Gemeinsam arbeiten sie an der Technologie für Elektroautos: Alexander Kohs, Shergo Mardini, Thaer Allahham (v. l.) Foto: factum/Granville

Ein berufsintegrierter Studiengang Business School bringt qualifizierte Flüchtlinge und Unternehmen zusammen, die Mitarbeiter suchen. Davon profitieren beide Seiten, findet Alexander Kohs von der Firma ctc.

Böblingen/Herrenberg - Ganz dicht dran an der Technologie der Zukunft sind Shergo Mardini und Thaer Allahham. Beim Böblinger Unternehmen ctc Cartech Company arbeiten sie mit an der Entwicklung von Batterien für Elektroautos. Es ist noch keine zwei Jahre her, da war dieses Szenario unvorstellbar. Die jungen Männer saßen auf der Verliererseite ohne jede Perspektive – im kriegsgeschüttelten Syrien, wo sie um ihr Leben fürchteten.

Ende 2015 flüchteten die jungen Syrer nach Deutschland. Der Anfang war schwer. „Wir lebten monatelang gemeinsam mit vielen anderen Flüchtlingen in der Sporthalle der Sindelfinger Gottlieb-Daimler-Schule“, erzählt der 31 Jahre alte Thaer Allahham. Von Anfang an tat er alles, um für sich und seine Schwestern eine Zukunft aufzubauen. Keine anderthalb Jahre nach seiner Ankunft begann er bei ctc in Böblingen. Dort ist er verantwortlich für die strategische Planung des Verkaufs und des Marketings neuer Produkte, wie Alexander Kohs sagt. Er ist der Teamleiter Elektromobilität bei ctc. „Ich suche neue Verkaufswege und bereite Messen vor“, konkretisiert Allahham seine Aufgaben.

Nur wer einen Arbeitsplatz hat, darf den Master nachholen

Möglich macht diese Anstellung das Programm „Perspectives“ der School of International Business and Entrepreneurship in Herrenberg, einer Außenabteilung der Steinbeis University Berlin. Flüchtlinge mit einem Bachelor-Abschluss können in einem zweijährigen Online-Studiengang den Master machen. Voraussetzung: Sie müssen ein Unternehmen finden, das sie anstellt. Denn die enge Verzahnung von Theorie und Praxis ist ein Merkmal sämtlicher Studiengänge der Business School.

Die Böblinger Firma ctc hörte von dem Programm. Und weil sie eigentlich immer auf der Suche nach Nachwuchskräften ist, nahm Alexander Kohs für sein Unternehmen an einer Bewerberbörse für Geflüchtete teil. „Wir wollten nicht das negative Bild über Flüchtlinge einfach übernehmen, sondern uns selbst einen Eindruck verschaffen“, sagt er. „Aber ich bin da ganz ohne Erwartungen hin.“ Zu besetzen hatte Kohs eine Stelle für einen Ingenieur. Sechs Bewerber stellten sich vor. „Alle haben einen sehr guten Eindruck gemacht“, sagt Kohs. Er entschied sich für Shergo Mardini. „Bei ihm hat mich sowohl das Fachliche als auch das Persönliche überzeugt.“ Nun organisiert der 25-Jährige als Test-Ingenieur die Testreihen für die neuen Batterien und entwickelt Konzepte für den Prüfstand.

Beide Syrer passen perfekt ins junge Team

Auch Thaer Allahham war unter den Bewerbern. Er aber kommt aus der Wirtschaft – nicht das, was ctc suchte. „Aber er hat mich mit seiner Persönlichkeit so überzeugt, dass wir ihm eine Stelle gegeben haben“, sagt Kohs. Beide Syrer passten perfekt ins junge Team. „Wir bemerken keinerlei Unterschiede, etwa wegen einer anderen Kultur“, sagt Kohs. Das könnte daran liegen, dass nicht nur das Team bei ctc international ist. Mardini und Allahham bringen auch reichlich Auslandserfahrung mit. Der junge Ingenieur hat in Dubai studiert und ein Jahr als Elektronik-Fachmann in Saudi-Arabien gearbeitet. Mardini, der seinen Bachelor in Damaskus gemacht hat, hat mehrere Jahre Berufserfahrung in Dubai und Malaysia gesammelt.

Englisch, die Voraussetzung für das Online-Studium, das in dieser Sprache absolviert wird, beherrschen beide fließend. Auch am Arbeitsplatz können sie sich gut mit den Kollegen in Englisch verständigen. Trotzdem sprechen beide bereits hervorragend Deutsch. „Das ist auch wichtig für die Kommunikation mit unseren Kunden“, betont der Teamchef Kohs.

Viel Disziplin und ein gutes Zeitmanagement brauchen die beiden Studenten. Schließlich haben sie einen Vollzeitjob bei ctc und das Online-Studium läuft am Abend und am Wochenende. Wie andere sogenannte duale Studenten erhalten sie dafür ein monatliches Bruttogehalt von 1300 Euro. Die Doppelbelastung wird auch doppelt belohnt: Am Ende winkt ein doppelter Masterabschluss – ein deutscher sowie der MBA der Post-University Waterbury/USA. Ihre Aufgaben, die sie online einreichen, werden abwechselnd von Professoren in Herrenberg und Waterbury bewertet „Bisher hatten wir nur gute Noten. Das Studium fällt uns nicht schwer“, sagt Shergo Mardini.

Die Kommilitonen sitzen verstreut in aller Welt

Die Kommilitonen der beiden sitzen verstreut in aller Welt. Denn der berufsintegrierte Studiengang gehört zum normalen Angebot der Hochschule und kann von überall besucht werden – das Internet macht es möglich. Der einzige Unterschied für die Gruppe der Geflüchteten: Sie erhalten als zusätzliches Angebot vier Stunden Deutschunterricht pro Woche in Herrenberg. Faszinierend findet Thaer Allahham, dass die Studienkollegen aus den USA im Schnitt 20 Jahre älter sind als sie. „Mit den Kollegen aus Tadschikistan haben wir engen Kontakt“, berichtet Shergo Mardini. .

Insgesamt 13 Flüchtlinge haben über das Programm Perspectives bereits ihr Studium an der Business School aufgenommen. Weitere 50 seien im Bewerberpool, sagt Jan Klom, der Pressesprecher der Business School. „Für diese suchen wir noch Unternehmen.“ Man merke keinen Unterschied zu den anderen Studierenden. „Wir sind eine international ausgerichtete Hochschule. Bei uns studieren Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft.“

Alexander Kohs ist hochzufrieden mit seinen neuen Mitarbeitern, die im April begonnen haben. Eine Zukunft im Unternehmen ist ihnen so gut wie sicher. Das sei für beide Seiten „eine Win-Win-Situation“. Es gebe unter den Flüchtlingen viele mit Potenzial. „Sie können uns beim Fachkräftemangel helfen.“

Die Fachkräfte Thaer Allahham und Shergo Mardini sind froh, diese Chance erhalten zu haben. „Dass ich mit 31 Jahren noch einmal ein Studium absolvieren kann, das hatte ich nicht erwartet“, sagt Allahham. „Es ist meine Chance in Deutschland. Und ich werde sie nutzen.“