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Aus Sicht von Verkehrsminister Hermann ist die Zugentgleisung am Stuttgarter Hauptbahnhof wohl auf Bauarbeiten für den Tiefbahnhof zurückzuführen.

Stuttgart - Nach dem wiederholten Entgleisen eines Zuges im Stuttgarter Hauptbahnhof ist eine Debatte über die möglichen Ursachen entbrannt. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hält, wie auch die Experten der „Stuttgart 21“-Gegner, einen Zusammenhang mit den Bauarbeiten zu dem geplanten Tiefbahnhof für denkbar. „Insbesondere der Umstand, dass in kurzem Zeitabstand der gleiche Zug an der selben Stelle entgleist ist, legt die Vermutung nahe, dass es sich nicht um einen Zufall handelt“, erklärte Hermann am Montag.

Auch der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) führt den Unfall auf die Baumaßnahmen im Gleisvorfeld zurück. Die Deutsche Bahn wies diese Annahmen scharf zurück. Die CDU-Fraktion kritisierte Hermanns Äußerungen als unseriös.

Am Samstagvormittag waren im Hauptbahnhof aus ungeklärter Ursache die letzten drei Waggons und die Lok eines Intercitys bei der Ausfahrt aus den Gleisen gesprungen. Acht Passagiere wurden leicht verletzt. Der Zugverkehr wurde daraufhin im Bahnhof für Stunden komplett eingestellt. An derselben Weiche war auf dem betreffenden Gleis bereits Ende Juli ein Intercity entgleist.

Bahn: „Kein Mensch kennt die Ursache“

Die Ermittlungen zur Unfallursache vom Juli sind noch nicht abgeschlossen. Ein Bahnsprecher sagte der Nachrichtenagentur dapd: „Kein Mensch kennt die Ursache der beiden Zugentgleisungen.“ Bevor die Untersuchungen nicht abgeschlossen seien, sei alles Spekulation. „Und daran beteiligen wir uns nicht“, fügte er hinzu. Die Bahn selbst habe großes Interesse daran, die Ursache zu erfahren. Deshalb unterstütze sie die Ermittlungen von Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle und Bundespolizei tatkräftig. Sollten sich daraus notwendige Maßnahmen ergeben, würden diese umgesetzt.

Hermann hatte zuvor gesagt, am Alter der Infrastruktur könne das Problem nicht liegen, weil das gesamte Gleisvorfeld wegen „Stuttgart 21“ umgebaut, verkürzt und erneuert wurde. Er wolle den Untersuchungen zwar nicht vorgreifen. Ihm erscheine es aber plausibel, dass wegen der Verkürzung des Gleisvorfelds zum Teil Radien gewählt wurden, die bei ungünstigen Bedingungen zu solchen Entgleisungen führen könnten, sagte Hermann.

Der VCD-Landesvorsitzende Matthias Lieb hält angesichts von insgesamt fünf Zugentgleisungen und weiterer Pannen seit Beginn der Bauarbeiten für „Stuttgart 21“ die „Zuverlässigkeit und Sicherheit des Bahnverkehrs im Stuttgart Hauptbahnhof derzeit nicht mehr für gewährleistet“. Die Pannenserie der vergangenen Monate lege die Vermutung nahe, dass die Bahn „offenbar kein verantwortlicher Bauherr ist und wegen des Immobilienprojektes 'Stuttgart 21' anscheinend sogar bereit ist, die Sicherheit ihrer Kunden ernsthaft aufs Spiel zu setzen“, sagte Lieb.

Die Bahn wies „die Spekulationen“ des VCD als verantwortungslos zurück. Sicherheit habe bei der Deutschen Bahn oberste Priorität. Jeder Bauzustand werde vom Eisenbahnbundesamt als Aufsichtsbehörde geprüft und abgenommen. Außer den beiden jüngsten Entgleisungen, deren Ursache noch nicht ermittelt worden sei, seien die Unfälle allesamt auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. „Ich kann den Zusammenhang zu den 'Stuttgart 21'-Bauarbeiten nicht sehen“, sagte der Bahnsprecher.

CDU: Hermann will aus Unfall Profit schlagen

Die verkehrspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Nicole Razavi, forderte von der Bahn, den Ursachen auf den Grund zugehen und diese abzustellen. „Solche Unfälle dürfen nicht passieren“, sagte sie der Nachrichtenagentur dapd. „Der technische Sachverstand des Verkehrsministers verblüfft mich aber“, fügte sie hinzu. Hermann behaupte, den Ermittlungen nicht vorgreifen zu wollen, tue aber nichts anders. Diese reflexartige Reaktion sei typisch für Hermann und die „Stuttgart 21“-Gegnern. Sie nutzten jeden Anlass für Kritik am Bahnprojekt. Nun wolle der Minister sogar aus einem Unfall Profit schlagen. „So etwas tut man nicht“, sagte Razavi.

Indes dauern die Einschränkungen im Bahnverkehr weiter an. Mehrere Regionalbahnen und manche Fernzüge fahren bis zum Abschluss der Reparaturen noch immer nur alternative Bahnhöfe im Umkreis von Stuttgart an. Die Reparatur der Gleise und der Oberleitungen werden nach Einschätzung der Bahn voraussichtlich mehrere Tage dauern. Reisende müssen sich somit auf anhaltende Behinderungen einstellen.

Am Montag waren weiterhin 11 der 16 Gleise am Hauptbahnhof befahrbar. Zudem wurde ein Teil des Unglückszuges weggefahren. Auch die entgleisten Wagen konnten bis zum Sonntagabend wieder auf die Schienen gestellt werden. 

Aktuelle Informationen zu den Störungen im Schienenverkehr gibt es auf der Homepage der Bahn.