Chef Thomas Thiele und seine Leute von Feuerwehr und DRK wachen in der Integrierten Leitstelle über eine Vielzahl von Monitoren und Einsatzszenarien. Foto: Peter Petsch

238.000 Notrufe sind im vergangenen Jahr in der Integrierten Leitstelle (ILS) eingegangen. Von dort aus werden alle Einsätze von Feuerwehr und Notfallrettung in Stuttgart sowie Katastrophen- lagen im ganzen Land koordiniert. Ein Besuch im Herzen des Rettungswesens.

Stuttgart - Die Frau am Telefon ist völlig außer sich. „Kommen Sie schnell, es brennt ganz arg“, brüllt sie panisch in den Hörer. Ihre Worte sind kaum zu verstehen. Der Mann am anderen Ende der Leitung fragt konzentriert ab, was passiert ist. Und wo. Und antwortet schließlich mit ruhiger Stimme: „Die Feuerwehr kommt.“

Mit solchen Gesprächen haben es die Disponenten in der Integrierten Leitstelle jeden Tag zu tun. Sämtliche Anrufe über die Notrufnummer 112 landen dort, in einem modernen Gebäude auf dem Gelände der Feuerwache am Wasen in Bad Cannstatt. Alle Einsätze der Feuerwehr und des Rettungsdienstes werden von dort aus koordiniert. Aber nicht nur die. Auch Krankentransporte, den Ärztlichen Notfalldienst und den Katastrophenschutz in der Landeshauptstadt lenken die Männer in der ILS, die von Feuerwehr und Rotem Kreuz (DRK) kommen.

Wenn es im Land richtig brennt, sind sie besonders gefordert. Denn sie fungieren überdies als Oberleitstelle Baden-Württemberg bei landesweiten Großschadensereignissen – etwa dem Amoklauf von Winnenden. Die Wege, um sich in bestimmten Situationen mit anderen Beteiligten abzu-stimmen, sind kurz: Im selben Gebäude sitzen auch die Verkehrsleitzentrale sowie der Führungs- und Verwaltungsstab der Stadt Stuttgart. Damit ist die Leitstelle für Sicherheit und Mobilität Stuttgart (Simos) die größte Leitstelle in Baden-Württemberg.

Hohe Anforderungen an Mitarbeiter

Die Telefone stehen rund um die Uhr nicht still. „Manchmal ist es sehr schwierig, die Anrufer zu verstehen“, weiß Thomas Thiele. Der Leiter der ILS steht in einem großen, abgedunkelten Raum voller Monitore. Auf einem riesigen Bildschirm an der Wand sind eine Karte des Stadtgebiets und Videobilder von Straßenabschnitten zu sehen. Hier laufen die Anrufe ein. Auch der Führungsraum nebenan ist vollgestopft mit Technik. Bei Katastrophen werden die Einsatzkräfte von hier aus gelenkt. An der Wand hängt ein Plakat mit Reanimationsabläufen. Etwa ein Dutzend Mal im Jahr müssen die Disponenten bei Notfällen am Telefon die Anrufer bei Wiederbelebungsmaßnahmen dirigieren.

Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind hoch. Deshalb müssen sie viel Stressresistenz und Erfahrung mitbringen. Die Ausbildung soll zudem ausgeweitet werden. In Sekundenschnelle müssen sie einschätzen können, wie die Lage am anderen Ende der Leitung ist. Anrufe werden aufgezeichnet. „Manchmal kann man beim zweiten Durchlauf noch zusätzliche Informationen heraushören“, weiß Feuerwehrsprecher Sebastian Fischer. Die Nummer des Anrufers ist auch bei unterdrückter Rufnummer zu erkennen. Falls jemand nicht mehr verständlich sprechen kann, lässt sich ein Handy über eine Anfrage bei der Polizei auf wenige Hundert Meter genau orten.

Das Aufgabenfeld der Leitstelle ist enorm. Im vergangenen Jahr sind dort allein 238.000 Notrufe eingegangen. Sie haben dazu geführt, dass die Feuerwehr zu 1200 Bränden ausgerückt ist, Rettungswagen und Notärzte mussten über 55.000-Mal auf die Straße. Angesichts dieser Zahlen sitzen rund um die Uhr vier Disponenten an den Computern, tagsüber kommen drei weitere hinzu. „Bei besonderen Lagen können wir bis zu 17 Plätze besetzen“, sagt Thiele.

Technik stößt manchmal an Grenzen

Doch manchmal hilft selbst das nicht. In seltenen Fällen ist sogar die hoch moderne Stuttgarter Leitstelle überfordert. Etwa, wenn wie im Juli 2009 ein Unwetter die Stadt heimsucht und viele Bürger gleichzeitig den Notruf wählen. Damals konnten von 700 Anrufen, die binnen kürzester Zeit eingingen, rund hundert nicht angenommen werden. Sie landeten schließlich bei der Polizei. „So etwas kommt alle drei bis fünf Jahre einmal vor“, sagt Thiele. Das sei so selten, dass es tolerierbar sei: „Wenn wir alle 17 Plätze besetzt haben und 18 Anrufe kommen, stößt die Technik eben an Grenzen.“

Unumstritten ist das bisherige System der Integrierten Leitstellen in Baden-Württemberg freilich nicht. Über 30 gibt es davon und viele Experten halten diese Zahl für zu hoch. Der DRK-Landesverband etwa hält 18 bis 20 für sinnvoll. Auch Bürgerinitiativen fordern seit langem eine Reduzierung. In einem Positionspapier der Stuttgarter Feuerwehr zum Rettungswesen im Land heißt es: „Zur Nutzung von Synergieeffekten sind mittelfristig integrierte Regionalleitstellen vorzusehen. Diese sollen sich an der Gebietszuordnung der Polizeileitstellen orientieren.“

Thomas Thiele wäre grundsätzlich damit einverstanden. „Die aufwendige Technik kostet viel, zudem gibt es sehr kleine Leitstellen, die nur mit zwei Mann besetzt sind.“ Wenn dort die Hölle los ist, kann schnell die Grenze des Machbaren erreicht sein. Das ließe sich mit größeren Einheiten vermeiden. „In Berlin ist die Leitstelle für 3,5 Millionen Bürger zuständig. Technisch ist das machbar“, so Thiele. Dafür müssten allerdings viele Kreise auf ihre Leitstellen verzichten. Das wird nicht ohne Gegenwehr abgehen.

In Bad Cannstatt klingelt das Telefon derweil nahezu ununterbrochen. Rund tausend Anrufe gehen an diesem Tag ein. Und die Disponenten am Hörer bewahren die Ruhe. „Die Feuerwehr kommt“, sagt einer.