„Straßen sind der Spiegel einer Gesellschaft“, sagt die Stadtplanerin Martina Baum. Foto: Georg Linsenmann

Bürger streiten über die Zukunft der Schwabstraße in Stuttgart-West. Die einen wollen mehr für Fußgänger, die anderen mehr für die Autofahrer tun.

Stuttgart-West - Als Wunsch ist eine gestalterische Aufwertung der Schwabstraße schon länger im Gespräch. Ein Wunsch, der nun auf Initiative des Bezirksbeirates auch ins Werk gesetzt werden soll: am besten per Aufnahme ins „Sanierungsgebiet Stuttgart 28-Bismarckstraße“. Dabei handelt es sich um ein Ansinnen, dem auch die Beteiligung der Bürgerschaft des Quartiers Nachdruck verleihen soll. Zur Auftaktveranstaltung kamen knapp 80 Anwohner ins Bürgerzentrum West.

In einem Impuls-Referat nahm zu Beginn Martina Baum, Professorin für Stadtplanung an der Uni Stuttgart, sowohl die Hubschrauber- als auch die Frosch-Perspektive ein. Straßen seien „Spiegel einer Gesellschaft und prägend für europäische Städte – auch für deren Atmosphäre. Wenn sie gut gemacht sind, fordern sie im Alltag die Interaktion der Nutzer“.

Herausforderungen der Zukunft

Zugleich beschrieb Baum „die verkehrliche Dimension“ hinsichtlich Erschließung und Versorgung. Und dies sei „in Stuttgart oft der einzige und wichtigste Aspekt“. Nun gelte es, „einmal andere Brillen aufzusetzen“. Die Überlegungen zur Schwabstraße müssten der Leitfrage folgen: „Welche Prioritäten setzen wir jetzt für die Zukunft?“ Unser „Mobilitätsverhalten und unsere Beziehung zum Auto“ werden sich ändern. Es stelle sich die Frage: Wie bewegen wir uns in Zukunft?“ Vor diesem Hintergrund ermunterte Baum dazu, „Visionen zu entwickeln“. Eine Aufforderung, die sie abschließend so bekräftigte: „Ich komme aus Karlsruhe, bin seit zwei Jahren hier und staune noch immer, wie wenig Visionen diese tolle Stadt hat. Stuttgart hat gigantische Probleme. Ein paar Herausforderungen müssen wir in den kommenden Jahren meistern.“

An einer langen Wäscheleine wurden die Zettel mit den Wunschpunkten gesammelt. Mit durchaus visionären Ideen: Vorneweg der Vorschlag, die Schwabstraße „vom Rosenbergplatz bis nach Heslach“ zu untertunneln. Oder die Idee, im Schwabtunnel Radfahrstreifen einzurichten oder die Röhre in einen Fußgänger-Tunnel umzuwandeln. Mehrfach notiert waren die Vorschläge, die Gehwege breiter und attraktiver zu machen, Platz für Außengastronomie, für Radfahrer und für mehr Grün zu schaffen. Eine Forderung verlangte „eine kinderkompatible Straße samt Schulwege-Planung“. Angeregt wurde, die Schwabstraße in einen „Shared Space wie die Tübinger Straße“ umzuwandeln, „mit gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern“.

Auch Gegensätzliches kam zum Ausdruck

Doch auch Gegensätzliches kam zum Ausdruck. Die einen wollen alle Parkplätze streichen, die anderen „mehr Parkplätze“. Eine der Notizen an der Wäscheleine will die Schwabstraße wieder zur „Anwohnerstraße“ machen und den „Durchgangsverkehr zur Langsamkeit zwingen“. „Autofrei!“ fordern die einen, die „schnelle Durchgangsstraße“ die anderen. Einmal ist die Bushaltestelle zu klein, was Gedränge produziere, ein anderes Mal „ein Alptraum für Anwohner“. Eine Sammlung, angesichts derer ein Satz des städtischen Verkehrsplaners Arne Seyboth sein reales Gewicht bekam: „Die Herausforderung wird sein, da einen konsensfähigen Vorschlag zu erarbeiten.“ Und gleich daneben stand der Merksatz der Professorin Martina Baum: „Wir können die Schwabstraße auf jeden Fall besser machen als sie heute ist.“

Den Weg dahin beschrieb Martin Holch vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung. Mit der Auftaktveranstaltung trete man „in einen Planungsprozess mit dem Ziel, die Schwabstraße in das Sanierungsprojekt Stuttgart 28 aufzunehmen“. Der nächste Schritt sei nun eine Mehrfachbeauftragung für einen Gestaltungswettbewerb. Parallel dazu werde aus der „offenen Bürgerbeteiligung mit beratender Funktion“ eine Begleitgruppe gebildet, die an den Entscheidungskriterien für den Wettbewerb mitwirke.

In Jahresfrist sollen fertige Vorschläge erarbeitet sein – „für den nächsten Doppelhaushalt“. Abschließend stellte Holch fest: „Wir brauchen Sie, damit unsere Planung besser wird. Sie brauchen uns, damit Ihr Wohnumfeld besser wird.“