Neu ist die Idee Barrierefreiheit auf dem Kirchentag nicht. Seit 32 Jahren gibt es Unterstützung für Behinderte, seit 26 Jahren engagiert sich die Johanniter-Jugend in diesem Bereich. Foto: Lichtgut/Zweygarth

Beim Kirchentag sollen alle dabei sein können. Rund 500 Helfer unterstützen Menschen mit Einschränkungen.

Stuttgart - Wenn er vor nichthörenden Menschen predige, könne er in sieben Sätzen sagen, was er Hörenden in zwölf Minuten mitteile, erzählt Peter Hepp. Der Seelsorger und Buchautor aus Rottweil erzählt am Freitag im Zentrum Barrierefrei über seine Erfahrungen als Taubblinder. Um sich zu verständigen, benötigt er jemandem, der ihm die Worte seines Gegenübers in die Handinnenfäche „schreibt“ und seine Gebärden „übersetzt“. „Durch Assistenz bekomme ich Freiheit. Andernfalls wäre ich passiv und ins Haus eingeschlossen“, berichtet er. Assistenz sei die Voraussetzung für Inklusion.

Damit auch Menschen mit Behinderungen am Kirchentag teilnehmen können, wurden in Stuttgart zwei Zentren eingerichtet, die Unterstützung bieten: Hinter dem Alten Schloss und in Halle 11 im Neckarpark. Über mangelnde Nachfrage können die Helfer nicht klagen. Pro Stunde kämen etwa 30 Personen, die Rat oder Hilfe suchten, ins Zentrum im Neckarpark, sagt Nadja Verhoeven, eine der 500 Freiwilligen, die Menschen mit Einschränkungen aller Art unterstützen. 200 von ihnen sind im Fahrdienst eingesetzt.

Manche Besucher leihen sich einen Rollstuhl aus, um längere Wege zu schaffen. Blinde suchen eine Begleitung, weil sie sich auf dem Gelände nicht allein zurechtfinden – entsprechende Markierungen auf dem Kirchentaggelände fehlen. Sie wären nicht nur teuer, sondern würden Rollstuhlfahrern das Fortkommen schwer machen. Hörgeschädigte brauchen jemanden, der ihnen bei einem Vortrag „dolmetscht“. Denn nur bei einem Teil der 2500 Veranstaltungen werden die Reden in Gebärdensprache übersetzt oder sind auf einem Bildschirm mitzulesen. Auch einen Ruhebereich mit 40 Betten gibt es – für Pflegebedürftige stehen ausgebildete Pflegekräfte bereit. Menschen mit geistigen Einschränkungen können Gottesdienste und andere Veranstaltungen „in einfacher Sprache“ besuchen oder auch jemanden mitnehmen, der für sie übersetzt. Notfalls findet sich auch jemand, der eine Brille reparieren kann.

Neu ist die Idee Barrierefreiheit auf dem Kirchentag nicht. Seit 32 Jahren gibt es Unterstützung für Behinderte, seit 26 Jahren engagiert sich die Johanniter-Jugend in diesem Bereich. „Das ist die größte nicht zielgruppenorientierte Veranstaltung von Menschen mit Behinderungen“, sagt Marcus Blanck, Leiter des Kirchentags-Begleitdienstes und Mitglied der Projektleitung Barrierefreier Kirchentag. Etwa 2500 der knapp 100 000 Kirchentagsbesucher mit Dauerkarten gaben bei der Anmeldung an, dass sie an entsprechenden Informationen und Angeboten interessiert sind.

Dank dieses Angebots kommen viel mehr Menschen mit Hörschädigungen, sagt Gebärdendolmetscherin Rita Wagner, die deren Unterstützung koordiniert und bei Veranstaltungen auch selbst die Verständigung sicherstellt. Insgesamt 20 Dolmetscher sind bei den Veranstaltungen eingesetzt, dazu kommen weitere, die bei Bedarf Einzelne oder kleine Gruppen begleiten.

Simone Hahn hat von diesem Projekt erstmals auf dem Kirchentag in Hamburg vor zwei Jahren gehört und sich für das Zentrum Barrierefrei in Stuttgart beworben, um in diesen fünf Tagen Erfahrungen zu sammeln. Nadja Verhoeven hätte sich auch einen anderen Einsatzort vorstellen können – war aber mit dem Angebot einverstanden, dort mitzuarbeiten. Sie sitzt selbst im Rollstuhl und weiß, wie Hürden errichtet oder abgebaut werden können. Bevor sie mit ihrer Ausbildung beginnen konnte, musste sie viele Erzieherinnenschulen anschreiben – heute arbeitet sie in einem integrativen Kindergarten.

Informationen gibt es im Internet unter www.kirchentag.de/barrierefrei oder www.kirchentag.de/leichte Sprache und unter Telefonnummer 0711/69949-410