Mentor Adrian Thoma (links) sortiert mit Gründer Moritz Pfeiffer einige Ideen. Foto: Activatr

Es ist ein in Baden-Württemberg bisher einmaliges Experiment: Lassen sich aus Gründern und Mitarbeitern etablierter Firmen Innovationsteams schmieden?

Stuttgart - Vier Firmen aus Baden-Württemberg, der Technologiekonzern Bosch, der Autozulieferer Mahle, der Autobauer Porsche und der Energiekonzern EnBW haben seit April versucht, das beste aus der Start-up-Welt und ihrer Firmenkultur miteinander zu verbinden. Je erfahrene zwei Gründer sollten mit innovationsfreudigen Mitarbeitern aus den teilnehmenden Unternehmen zusammengespannt werden, um gemeinsam eine neue Geschäftsidee zu finden, die idealerweise am Ende des insgesamt neunmonatigen Programms namens Activatr praxistauglich sein sollte. Jede Firma hatte auf dem Start-up-Campus in Stuttgart zwei Teams am Start, die ein vorher gestelltes Innovationsproblem lösen sollten.

Für den Energiekonzern EnBW sollte eine Gruppe unter der weit gefassten Überschrift „smarte Stadt“ ein Geschäftsmodell entwickeln, das auf Daten aufbaut, die in einer Stadt erfasst werden. Team zwei hatte die enger definierte Aufgabe, die bisher unrentablen Ladestationen für Elektrofahrzeuge wirtschaftlich lukrativer zu machen.

Das wichtigste Ergebnis nach den ersten drei Monaten: Entscheidend ist weniger die konkrete Idee, sondern, ob die Teams harmonieren. Aus vier Teilnehmern sind bei dem erfolgreicheren der beiden EnBW-Projekte zwei geworden. Die anderen sind nicht mehr dabei. Die verbliebenen Teammitglieder Nico Baltsios und Moritz Pfeiffer haben erste Berufserfahrungen in einer Bank beziehungsweise einem IT-Konzern gesammelt. Als Unternehmer haben sie sich beide schon einmal versucht. Baltsios plante eine App zur Vermietung von Parkplätzen, Pfeiffer arbeitete an Apps und Webseiten. Doch der Durchbruch blieb aus.

Der beteiligte Konzern ist für die Gründer ein Türöffner

Beide sehen nun das Activatr-Projekt als ihre große Chance. Obwohl EnBW sich sein Engagement über Anteile bezahlen lässt, habe man große unternehmerische Freiräume. Andererseits profitiere man von der Hilfe des Konzerns: „EnBW ist definitiv ein Türöffner“, sagt Baltsios: „Meine erste Gründung war schwieriger – hier ist alles gebündelt.“ Mit seinem Teamkollegen arbeitet er an einem Start-up namens Binando. Es entwickelt Mülltonnen, die mithilfe von Sensoren ihren genauen Füllstand kommunizieren. Man kann die Touren für die Abholung dann flexibel nach Bedarf organisieren, was viel wirtschaftlicher ist. Ende des Jahres könnte ein Pilotprojekt mit Gewerbemüll in Stuttgart starten. „Von allein hätten wir nie eine solche Idee verfolgt“, sagt Baltsios.

Doch was ist mit den anderen beiden, von EnBW kommenden, ursprünglichen Teammitgliedern geworden? Sie sind bei dem Gespräch gar nicht mehr dabei. Baltsios und Pfeiffer machten von Anfang an Tempo und harmonierten in ihrem auch von früheren Start-up-Erfahrungen gespeisten Gründer-Ehrgeiz perfekt. „Die zwei haben sehr viel mehr reingesteckt als im Programm vorgesehen. Für die Mitarbeiter, die weiter im Konzern waren, war es unglaublich schwierig, da mitzuhalten,“ sagt die betreuende EnBW-Innovationsmanagerin Christine Wienhold.

Angesteller oder Gründer? Eine Frage der Persönlichkeit

Das liege nicht am Gegensatz von Angestelltenmentalität und Gründerdenken, sagt Adrian Thoma, der das Activatr-Programm mitentwickelt hat. Es gebe auch gemischte Teams aus Gründern und Angestellten, die weitermachten, sagt er. „Man muss für das Thema brennen – dann macht man mehr, auch zusätzlich zum Job,“ sagt Binando-Gründer Pfeiffer. Und Winfried Richter vom Activatr-Team ergänzt: „Entscheidend sind die menschlichen Prozesse: Der Chef hat mich nur einen Tag freigestellt – wo zieht es mich eigentlich hin?“. Entscheiden müssten sich alle Teilnehmer, sagt Thoma: „Wir wollten bei den Start-up-Teilnehmern niemand, der das als Hintertürchen in ein Anstellungsverhältnis sieht.“

Beim Energiekonzern EnBW bekennt man sich offen dazu, dass die Dinge anders gelaufen sind als ursprünglich konzipiert. Genau um solche Erfahrungen gehe es doch, sagt die Projektbetreuerin Wienhold. Mit dem Projekt Activatr hat man die Konzernmauern bewusst verlassen – obwohl man in Karlsruhe einen eigenen EnBW-Innovationscampus hat. „Der große Vorteil ist, dass die Teams außerhalb des Konzern agieren können und an interne Regularien und Prozesse nicht gebunden sind“, sagt Wienhold. „Als Binando lässt sich manches einfacher ausprobieren.“ Vor allem sei es sinnvoll, ein solches Innovationsprojekt wie bei Activatr auch einmal firmenübergreifend anzugehen: „Es hat sehr geholfen zu sehen, dass es den anderen Teams ähnlich geht – und dass man nicht der einzige ist, der am Ende eines Tages mal wieder sein ganzes Geschäftsmodell über den Haufen geschmissen hat.“ In der übernächsten Runde Anfang 2017 will die EnBW wieder dabei sein.

Wie funktioniert das Activatr-Programm?

Ideenfindung
– Das Programm hat vier Stufen, die auf einer aus der Start-up-Kultur bekannten und bewährten Methodik gründen. An Punkt eins, der „Zündungsphase“ („Ignition Phase“), geht es zunächst einmal darum, dass das Viererteam zusammenfindet und den kulturellen Hintergrund der anderen Partner versteht. „Für die Teilnehmer mit Start-up-Hintergrund beginnt das mit einer ausgiebigen Führung beim Firmenpartner“, sagt Thoma. In zweieinhalb Tagen ist dieser Punkt absolviert.

Durchführung –
Stufe zwei ist die Ideenfindung, neudeutsch „Ideation Phase“, in der innerhalb einer Woche eine Geschäftsidee gefunden werden soll. In Phase drei („Discovery Lab“), die acht Wochen Arbeit in Teilzeit umfasst, soll dann das dazu passende Geschäftsmodell ausgearbeitet werden. Ist die Hürde genommen, soll in einem halben Jahr Vollzeitarbeit ein wachstumsfähiges Start-up entstehen, das möglichst erste Aufträge hat.