Nach anfänglicher Kritik ist das Modell Einbürgerungstest eine Erfolgsgeschichte. Rund 98 Prozent der Ausländer, die Deutsche werden wollen, bestehen ihn mit Bravour. Doch haben sie den Test auch selbst gemacht? Foto: dpa

Ist jede dritte Einbürgerung erschwindelt? Staatsanwalt ermittelt wegen manipulierter Sprachtests.

Stuttgart - Ottmar Breidling hat einen tadellosen Ruf. Als Vorsitzender Richter des 6. Strafsenats des Düsseldorfer Oberlandesgerichts ebenso wie als kritischer Beobachter gesellschaftlicher Entwicklung. Und deshalb ziehen Politiker die Stirn kraus, wenn Breidling wieder einmal ein Urteil in Staatsschutzangelegenheits- und Terrorismusverfahren spricht: Denn in den Vorworten seiner Urteilsbegründungen nimmt der 65 Jahre alte Jurist kein Blatt vor den Mund.

Wie 2005 im Verfahren gegen die sogenannte Al-Tawhid-Gruppe, eine islamistische Terrororganisation, die von dem jordanischen Palästinenser Mohammed Abu Dhess geführt wurde. Breidling schimpfte, der Strafsenat hätte in den 136. Verhandlungstagen „geradezu ungläubig feststellen müssen, dass er vier Zeugen aus dem Umfeld von Abu Dhess hat überführen können, sich unter falschem Namen die Einbürgerung in Deutschland erschlichen zu haben“. Angesichts des überaus kleinen Ausschnitts der Lebenswirklichkeit, die Breidling und seine Richterkollegen bei solchen Verfahren zu sehen bekämen, stelle sich schon die grundlegende Frage , „welche Missstände bei der Anwendung des Ausländer- und Einbürgerungsrechts ansonsten anzutreffen sind“.

Experten gehen davon aus, dass bis zu 40 Prozent der Sprachtests gefälscht werden

Genau diese Frage müssen sich auch Anfang Januar Polizeibeamte aus den Landeskriminalämtern und ihre Bundeskollegen stellen, die sich zu einer Tagung in Berlin einfanden. Mit angereist war auch ein Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. Die kurz BAMF genannte Behörde entscheidet auch über Asylanträge, prüft in Abschiebeverfahren und betreibt zahlreiche Programme, mit denen Ausländer in Deutschland integriert werden sollen. Den erstaunten Schutzleuten berichtete der BAMF-Referent, dass seine Behörde „derzeit davon ausgeht, dass bis zu 40 Prozent der im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens abgelegten Sprachprüfungen nicht ordnungsgemäß durchgeführt“ wurden.

Eine Zahl, die die Behörde offiziell gegenüber unserer Zeitung dementierte. Und doch räumte sie ein: „Man muss sich aber gleichzeitig der Tatsache bewusst sein, dass auch die strengsten Sicherheitsbestimmungen bei der Prüfungsdurchführung unterlaufen werden können, wenn eine verbrecherische Gruppe mit hoher krimineller Energie und Organisationsgrad zu Werke geht.“

Einbürgerungswillige konnten die Eidesformel nicht nachsprechen

Stimmen die Aussagen des BAMF-Mitarbeiters bei den Sicherheitsgesprächen, hieße das: Bei jedem dritten der aktuell etwa 90 000 Tests – unbedingte Voraussetzung dafür, dass ein Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten kann – könnte gepfuscht worden sein. Andere Experten gehen wiederum von 10 bis 20 Prozent erschwindelter Sprachtests aus – immerhin zwischen 9000 und 18 000 der Prüfungen.

Einbürgerungsbeauftragte zahlreicher Kommunen berichteten, dass Migranten zu ihrer Vereidigung kamen und „nicht in der Lage waren, die deutsche Eidesformel zu sprechen“. Wenn die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen wird, müssen die Einzubürgernden einen Eid ablegen – nachdem sie ein Zertifikat über ihre Deutschkenntnisse erhalten haben.

Laut Staatsanwaltschaft waren die richtigen Antworten bereits vor der Prüfung markiert

Mangelnde Deutschkenntnisse riefen erst Ende des Jahres das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen auf den Plan. Dessen Fahnder durchsuchten nach zehn Monate dauernden verdeckten Recherchen im Dezember vergangenen Jahres 17 Sprachschulen und Privatwohnungen in Dortmund, Lünen, Kamen, Hagen, Bochum und Wuppertal. Der Vorwurf der Beamten der Ermittlungskommission Lingua: Die beiden hauptsächlich beschuldigten Deutschtürken Mesut C. und Birol K. hätten Teilnehmerlisten gefälscht, mehr Sprachschüler abgerechnet, als die Kurse besucht haben sollen, und die Tests manipuliert. Teilweise, bestätigt die Dortmunder Oberstaatsanwältin Ina Holznagel, „waren die richtigen Antworten bereits vor der Prüfung markiert worden“.

