Der inhaftierte türkische Journalist Ahmet Sik, hier auf einem Foto aus dem Jahr 2016, sieht sich Terrorvorwürfen ausgesetzt. Foto: dpa

Zahlreiche Journalisten sind in der Türkei inhaftiert, andere wurden ins Exil gezwungen. Weniger Aufmerksamkeit bekommt das Schicksal ihrer Familien. Sie leiden unter den Zuständen. Vor allem aber kämpfen sie.

Istanbul - Der Fall des türkischen Journalist Ahmet Sik ist so ungewöhnlich wie absurd. Die türkische Regierung zitiert ihn als zuverlässige Quelle, hält ihn aber zugleich wegen Terrorvorwürfen fest. Seiner Frau Yonca Sik zufolge ist er ein politischer Gefangener. Er habe es gewagt, der offiziellen Selbstdarstellung der Regierung zu widersprechen. „Die gesamte Anklageschrift bezieht sich nur auf seine journalistische Arbeit“, sagt die 43-jährige Ehefrau, die unermüdlich an seinem Fall arbeitet, seit er im Dezember festgenommen wurde. „Als Journalist hat er die richtigen Fragen gestellt. Das hat denen nicht gefallen.“

Ahmet Sik wurde zunächst beschuldigt, der Gülen-Bewegung geholfen zu haben. Diese Vorwürfe schienen absurd: Schließlich hat der Journalist einen Großteil seiner Karriere damit verbracht, den Machenschaften des Predigers Fethullah Gülen nachzuspüren. Nach der Veröffentlichung seines Buches „Die Armee des Imam“ im Jahr 2011 hatten Gülen-Anhänger in der Justiz den Journalisten einsperren lassen.

Sik geht davon aus, dass der in den USA lebende Prediger seit langem darauf hinarbeitete, die Macht in der Türkei an sich zu reißen. Dass Gülen ihn beim Putschversuch vor einem Jahr entmachten wollte, davon ist auch Präsident Recep Tayyip Erdogan überzeugt.

Wenige Wochen nach seiner Inhaftierung im Dezember wandelten sich die Vorwürfe plötzlich. Jetzt wird er beschuldigt, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt zu haben. Sein wirkliches Vergehen sei aber ein anderes, glaubt seine Ehefrau: Sik warf Erdogan vor, dieser habe es den Gülen-Anhängern in dem Jahrzehnt vor dem Putschversuch erst ermöglicht, den Staatsapparat zu unterwandern. Damals waren Erdogan und Gülen noch Verbündete.

Nach dem versuchten Coup habe die Regierung die Recherchen ihres Ehemannes als Beleg für die Machenschaften der Gülen-Bewegung zitiert, sagt Yonca Sik. Noch heute kann man sein Buch etwa am Istanbuler Flughafen kaufen.

Yonca Sik sagt, sie dürfe ihren Mann nur einmal pro Woche für eine Stunde sehen. Alle zwei Monate dürfe sie seine Hand berühren. In seiner Zelle seien Ahmet nur zehn Fotos erlaubt. Wenn er ein neues Bild von seiner Tochter haben wolle, müsse er ein anderes dafür zurückgeben. Zunächst sei er „zwei Tage lang ohne Trinkwasser in einer sehr schmutzigen Zelle gehalten“ worden.

Ahmet Siks derzeitiger Zellengenosse sei einer seiner Anwälte, sagt Yonca Sik. Einen weiteren Anwalt, der in Freiheit ist, dürfe ihr Ehemann einmal pro Woche treffen, aber niemals allein. Dokumente austauschen könnten sie dabei nicht. „Wie sollen sie unter diesen Bedingungen eine Verteidigungsstrategie vorbereiten?“, fragt Yonca Sik. „Man kann nicht von einem Rechtsstaat sprechen.“ Sie bezeichnet ihren Mann und viele der anderen Journalisten in türkischen Gefängnissen als „politische Geiseln“.

Nach Angaben der Europäischen Journalistenvereinigung sitzen in der Türkei über 150 Journalisten hinter Gittern - mehr als in jedem anderen Land der Welt. Gegen die meisten von ihnen werden Terrorvorwürfe erhoben. Ein Dutzend der Inhaftierten, darunter auch Sik, arbeiteten für „Cumhuriyet“, eine der ältesten Tageszeitungen des Landes. Das Blatt hatte einen Bericht über Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellen veröffentlicht und damit Erdogan verärgert.

Der Ko-Autor der Geschichte und ehemalige Chefredakteur von „Cumhuriyet“, Can Dündar, lebt inzwischen im Exil in Deutschland. Seiner Frau Dilek wurde der Reisepass entzogen. Ihrem gemeinsamen Sohn riet sie, vorsichtshalber in London zu bleiben.

„Es ist ein Jahr her, seit ich meinen Sohn gesehen habe. Und Ende des Monats wird es ein Jahr her sein, dass ich meinen Mann gesehen habe“, sagt Dilek Dündar in einem Istanbuler Café in der Nähe von Taksim-Platz und Gezi Park. Dort hatten sich Demonstranten 2013 gegen Erdogan versammelt und damit landesweite Proteste ausgelöst. Wegen seiner Berichterstattung über die Ereignisse war Can Dündar von der Zeitung „Milliyet“ entlassen worden, für die er damals schrieb.

„Wir glauben ganz fest an Demokratie und Menschenrechte. Unser Vertrauen in die Europäische Union ist immens“, sagt seine Frau. Mit Blick auf die Staats- und Regierungschefs der EU fügt sie hinzu: „Wir haben leider nicht die erhoffte Unterstützung erhalten.“

Einige Dissidenten seien entlang der syrischen Flüchtlingsroute mit einem Boot auf griechische Ägäisinseln entkommen, sagt Dilek Dündar. Sie werde aber nicht illegal aus der Türkei fliehen. „Wenn ich hier bleibe, erinnere ich sowohl die Türkei als auch Europa an das Unrecht, das hier geschieht.“

Dilek Mayatürk-Yücel ist sogar in die Türkei zurückgekehrt, sie lebte eigentlich in München. Seit Februar sitzt ihr heutiger Ehemann in Untersuchungs- und in Isolationshaft, er ist der in Deutschland bekannteste Gefangene in der Türkei: Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. „Sie haben den Menschen, der für mich am Wertvollsten ist, alleine hinter steinerne Mauern gesperrt“, sagt Dilek Mayatürk-Yücel.

Mayatürk-Yücel heiratete Deniz im April im Gefängnis. Noch keinen Moment hat sie mit ihrem Ehemann in Freiheit verbracht. Auch wenn die Lage oft zum Verzweifeln ist, gibt Mayatürk-Yücel nicht auf. Sie weiß sogar schon, was Deniz Yücel und sie machen werden, wenn der Journalist freigelassen wird: „Zuerst ans Meer fahren.“