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Israels Präsident Schimon Peres hat im deutschen Bundestag eine bewegende Rede gehalten.

Berlin (dpa) - Israels Präsident Schimon Peres hat am Holocaust-Gedenktag verlangt, noch lebende Nazi-Schergen vor Gericht zu bringen. «Ich bitte Sie, tun Sie alles, um diesen Verbrechern ihre gerechte Strafe zu erteilen.»

Das sagte der Friedensnobelpreisträger am Mittwoch in einer bewegenden, sehr persönlich gehaltenen Rede bei der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus.65 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz sagte Peres, die bedeutendste aller Lehren aus dem Holocaust sei für ihn: «Nie wieder. Nie wieder eine Rassenlehre. Nie wieder ein Gefühl von Überlegenheit.» Wegen des iranischen Atomprogramms verlangte er eine international geschlossene Front gegen die dortigen Machthaber.

Der polnische Historiker Feliks Tych forderte bei der Gedenkfeier eine Aufarbeitung der «Komplizenschaft» der einheimischen Bevölkerung in vielen europäischen Ländern beim Massenmord an den Juden, den die Nationalsozialisten organisiert hatten.

Obama: Widerstand gegen Antisemitismus

US-Präsident Barack Obama rief am Holocaust-Gedenktag zum Widerstand gegen Antisemitismus und Ignoranz auf. In einer Videobotschaft an die Teilnehmer des Internationalen Holocaust-Forums in Krakau sagte er laut Polnischer Presse-Agentur PAP, die Menschen dürften niemals «die Rolle des passiven Zeugen des Bösen» akzeptieren. Papst Benedikt XVI. sagte in Rom, der Holocaust zeige die Notwendigkeit des absoluten Respekts vor Menschenwürde und Menschenleben.

Außer in Berlin erinnerten Menschen in Deutschland bei zahlreichen weiteren Gedenkstunden und Gottesdiensten an die Nazi-Gräuel, warnten vor Vergessen und riefen zum Kampf gegen Antisemitismus auf. Im polnischen Oswiecim berieten Regierungsvertreter aus 35 Staaten am Tag der Befreiung des KZs Auschwitz über Konzepte für den Holocaust-Unterricht angesichts von immer weniger lebenden Zeitzeugen. Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, forderte, dem «braunen Gedankengut» auch heute entschieden entgegenzutreten.

In Auschwitz und im benachbarten Vernichtungslager Birkenau ermordeten die Nationalsozialisten mehr als 1,1 Millionen Menschen. Die meisten Opfer waren europäische Juden. Der 27. Januar wird seit 1996 auch in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen.

Peres: "Die Jugend muss sich erinnern"

Der 86-jährige Peres sagte in Berlin, die Zahl der Holocaust-Überlebenden nehme täglich ab. «Und gleichzeitig leben auf deutschem Boden, in Europa und anderswo auf der Welt noch immer Menschen, die damals dieses schrecklichste Ziel verfolgten: den Völkermord.» Bei der Forderung nach Strafverfolgung gehe es nicht um Rache. «Es geht um Erziehung», sagte Peres vor allem mit Blick auf die junge Generation. «Die Jugend muss sich erinnern, darf nicht vergessen und muss wissen, was geschehen ist.»

Im Atomstreit mit dem Iran sagte Peres, das dortige Regime sei «eine Gefahr für die Welt». Eine Lehre aus dem millionenfachen Mord der Nazis an den Juden müsse sein: «Nie wieder dürfen blutrünstige Diktatoren ignoriert werden, die sich hinter demagogischen Masken verbergen und mörderische Parolen von sich geben.»

Peres war der erste israelische Präsident, der am Holocaust-Gedenktag im Bundestag sprach. Unter den sechs Millionen Juden, die dem Völkermord der Nationalsozialisten zum Opfer fielen, waren auch seine Großeltern und weitere Verwandte.

Lammert sichert Israel Unterstützung zu

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sicherte Israel Unterstützung zu: «Wir Deutschen tragen eine Mitverantwortung für den Staat Israel.» Wo dessen Existenzrecht und dessen Sicherheit bedroht sei, «gibt es für uns Deutsche keine Neutralität». Mit Blick auf das Atomprogramm des Iran sagte er, «die Weltgemeinschaft darf eine solche Bedrohung nicht dulden».

Tych, der zwischen 1995 und 2007 Direktor des Jüdischen Historischen Instituts Warschau war, sprach von einer «europäischen Komplizenschaft beim deutschen Staatsverbrechen» der Nazis. Es sei längst kein Geheimnis mehr, dass fast in jedem europäischen Land, in dem die Nazis ihr Projekt zur Ausrottung der Juden verwirklichten, ein Teil der einheimischen Bevölkerung als Täter, «den Tätern geneigte Zuschauer» oder als Profiteure in den Völkermord verwickelt gewesen seien.

«In ihrer Dimension sind diese Vorfälle selbstverständlich nicht mit der sogenannten Endlösung der Judenfrage zu vergleichen», betonte Tych. Doch der Holocaust habe «in Teilen der Bevölkerung die niedrigsten Instinkte freigesetzt und sie in der Überzeugung bestärkt, dass man Juden immer ungestraft ermorden könne». Tych hatte als kleiner Junge mit falschen Papieren in Warschau den Holocaust überlebt.