Der Bildungsfirma, sagt BAMF-Sprecherin Rochsana Soraya, sei „2011 mit sofortiger Wirkung die Zulassung entzogen und jede weitere Tätigkeit als Integrationskursträger untersagt“ worden. Ansonsten seien die Schummeleien der Ruhrpott-Sprachschule ein „Einzelfall“.

Gerade unter den privaten Bildungsträgern gibt es schwarze Schafe

Die scheinen sich jedoch zu häufen. Denn bereits im Al-Tawhid-Verfahren stellte Richter Breidling in seiner Urteilsbegründung fest, dass nahezu sämtliche eingebürgerten Zeugen – und nicht nur die vier unter falschem Namen eingebürgerten Zeugen – nur mit Hilfe der Gerichtsdolmetscher vernommen werden konnten; nahezu keiner sprach „ein für eine Zeugenaussage in seinem Einbürgerungsland Deutschland hinreichendes Deutsch“.

Beobachtungen, die auch Gerhard Lützenbürger macht. Deshalb war der Betriebsleiter Bildung, Beruf und Integration der Arbeiterwohlfahrt Hagen auch nicht von den Ermittlungen gegen den privaten Bildungsträger überrascht: „Wenn es darum geht, Geld zu verdienen, sind ganz schnell schwarze Schafe auf der Weide.“

Besonders schnell sei dies bei privaten Anbietern der Fall, die „mit den Kursen ja auch Gewinn erwirtschaften müssen“. Insbesondere dann, wenn die Firmen wie im vorliegenden Fall in ernsten Geldnöten stecken. In einem vertraulichen Gespräch schilderte der Leiter einer baden-württembergischen Volkshochschule, ihm seien 1000 Euro dafür angeboten worden, einem Migranten einen erfolgreichen Sprachtest zu bescheinigen. Er sollte vor dem „Test auf die eigentlich übliche Kontrolle der Ausweispapiere verzichten. Offensichtlich sollte jemand anderes die Prüfung ablegen.“

Künftig werden höhere Anforderungen an die Prüfstellen gestellt

Genau das ist offenbar auch bei der Firma im westfälischen Lünen der Fall. Auch wenn die Auswertung des beschlagnahmten Beweismaterials noch bis Mitte des Jahres dauern soll, steht eines jetzt schon fest: Die Firma hatte sich bereits in den sieben Jahres ihres Bestehens einen gewissen Ruf bei einbürgerungswilligen, aber deutschunkundigen Migranten erworben. Sie reisten aus dem ganzen Bundesgebiet an, um bei dem inzwischen geschlossenen Bildungsunternehmen und seinen Filialen ihren Sprachtest abzulegen. Bislang wurden 96 Kursteilnehmer überprüft, von denen etliche bereits bei Sprachtests anderer Anbieter durchgefallen waren.

Brisant: Das Unternehmen war als Anbieter für Deutschkurse vom BAMF empfohlen worden. Wohl auch deshalb weist die Sprecherin der zum Innenministerium gehörenden Behörde darauf hin, dass „mit der Zweiten Änderungsverordnung der Integrationskursverordnung vom 20.02.2012 ergänzende Maßnahmen zur Erhöhung der Prüfungssicherheit ergriffen wurden. So werden zukünftig insbesondere höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der zugelassenen Prüfstellen sowie an die Qualifikation und Unabhängigkeit der Prüfenden gestellt.“

Schätzungen hinsichtlich erschwindelter Sprachtests liegen nicht vor

Deshalb stellt das Amt in dieser Woche den mit ihm kooperierenden Sprachkurs-Anbietern ein 465 Seiten starkes „nationales Integrationspaket“ zu, in dem die Nürnberger Beamten besonders auf die Überprüfung der Sprachkurse für Migranten hinweisen. Insgesamt machen sich die BAMF-Mitarbeiter damit viel Arbeit für einen Fall, bei dem das Bundesamt davon ausgeht, „dass es sich bei den kriminellen Machenschaften eines Sprachkursträgers in Nordrhein-Westfalen um einen Einzelfall handelt“ und es sich insgesamt nach offiziellem Kenntnisstand des Amtes „um weniger als zehn Fälle im vergangenen Jahr handelt. Schätzungen hinsichtlich erschwindelter Sprachtests liegen nicht vor.“

Offenbar doch. Im vertraulichen Kreis mit Polizeibeamten. Die allerdings machen aber auch ähnliche Erfahrungen bei ihren täglichen Streifenfahrten.