Stuttgart rät zum Impfen und startet eine Kampagne seinen Impfstatus zu prüfen. Gleichzeitig steigt bei vielen Eltern die Impfskepsis. Foto: dpa

Landesweit ist die Impfbereitschaft niedrig, die Masernfälle haben sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Stuttgart wirbt nun in Kneipen und an Haltestellen insbesondere bei jungen Erwachsenen für den Infektionsschutz.

Stuttgart - Hustenattacken, quälende Atemnot, schlaflose Nächte durchleiden Kinder wie Erwachsene, wenn sie an Keuchhusten erkrankt sind. Oftmals schleppen Erwachsene die Erreger ins Haus, und wo Säuglinge damit angesteckt werden, kann es zu lebensbedrohenden Atemaussetzern kommen. Allein im Zeitraum von Januar bis September sind 129 Fälle von Keuchhusten gemeldet worden. „Schauen Sie in Ihren Impfpass und holen Sie die Impfung im Zweifelsfall nach“, appelliert Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) an die Bevölkerung.

Beratung vor der Einschulung wirkt

Zu den rückläufigen Infektionskrankheiten haben eine Zeit lang die Masern gehört. Masern sind hochansteckend, schwächen das Immunsystem und können zu einer Hirnentzündung führen. Doch nun wendet sich das Blatt. In Baden-Württemberg gab es nach Angaben der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) im Jahr 2017 bis Oktober schon 55 Masernerkrankungen, doppelt so viele wie im Jahr 2016. Und: „Baden-Württemberg hat bei Masern die niedrigste Impfquote bundesweit.“

Die Kasse hat auf Basis der Abrechnungsdaten erhoben, dass nur 78,9 Prozent der Kinder nach dem ersten Lebensjahr gegen Masern geimpft wurden. Bei der zweiten Impfung, die vier Wochen danach erfolgen sollte, sinkt die Quote auf 60,8 Prozent. „Die Impfbereitschaft ist keineswegs befriedigend“, sagt Dr. Günter Pfaff vom Landesgesundheitsamt. Allerdings ließe der Blick auf vier- und fünfjährige Kinder hoffen: Viele von ihnen würden bis zur Einschulung noch geimpft, bei Vier- bis Fünfjährigen waren im Jahr 2016 landesweit 95,2 Prozent geimpft, die Zweitimpfquote lag bei 89,8 Prozent.

Impfskeptische Bürger

Bis zur Einschulungsuntersuchung hält Stuttgart noch mit (Quote: 95,2 Prozent), den zweiten Piks konnten nur 88,4 Prozent nachweisen. „Aus einer Rückmeldeaktion wissen wir, dass danach noch eine gewisse Anzahl von Impfungen nachgeholt wird“, sagt Cordelia Fischer vom Stuttgarter Gesundheitsamt. „Die intensive Elternberatung zum Impfen im Rahmen der Einschulungsuntersuchung trägt Früchte.“

Epidemiologen wollen Masern eliminieren, doch dazu müssten laut Weltgesundheitsorganisation WHO 95 Prozent der Kinder beide Impfungen haben. Nur fünf Stuttgarter Stadtteile erreichen dieses Ziel. Auf der Halbhöhe ist bis zu einem Viertel der Einschulungsjahrgänge 2011 bis 2015 nicht gegen Masern geimpft. Dr. Günter Pfaff hat wenig Verständnis für Impfskepsis: „Die Wahrnehmung des Risikos unterscheidet sich stark von dem, was tatsächlich passiert. Eltern sollten ihre Kinder lieber vor der Krankheit schützen, nicht vor der Impfung.“

Das Stuttgarter Gesundheitsamt „will in erster Linie diejenigen erreichen, die unzureichend informiert sind oder mangels Gelegenheit ihr Kind noch nicht impfen ließen“, so Dr. Fischer.

Insbesondere Familien, deren Kinder wegen einer Immunschwäche nicht geimpft werden dürfen, hoffen auf höhere Quoten. Denn der § 28 des Präventionsgesetzes gebietet neuerdings, dass alle nicht geimpften Kinder im Falle eines Ausbruchs von Masern, Mumps oder Hepatitis aus der Kita, dem Hort oder der Schule vorübergehend ausgeschlossen werden. Bisher sind die Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen von Infektionen verschont geblieben, sagt Cordelia Fischer: „Weder mussten wir Kitaeltern melden, die keine Impfberatung nachweisen konnten, noch mussten Kinder ohne Impfschutz zu Hause bleiben.“

„Auf den ersten Blick scheint eine Impfpflicht die logische Reaktion auf ungenügende Impfquoten zu sein, auf den zweiten Blick ist sie es aber nicht – im Gegenteil, sie wäre möglicherweise sogar kontraproduktiv“, schreibt Professor Lothar H. Wieler in der „Ärztezeitung“. Wieler ist Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), der zentralen Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention. Große Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen begründen Wielers kritische Haltung: Mehr als 40 Prozent der 18- bis 44-Jährigen seien nicht gegen Masern geimpft, würden aber bei Forderungen nach einer Impfpflicht nie erwähnt. „Die jungen Erwachsenen gehen auch selten zum Arzt. Genau aus diesen Gründen sind Informationskampagnen und aufsuchende Impfangebote dringend erforderlich, um diese Impflücke zu schließen“, fordert der Präsident des RKI.

Kampagne mit Karten und Filmen

Das Stuttgarter Gesundheitsamt geht nun mit einer Kampagne dorthin, wo junge Menschen sind. Es wird Postkarten geben, die Erreger verschiedener Infektionskrankheiten und die unangenehmen Folgen für den Menschen zeigen. Die Karten werden unter die Sponti-Spruch-Postkarten gemischt, die in Bars und Kneipen meist zwischen Schankraum und Toilette kostenlos ausliegen. Auch im Internet wirbt die Stadt fürs Impfen, und Bus- und Bahnfahrer können sich an den Haltestellenfernsehern einen Kurzfilm über Infektionskrankheiten und geeignete Schutzmaßnahmen ansehen. „Wir appellieren an das Gesundheitsbewusstsein der Stuttgarterinnen und Stuttgarter und dass Erwachsene zum Schutz der Kleinkinder beitragen“, sagt Sozialbürgermeister Wölfle.