Brigitte Dahlbender lebt in Ulm – sie pendelt deshalb viel mit dem Zug zwischen Stuttgart und Heimatort. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Seit 20 Jahren führt Brigitte Dahlbender den Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Im Gespräch zieht sie eine gemischte Bilanz.

Stuttgart - Eigentlich ist sie durch einen Zufall zum Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gekommen – doch seit 20 Jahren ist sie nun die Frontfrau des Landesverbandes. Das zeitlich und personell aufwendige Engagement des BUND gegen Stuttgart 21 verteidigt Brigitte Dahlbender: Ohne den enormen Widerspruch wären Verkehrspolitik und Bürgerbeteiligung im Land ihrer Meinung nach heute noch deutlich schlechter.

Frau Dahlbender, auch 20 Jahre nach Ihrem Antritt als Landesvorsitzende liegt in Baden-Württemberg vieles im Argen: Immer mehr Fläche wird versiegelt, immer mehr Arten sterben aus. Wie ist Ihre Bilanz?
Tatsächlich haben alle Bemühungen der Naturschutzverbände die Probleme nicht reduziert. Im Gegenteil, sie haben sich verschärft. Ich hatte nie die Illusion, dass ich das Artensterben aufhalten könnte. Ich kann nur Politik dafür machen und ein Bewusstsein schaffen und an konkreten Beispielen zeigen, wie es gehen sollte. Die Politik muss die richtigen Weichen stellen.
Inwieweit ist das gelungen?
Auf lange Sicht haben wir viel bewirkt. Schauen Sie auf die Atompolitik: Vor 50 Jahren, als wir angefangen haben, wurden wir als komplette Spinner bezeichnet. Und als wir 1976 die ersten Solarkollektoren vorgestellt haben, wurden wir ausgelacht. Aber der Atomausstieg in Deutschland wäre ohne unseren langjährigen Widerstand nicht erfolgt. Es gab großen Druck, den die Verbände auf die Politik aufgebaut hatten. Auch die Abwendung von der grünen Gentechnik ist ein Erfolg. Da bin ich auch ein wenig stolz drauf, dass uns das gelungen ist.
Bei der Artenvielfalt gibt es diese Erfolge kaum. Warum nicht?
Einer der Hauptverursacher ist die agrarindustrielle Landwirtschaft, die eine große Menge an Pestiziden einsetzt und auch viel Dünger ausbringt, weil sie keine Fruchtfolge machen will, und die bei der Tierhaltung einfach viel zu viel Gülle produziert.
Was wäre die Lösung?
Der absolut größte Hebel ist es, die EU-Milliarden für die Landwirtschaft neu zu verteilen. Es muss mehr Geld dafür ausgegeben werden, dass das Land ökologischer bewirtschaftet wird.
Die Spitze des Agrarministeriums hat ein solches Ansinnen bereits in Bausch und Bogen zurückgewiesen.
Das Agrarministerium vertritt die Ansicht der Funktionärsverbände. Vor Ort gibt es viele Landwirte, die anders denken. Vertreter der Brenner, der Schäfer und Imker beginnen sich ähnlich zu äußern wie wir.
Die Bauern sehen sich mit dem Rücken an der Wand angesichts globaler Märkte. Und dann kommen noch diese blöden Naturschützer mit ihren Forderungen.
Ja, aber es sind eben nicht nur die Naturschützer. Es gibt eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung zur Erhaltung der Biodiversität seit Rio 1992. Es gibt EU-Richtlinien von Natura 2000 bis zur Wasserrahmenrichtlinie sowie die Naturschutzgesetze von Bund und Land. Diese Verpflichtungen speisen sich aus der Erkenntnis, dass die Artenvielfalt wie die Luft und das Wasser zur Lebensgrundlage der Menschheit gehört. Artenvielfalt ist kein Luxus.
Auch bei Stuttgart 21 ging es viel um Artenschutz. Trotzdem: würden Sie aus heutiger Perspektive sagen, dass es richtig war, sich mit so viel Zeit- und Personaleinsatz gegen das Projekt zu wenden?
