Ihre Botschaften sind unmissverständlich: Syrische Flüchtlingskinder vor ihrer Notunterkunft in der Turnhalle der Raichberg-Realschule im Stuttgarter OstenFoto: Lichtgut/Jan Potente Foto:  

Weil sie die Situation in ihrer Turnhallenunterkunft im Stuttgarter Osten nicht mehr länger ertragen können, sind 100 syrische Flüchtlinge in einen Hungerstreik getreten. Doch ein Ausweg naht.

Stuttgart - „Bringt uns hier weg“, „Wir leiden hier“, „Behandelt uns als Menschen“ – solche und weitere Botschaften haben die Bewohner der Turnhalle der Raichberg-Realschule im Stuttgarter Osten auf Zettel geschrieben und diese an die gläserne Eingangsfront ihrer Notunterkunft geklebt. Die 100 syrischen Flüchtlinge wissen sich nicht mehr anders zu helfen. Vor gut drei Monaten sind sie über die Landeserstaufnahmestellen Ellwangen oder Meßstetten hierhergekommen. Anfangs haben sie die beengten Verhältnisse in der Turnhalle klaglos hingenommen. Weil sie dachten, es ist nur eine weitere kurze Zwischenstation. Doch besser geworden ist seither nichts. Im Gegenteil.

Krankheitsfälle sind zuletzt immer häufiger geworden. Die Flüchtlinge machen mangelnde hygienische Bedingungen und das angelieferte Essen dafür verantwortlich. „Es gibt keine Seife, häufig auch kein Toilettenpapier, weil nur alle zehn Tage aufgefüllt wird“, klagt eine Frau. „Unsere Kinder müssen sich vom Essen übergeben, sind alle krank. Es ist auch viel zu kalt“, sagt ein Vater. Viele der mehr als 50 Kinder und Jugendlichen hätten schon ein Krankenhaus oder einen Notarzt aufsuchen müssen. Medikamente und Schmerzmittel hätten sie aus eigener Tasche bezahlen müssen, sagen die Syrer. Ihre Versuche, mal mit einem Verantwortlichen über die Missstände zu sprechen, seien allesamt fehlgeschlagen. In der Unterkunft sehen sie Diensthabende eines Sicherheitsdienstes, aber keinen Sozialarbeiter.

Jetzt haben die Flüchtlinge genug. „Wir werden das Essen ab sofort verweigern, bis endlich mal ein Zuständiger herkommt und mit uns spricht“, kündigte Alrzek Alabd Alazawy im Namen der Gemeinschaft am Dienstag einen Hungerstreik an. Sorgen machen sie sich auch um fehlende Dokumente. Alazawy holt ein Papier aus der Tasche. Darauf steht, dass seine Aufenthaltsgestattung am 23. Januar 2016 endete.

Von gesundheitlichen Problemen der Flüchtlingen weiß das Gesundheitsamt nichts

Beim Gesundheitsamt heißt es am Dienstagnachmittag, von größeren gesundheitlichen Problemen im Osten wisse man nichts. „Wir werden das in enger Abstimmung mit den zuständigen Ämtern am Mittwoch klären“, sagt Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Wenn Flüchtlinge krank seien, bekämen sie vom Sozialarbeiter einen Krankenschein, mit dem sie zum Arzt könnten. „Falls ansteckende Erkrankungen auftreten, werden wir im Normalfall sofort informiert.“

Spatz hat aber eine Nachricht parat, die seiner Einschätzung nach den Hungerstreik schnell beenden könnte. „Die Menschen aus der Halle im Osten dürfen am 22. Februar in Systembauten und Wohnungen umziehen. Diese Perspektive wird den Druck rausnehmen“, sagt er. Man könne den für später geplanten Umzug „mit verstärktem Einsatz“ vorziehen. Die Neuigkeit sollte noch am Dienstagabend in der Halle verkündet werden. Falls es dennoch weiterhin zu Hungerstreiks komme, müsse man vor allem darauf achten, „dass zumindest die Kinder normal essen“.

Nicht der erste Hungerstreik unter Flüchtlingen

Es ist nicht das erste Mal, dass Flüchtlinge in Stuttgart in Hungerstreik treten. Im Dezember hatten Bewohner der Turnhalle in Obertürkheim auf diese Weise auf sich aufmerksam gemacht. Damals ging es aber um etwas anderes: Viele von ihnen hatten monatelang auf ihren Termin gewartet, an dem sie in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe ihren Asylantrag stellen können. Doch die meisten wurden unverrichteter Dinge wieder zurückgeschickt, weil zu viele Termine vergeben werden. Nach den Protesten über die Situation, für die die Stadt nichts kann, sagte das Regierungspräsidium zu, dass die Flüchtlinge aus Obertürkheim ihren Antrag künftig in Ellwangen stellen dürfen. Daraufhin beruhigte sich die Lage wieder.

Schon beim Einzug in die Turnhallen im vergangenen Herbst hatte sich angedeutet, dass die Lage sich rasch zuspitzen könnte. Oberbürgermeister Fritz Kuhn war bei seinem Antrittsbesuch in Weilimdorf von Flüchtlingen umringt und inständig darum gebeten worden, die Unterbringung von so vielen Menschen auf engem Raum zu beenden. Die Stadt hat derzeit allerdings keine Alternative. „Hallen sind immer eine schwierige Interimslösung“, weiß Spatz. Doch darauf zu verzichten sei nicht möglich.

Dementsprechend wird auch die Halle im Osten nach Auszug der jetzigen Bewohner und einer gründlichen Reinigung neu belegt. Die nächsten Flüchtlinge werden wohl bereits wenige Tage später einziehen.