Sie muss ab: Szene aus der Komödie „Vorhaut“ Foto: Lena Obst

„Vorhaut“, präsentiert vom Berliner Ensemble Ballhaus Naunynstraß, hat im Stuttgarter Theaterhaus das Interkulturelle Festival „Made in Germany“ eröffnet. Das Stück lässt die Debatte um Beschneidung mit komödiantischen Mitteln aufleben.

Stuttgart - Endlich ein Enkelsohn! Mit Verve plant Großmutter Elif das Beschneidungsfest, noch ehe das Kind seine Mutter verlassen hat, doch der Gegenwind vom nichtmuslimischen Erzeuger weht schneidig. Als selbst matriarchale Erpressungsmethoden den Schwiegersohn nicht umzustimmen vermögen („Die Vorhaut meines Sohnes ist der letzte Schutzwall Europas“), hyperventiliert die Dame im Vorraum des Kreißsaals mit dem Aufschrei: „Wenn Allah mich zu sich ruft, was sag’ ich ihm? Mein einziger Enkelsohn ist nicht beschnitten?“

Als Beschneidungsdebatte ging 2012 die öffentliche Diskussion in die Geschichte Deutschlands ein, in der unverblümt antijüdische und antimuslimische Vorurteile kursierten. Mit seiner mehrheitlichen Abstimmung am 12. Dezember 2012 hob der Bundestag ein Urteil des Landgerichts Köln vom Mai des gleichen Jahres auf, das die Entfernung der Vorhaut bei Jungen als „strafbare Körperverletzung“ deklariert hatte.

„Vorhaut“, präsentiert vom Berliner Ensemble Ballhaus Naunynstraße als Eröffnungsstück beim Interkulturellen Festival „Made in Germany“ im Theaterhaus, lässt die Debatte mit komödiantischen Mitteln aufleben. Die Komödie von Necati Öziri und Tuncan Kulaoglu spielt in einer Silvesternacht, in der eine homoerotisch ambitionierte türkische Ärztin und eine blond gelockte deutsche Krankenschwester Dienst schieben. „Die Leber, das Raucherbein und die Galle“ sind schon in die Nacht geschickt, da platzt eine Gebärende, gefolgt von ihrer kulturell gemischten Sippe, in das Bühnenambiente.

Verhandelt werden religiöse und traditionelle Rituale, aber auch Sinnsuche, Identität, Geschlechterfragen, Moralitäten. Elifs machobetonter Sohn, der kürzlich vom Hinduismus zum Judentum „konvertierte“, hat als Handyton „Hava nagila“ gewählt. Mohamed, stolzer Vater dreier Kinder, outet sich im Glitzerlook als schwul. Christian brandmarkt „die 68er, die uns das ganze Multikulti eingebrockt haben“. Und Elif, ohne Kopftuch, streichelt ihre Kinder mit dem arabischen Kosewort „Habibi“, hat aber ihres Geldes wegen alle in der Hand. „Vorhaut“, inszeniert von Miraz Bezar, ist frei von Dogmen und wird von einem hoch ambitionierten Ensemble grandios respektlos gespielt.

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