Gegen Propaganda wie diese wehrt sich die russische Gemeinde in Stuttgart Foto: Internetseite SSC Wolf

Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland hat großen Einfluss auf die Meinungsbildung der Russlanddeutschen – umso aufgeregter ist man über eine Identitätstäuschung. Auf Internetseiten wurden unter dem Namen des Verbands prorussische Beiträge verbreitet. Der Beschuldigte hat Verbindungen zu den russischen Nachtwölfen. Von ihm will die Landsmannschaft nun Schadenersatz.

Stuttgart - Es ist nur ein kleines zivilrechtliches Verfahren, das am Montag, 25. April, das Amtsgericht in Vaihingen/Enz beschäftigt – doch die Hintergründe der Klage um Schadenersatz sind brisant und reichen bis nach Russland. Für den Kläger, die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, geht es um viel.

Der Verband, der großen Einfluss auf die Meinungsbildung der Russlanddeutschen hat, wehrt sich dagegen, dass sein Name für Propagandazwecke und Werbung missbraucht worden sein soll. Das Ganze sei Teil einer Kampagne, das weitreichende Ziel: die Destabilisierung der deutschen Gesellschaft. Die Landsmannschaft will deshalb Schadenersatz von 1974 Euro für die Abmahnkosten erstreiten – basierend auf einen Gegenstandswert von 100 000 Euro. „Es handelt sich um einen sehr ernsthaften Angriff auf die Existenz des Vereins“, sagt der Rechtsanwalt der Landsmannschaft, Rolf Diekmann. Deshalb sei die hohe Summe berechtigt.

Der zuständige Amtsrichter, Thomas Bossert, gibt zu, dass er gestaunt hat, als er die Unterlagen von der Klägerseite auf den Tisch bekam: „Ich werde sicherlich viele Fragen stellen“, sagt er. Folgendes ist passiert und durch Screenshots, die unserer Zeitung vorliegen, untermauert: Im Sommer 2015 wurde unter dem Namen „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. Landesgruppe BW“ ein Facebook-Auftritt betrieben sowie die Internetseite www.lmdrev.de. Auf der Facebook-Seite sind Institutionen aus der prorussischen Szene im Namen der Landsmannschaft „gelikt“ und Veranstaltungen verbreitet worden: darunter die Deutsch-Russische Bruderschaft, die Rockergruppe Wolfpack MG Germany, der Club Russlanddeutsche Wölfe, der laut eigener Internetseite jeden Motorradfahrer willkommen heißt, „der im Herzen etwas prorussisches hat“, sowie die Systema Security Center Akademie, eine Kampfsportschule.

„Das hatte alles mit der echten Landsmannschaft nichts zu tun“, betont Anwalt Diekmann. Bei den Inhalten habe es sich, so hat er es dem Gericht geschrieben, um „Werbung für faschistoide und paramilitärische Organisationen“ gehandelt, die also im Namen der Landsmannschaft verbreitet wurde, um diese als vertrauenswürdig darzustellen. Dabei sei äußerst raffiniert und professionell vorgegangen worden, berichtet Diekmann. Sogar das Logo der Landsmannschaft fand sich auf den Seiten und eine unverfängliche Satzung, die Facebook-Seite war in einem Fenster integriert.

Freund der russischen Nachtwölfe

Weil das Vorgehen so professionell war, vermutet die Klägerseite, dass der russische Geheimdienst hier seine Finger mit im Spiel hatte. Belege dafür gibt es aber nicht. Im Impressum von lmdrev.de tauchte unter anderen der Name eines der Beklagten auf: Dimitri Z., auf sein Dienstleistungsunternehmen ist auch die Domain angemeldet gewesen. Laut einem aktuellen Bericht des Deutschlandfunks ist Dimitri Z. Leiter der Russlanddeutschen Wölfe, denen enge Verbindungen zu den russischen Nachtwölfen nachgesagt werden, den putintreuen Motorradrockern, die im Sommer 2015 mit ihrer Gedenkfahrt für großen medialen Wirbel gesorgt hatten. Ein Foto, das ebenfalls auf dem Facebook-Auftritt gepostet wurde, zeigt den Beklagten Dimitri Z. gemeinsam mit dem Chef der russischen Nachtwölfe, Alexander Saldostanow, der auch „der Chirurg“ genannt wird: Über dem geposteten Foto stand der Kommentar „Zu Gast bei Freunden“.

