Im Hinterzimmer der Blumeninsel erzählte das Trio musikalisch die Geschichte einer Frau, die ihre Blumen gießt Foto: Saskia Drechsel

Beim ersten „En courant – Kiezklang“-Festival musizierten und performten an die 30 Künstler und Anwohner an ungewöhnlichen Orten.

S-West - Die Klänge sind von überall her gekommen. Ob von der nächsten Straßenecke, aus dem Blumenladen oder vor der Kirche – im Gebiet rund um den Hölderlinplatz gibt es viele Plätze zu entdecken. Die Veranstaltung mit dem Titel „En courant – Kiezklang“ hat am Samstag ihre Premiere in Stuttgart gefeiert. Rund dreißig Künstler und Musiker bespielten die Gegend um den Hölderlinplatz und begeisterten viele Besucher.

Linien in Bewegung

Man musste nicht lange suchen, ehe man auf die ersten Künstler traf. Verschlungene Linien aus Jeansstoff, