelständlern und großen Unternehmen besteht.
Verstehen der traditionelle Mittelstand und die quirligen Start-Ups sich gut?
Aus meiner Sicht schon. Nehmen wir von der Wissensfabrik ins Leben gerufenen Gründerwettbewerb Weconomy. Dort beraten Großunternehmen, Mittelständler und Start-ups gemeinsam innovative Geschäftsmodelle. Für alle Seiten ist die Erfahrung bereichernd, Berührungsängste werden abgebaut. Von solchen Aktivitäten brauchen wir mehr.
Wie aktiv ist Bosch in der Start-up Szene?
Unsere eigenen Mitarbeiter sind sehr kreativ. Unter dem Dach unserer eigenen Plattform, der Bosch Start-up GmbH, haben wir mittlerweile sechs Start-Ups versammelt. Zusätzlich beobachten wir den Markt außerhalb des Konzerns sehr genau. Bei uns stellen sich jedes Jahr einige hundert externe Gründer vor. Mit mehr als fünfzig dieser jungen Unternehmen arbeiten wir zusammen – und es werden sicher noch mehr werden. Ein aktuelles Beispiel aus der Start-Up GmbH ist Mayfield Robotics. Die Kollegen unseres Start-ups im Silicon Valley haben jüngst auf der CES den viel bestaunten Heimroboter Kuri vorgestellt. Der Verkaufsstart in den USA ist für Ende 2017 geplant. Darauf bin ich schon sehr gespannt.