Auch im Logo der Systema Security Center Akademie taucht der Wolf auf. Dimitri Z. soll auch bei der Systema Akademie eine zentrale Rolle spielen und eine Ausbildungsstätte in der Schweiz unterhalten. Dem Schweizer „Tagesanzeiger“ soll der russische Reserveoffizier erzählt haben, dass er früher beim russischen Militär gewesen sei und zeitweise in einer Spezialeinheit gedient habe. Einen Ableger gibt es in Ludwigsburg, den Z. aufgebaut haben soll – auf der Seite taucht sein Name nicht mehr direkt auf. Im Impressum steht lediglich SSC Wolf. Unter Systema wird eine russische Form der Selbstverteidigung gefasst, es gibt viele Schulen in Deutschland; die SSC Wolf nennt auf ihrer Homepage international 14 Standorte, in Russland liegt dabei der Schwerpunkt.

In dem Ludwigsburger „Center Wolf“ lernt man das „Überleben in Extremsituationen“. Die Trainingsmethoden würden von russischen Spezial- und Sicherheitskräften verwendet, steht auf der Seite. Die Kurse richten sich „an Privatpersonen, Militär- und Sicherheitsdienste, Personenschützer, Waffenscheininhaber, Polizei- und Justizbehörden“, so wird man zum Beispiel im Umgang mit Waffen und im Messerwerfen unterrichtet, Frauen auch in Selbstverteidigung. Das alles ist im rechtlichen Rahmen.

Empörung in sozialen Netzwerken über „Hexenjagd“

Aktuell kursieren Berichte, in Systema-Schulen würden geheime Kämpfer für Putin ausgebildet. Der Journalist und Autor des Buchs „Putins verdeckter Krieg“, Boris Reitschuster, verbreitet diese These unter Berufung auf eine Studie eines westeuropäischen Geheimdienstes unter anderem in der „Bild“-Zeitung. Auch in dem Deutschlandfunk-Bericht heißt es, der Bundesnachrichtendienst vermute, dass der russische Militärdienst GRU bei der Systema Akademie neue Quellen rekrutiere. Vertreter und Anhänger von Systema-Schulen wiederum entrüsten sich im Internet über die aktuellen Vorwürfe, bezeichnen die Medienberichte als „Propaganda“, eine Hexenjagd finde da statt, heißt es zum Beispiel in einem Facebook-Eintrag der Systema Akademie Weitzel. Alles nur eine Verschwörungstheorie, oder eine echte Verschwörung?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz gibt auf Anfrage keine Einschätzung ab. Man kenne die Systema Security Center Akademie, die Russlanddeutschen Wölfe und die Deutsch-Russische Bruderschaft als prorussische Organisationen, so eine Sprecherin. Man beobachte diese auch, bearbeite sie aber nicht systematisch. Der Fokus liegt gerade woanders: auf dem Rechtsextremismus und dem Islamismus. Man könne nicht alles mit der gleichen Intensität verfolgen, sagt die Sprecherin.

