Foto: Benjamin Schieler

Biogasanlagen-Exporteur für Nepal, Fair-Trade-Pionier, Weltladen-Gründer, Bezirksbeirat – Horst-Henning Grotheer ist ein Mann der vielfältigen Aufgaben. Kürzlich ist er 70 geworden.

Degerloch - Biogasanlagen-Exporteur für Nepal, Fair-Trade-Pionier, Weltladen-Gründer, Bezirksbeirat – Horst-Henning Grotheer ist ein Mann der vielfältigen Aufgaben. Daran ändert auch ein nicht operabler gutartiger Gehirntumor nichts. In der vergangenen Woche ist Grotheer 70 geworden. Zu Besuch bei einem Degerlocher, der vieles hinter sich und noch einiges vor hat.

Ein rauschendes Fest zum runden Geburtstag, mit großem Spektakel und vielen Gästen? Nein, das entspricht nicht Horst-Henning Grotheers Natur. Er feierte privat, ging mit seiner Frau Elke, seinen Schwestern und Schwagern ins Wortkino, Sebastian Blau anhören. Geschenke gab es trotzdem, zum Beispiel ein Buch: Norbert Hoersters „Was ist eine gerechte Gesellschaft?“.

Er setzt sich für eine punktuell größere Gerechtigkeit ein

Die Frage ist für Grotheer wie ein Leitmotiv für das, was er in der Vergangenheit angestoßen hat und was ihn zu einer bitteren Wahrheit führte. „Gerechtigkeit ist eine Utopie, der wir hinterherrennen, wohl wissend, sie nicht zu erreichen“, sagt er. Richtig gerecht werde die Gesellschaft wegen fortlaufender Ungleichheiten nie, was nichts daran ändert, dass er weiterhin bemüht ist, „eine punktuell größere Gerechtigkeit zu erstreben“.

Das spiegelt sich in den Projekten wider, in denen Grotheer häufig eine federführende Rolle hat. In Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation Ingenieure ohne Grenzen und der Hohenheimer Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie will Grotheer Kleinbiogasanlagen nach Nepal exportieren und das nötige Wissen zur richtigen Gärung vermitteln. Mit seinen Mitstreitern im Verein Degerloch fair macht er Degerlocher Händlern und Konsumenten fair gehandelte Produkte schmackhaft, nicht nur in dem im Jahr 2006 eröffneten Weltladen. Und die Zertifizierung als Fairtrade-Stadt im Herbst 2013 hat Stuttgart auch Horst-Henning Grotheer zu verdanken, weil Degerloch den Prozess zwei Jahre zuvor in Gang gebracht hatte.

Grotheer gehörte einst einer schlagenden Verbindung an

Mit seinem Stadtbezirk ist der gebürtige Bad Cannstatter seit 1977 tief verbunden. Damals war Grotheer noch SPD-Mitglied – und hatte vom politischen Spektrum schon einiges gesehen. Als Student gehörte der Physikochemiker einer schlagenden Verbindung an; seine zukünftige Frau entlarvte deren rechte Gedanken durch gleichsam neugierige wie kluge Fragen. „Als ich sie kennenlernte, wurde mir die Absurdität dieser Gesinnung bewusst.“ Grotheer ging zur Jungen Union, ertrug aber die Parolen gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt nicht und wechselte die Seiten.

Im SPD-internen Konflikt um die Nachrüstung und die Atomkraft zwischen Kanzler Helmut Schmidt und dem 1974 zurückgetretenen Entwicklungsminister Erhard Eppler stand Grotheer auf Epplers Seite. Daheim kämpfte er gegen die Bebauung der Streuobstwiesen im Gebiet Sternhäule, die sozialdemokratischen Bürgermeister Gerhard Lang und Hansmartin Bruckmann setzten sie trotzdem durch.

2016 möchte Grotheer in ein Mehrgenerationenhaus ziehen

Es ist kein Groll zurückgeblieben, aber als die Grünen Anfang der 80er-Jahre aufs politische Parkett traten, schloss sich Grotheer ihnen an. Auch dort gab es naturgemäß Konflikte; der Partei blieb er trotzdem treu und wird es weiter tun, selbst wenn er nach der Kommunalwahl Ende Mai nicht mehr im Degerlocher Bezirksbeirat vertreten sein sollte.

Im Jahr 2016 möchte Horst-Henning Grotheer in ein neues Mehrgenerationenhaus in Leonberg ziehen, samt Sohn Olaf und einjährigem Enkel. Nichts soll ihn auf dem Weg zu diesem neuen Lebensabschnitt aufhalten, auch der Tumor nicht, den die Ärzte kurz vor Weihnachten in seinem Gehirn entdeckten – an einer Stelle, die keine Operation zulässt. Eine Lebensgefahr besteht nicht. „Er benimmt sich gut“, sagt Grotheer. Dennoch: Der Einschnitt war gewaltig. „Du überlegst dir erst richtig, was dir die Zeit wert ist.“