Alle Tätigkeiten des BUND liefen in jener Zeit unverändert weiter. Es waren im Wesentlichen nur vier Personen beim BUND, die sich fachlich und politisch auf Stuttgart 21 konzentriert haben. Es war im Verband nicht deutlich umstritten. Es hat an einigen Stellen Ablehnung gegeben. Aber nicht in dem Maße, dass ich sagen würde, der Verband habe sich im Konflikt befunden.
Und er befand sich auch nicht am Rande des Ruins?
Wir haben unsere Arbeit weitgehend über Spenden finanziert. Ich finde diesen Weg richtig, denn wenn wir genügend Spenden akquirieren können, wissen wir, dass das Thema und unsere Aktivitäten von vielen Menschen mitgetragen werden.
Würden Sie das Engagement sogar als Erfolg sehen, obwohl der Bahnhof gebaut wird?
Es war schmerzlich. Wir haben unser eigentliches Ziel nicht erreicht. Und es war für mich ein sehr schwerer Schritt, nach der Volksabstimmung zu sagen: So, das war’s jetzt. Stuttgart 21 ist immer noch ein falsches und grottenschlechtes Projekt, aber die Leute haben so abgestimmt. Für den BUND war es nach wie vor ein richtiges und wichtiges Engagement. Ich bin heute noch überzeugt: Hätte es den enormen Widerspruch nicht gegeben, wären die Politik und die Bahn bei der Rheintalbahn nicht so stark auf die Menschen zugegangen. Auch die Zusage für die Elektrifizierung der Südbahn nach Friedrichshafen wäre nicht so klar gewesen. Das stand ja alles auf der Kippe. Und der unglaublich kreative und von hoher Sachkenntnis geprägte Widerstand war mit ein Auslöser für die großen Verbesserungen bei der Bürgerbeteiligung.
Ein drittes wichtiges Thema Ihrer Amtszeit ist die Energiewende. Windkraft und Schutz von Rotmilan und Fledermäusen – wie sehr zerreißt es den BUND bei dem Zielkonflikt?
Natürlich zerreißt es uns manchmal. Aber wir wollen zur Lösung dieser Zielkonflikte einen Beitrag leisten und entwickeln deshalb immer auch Alternativen. Das unterscheidet uns erheblich von den St.-Florians-Jüngern, die sich keine Gedanken um die Folgen ihrer Position machen. Wir sind für die Windenergie, aber wir wollen, dass der Naturschutz berücksichtigt wird.
Die Energiepolitik, die die grün-schwarze Regierung macht, ist für Sie in Ordnung?
Sie geht in die richtige Richtung. Die Landesregierung arbeitet gut daran, ihr Klimakonzept umzusetzen. Aber das reicht nicht. Ich habe aber schon lange eine Grundsatzkritik: Es wird viel zu wenig für die Energieeinsparung gemacht. Grundsätzlich sehe ich eher andere Politikfelder, die mir Sorgen machen. Bei einer nachhaltigen Mobilität geht es kaum voran. Auch bei der Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie liegt vieles im Argen; da ist der Widerstand der CDU stark. Und die Wohnraumallianz macht mir Sorgen, weil dort der Naturschutz hinten runter fallen könnte.
Sehen Sie es grundsätzlich als dramatischen Rückschlag für den Naturschützer an, dass angesichts der Wohnungsnot der Schutz der Freiflächen kaum noch Bedeutung hat?
Man versucht, die Schleusen zu öffnen. Aber es ist ambivalent. Die großen Kommunen sehen schon, dass ihnen nicht damit gedient ist, große Wohngebiete auf der grünen Wiese zu bauen. Sie wissen genau, dass sie dann erneut die sozialen Probleme der 70er Jahre bekommen würden. Es kostete wahnsinnig viel Geld, diese Probleme wieder zu beheben. Aber bei den ländlichen Kommunen ist der Wunsch, auf die Fläche zu gehen und massiv zu bauen, schon da. Diese Entwicklung ist schmerzlich. Aber wir können nicht alles stemmen, doch wir bleiben dran.