Der Beschuldigte hat kein Interesse, seine Sicht der Dinge zu schildern

Dimitri Z. lässt nicht einmal seinen Anwalt mit der Presse sprechen. „Unser Mandant hat daran kein Interesse“, heißt es in seiner Anwaltskanzlei im Stuttgarter Westen. Der Beklagte war einfaches Mitglied der Landsmannschaft. Im Impressum der falschen lmdrev.de-Seite taucht er als stellvertretender Vorsitzender einer Ortsgruppe Ludwigsburg auf. Als Vorsitzender ist auf dieser inzwischen gelöschten Seite Alexander S. genannt. Er ist der ehemalige Ortsgruppenvorsteher von Bietigheim-Bissingen/Ludwigsburg der Landsmannschaft. Dieser habe sein Einverständnis bestritten, berichtet Anwalt Diekmann. Dennoch glaubt man in der Landsmannschaft, dass S. verstrickt ist in das Ganze: So wurde auf der Facebook-Seite auch ein Bild geteilt, das den Mann bei einem Treffen unter einem Wolfskopf-Logo zeigt. Alexander S. ist inzwischen bei einer kleinen Aussiedler-Partei namens Die Einheit aktiv. Gegen Dimitri Z. und Alexander S. hat die Landsmannschaft ein Ausschlussverfahren in die Wege geleitet.

Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland beruft sich in dem Verfahren am Montag vor dem Amtsgericht auf ihr Namens- und ihr Persönlichkeitsrecht. Beides sieht sie durch „die Identitätstäuschung“ (O-Ton Anwalt Diekmann) verletzt. Nachdem sie sich vergangenes Jahr an den Provider gewandt hätten, seien die Inhalte aus dem Netz verschwunden, so der Rechtsanwalt. Eine Unterlassungserklärung haben Dimitri Z. und die Zweite Geschäftsführerin des Dienstleistungsunternehmens, auf die die Domain angemeldet war, am 7. August 2015 unterzeichnet. Gegen die Schadensumme haben sie aber Widerspruch eingelegt – sie bestreiten den gesamten Anspruch.

Unmut unter Russlanddeutschen werde ausgenutzt

Ernst Strohmaier ist der stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und die Stimme des Verbands im Land: Zu dem Verfahren lässt er lieber seinen Anwalt sprechen, aber zu den Hintergründen hat er einiges zu sagen. Unter Russlanddeutschen herrsche viel Frust, und genau das werde von russischer Seite ausgenutzt. Es gebe viele Probleme, so Strohmaier, wie Altersarmut oder mangelnde Integration. „Sehr viele Leute“ seien auf der Strecke geblieben, weil Abschlüsse, die im Ausland gemacht wurden, nicht anerkannt worden seien. In die gesellschaftlichen Strukturen oder in die Parteien sei man nicht integriert worden, sagt Strohmaier, der selbst seit Jahren bei der CDU ist. Inzwischen ist die AfD die neue politische Heimat vieler Russlanddeutscher. „Wir sind eine vergessene Gruppe“, sagt der Verbandsvertreter.

In seinem Einflussgebiet in Stuttgart versucht Strohmaier, präventiv zu wirken: Er will auf städtischer Seite für ein größeres Bewusstsein der Probleme der Russlanddeutschen sorgen. Vor wenigen Wochen fand ein Gespräch mit dem Integrationsbeauftragten der Stadt Stuttgart, Gari Pavkovic, statt. „Die Russlanddeutschen meinen, dass sie mit ihren Bedürfnissen, ihren Problemen und ihrem Potenzial nicht wahrgenommen werden“, resümiert Pavkovic. Sie hätten das Gefühl, alles drehe sich um Flüchtlinge und dass sie mit ihren Anliegen unsichtbar seien. Neid kommt noch hinzu, die Willkommenskultur gab es damals noch nicht, als die russlanddeutschen Heimkehrer ankamen. Auch Pavkovic sieht Anzeichen dafür, dass vor allem über soziale Medien versucht werde, gezielt Stimmung unter Russlanddeutschen zu machen und sie gegen die Bundesregierung aufzustacheln. Ende Mai soll in Stuttgart ein Runder Tisch stattfinden, um die Gruppe stärker in den Blick zu nehmen. „Wir sind für alle da“, so Pavkovic.