Fotovoltaikanlagen versorgen Gemeinden mit Energie. Foto: dpa

Sie retten Schwimmbäder, Streuobstwiesen und Schulen oder versorgeneine Gemeinde mit günstiger Energie: Genossenschaften erleben eine Renaissance. Auch, weil sie die heimische Wirtschaft stärken.

Stuttgart - Die Weiler Wärme eG in Pfalzgrafenweiler (Landkreis Freudenstadt) ist ein Paradebeispiel für den Boom von Genossenschaften. Sie war im Jahr 2009 der erste Nahwärme-Betreiber in Form einer Genossenschaft im Südwesten. Einige Millionen Euro haben die inzwischen mehr als 607 Mitglieder in ihr 22 Kilometer langes Leitungsnetz investiert, das den Bewohnern Nahwärme liefert. „Auch in Zukunft soll die Wärmeversorgung für alle Bürger der Gemeinde bezahlbar bleiben“, lautet das Ziel. Öko-Strom produziert die Genossenschaft ebenfalls. Im Juli 2014 hat sie ein weiteres Projekt umgesetzt: Mit dem überschüssigen Öko-Strom werden Elektroautos betrieben. Die Fahrzeuge können sich die Einwohner von Pfalzgrafenweiler ausleihen. Binnen sechs Monaten gingen bei Weiler Wärme mehr als 1000 Buchungen ein.

Die Genossenschaft in der 4300 Einwohner-Gemeinde ist eine sogenannte Energiegenossenschaft. Und längst keine Seltenheit mehr im Südwesten. Landesweit gibt es 149 Energiegenossenschaften, 20 von ihnen produzieren Nahwärme, der Großteil konzentriert sich auf Fotovoltaikanlagen.

Derzeit erleben Zusammenschlüsse von Bürgern und Unternehmern, die gemeinsame wirtschaftliche Interessen wie faire Preise oder bezahlbare Wohnungen verfolgen, einen Boom. Jedes Jahr verzeichnet der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband (bwgv) im Schnitt 25 neue Genossenschaften. Im Jahr 2014 waren es 18, zwei Drittel davon Energiegenossenschaften. „Genossenschaften galten lange Zeit als verstaubt. Diese Stimmen sind spätestens seit der Finanzkrise verstummt“, sagt Verbandspräsident Roman Glaser.

Hinarbeiten auf dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg

Die genossenschaftlichen Unternehmen helfen, verwalten und verantworten sich selbst. Auch in schlechten Zeiten rufen sie nicht nach dem Staat. Die Genossenschaftsbanken, die Volks- und Raiffeisenbanken, kamen ohne staatliche Hilfe durch die Wirtschaftskrise. Spekulative Geschäfte sind ihnen verboten. Genossenschaften arbeiten grundsätzlich auf dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg hin, nicht auf den maximalen Gewinn. Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Schirmherr des „Baden-Württembergischen Jahres der Genossenschaften 2015“ bezeichnet das genossenschaftliche Geschäftsmodell als Erfolgsmodell. Und auch Theresia Theurl, Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster, sieht in Genossenschaften ein Traditionsmodell mit Zukunft.

Kein Bundesland hat so viele Genossenschaften wie Baden-Württemberg. Rund 1026 sind es. Jeder dritte Einwohner gehört einem Zusammenschluss an – bei rund 3,9 Millionen Mitgliedern. Genossenschaften gibt es in vielen Branchen. Wer zum Bäcker geht, kauft das Brötchen oft bei einer Genossenschaft. Laut bwgv haben sich fast 98 Prozent der Bäcker und Konditoren zusammengetan. Auf privater Ebene retten Bürger – auch zusammen mit Kommunen – Schwimmbäder, Schulen, Streuobstwiesen oder Kulturhäuser. Das hilft gerade strukturschwachen Gegenden, die junge Leute verlassen und Firmen meiden. Oder aber die Bürger setzen die Energiewende vor der Haustür um und kümmern sich selbst um die Versorgung.

„Die Menschen wissen, dass die Energiewende nur regional gestaltet werden kann“, sagt Glaser. Womit er einen weiteren Aspekt anspricht, den Menschen an Genossenschaften schätzen: Sie stärken die heimische Wirtschaft. Und als Teil eines Unternehmens können Bürger viele Prozesse besser nachvollziehen. Aufgrund der Energiewende schlummert laut Glaser in Energiegenossenschaften besonders großes Wachstumspotenzial, vor allem in den Bereichen Nahwärme oder Energieeffizienzberatung. Energiegenossenschaften machen einen Umsatz von 117 Millionen Euro im Jahr und sind 2014 um vier Prozent gewachsen. Die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 8,6 Milliarden Euro.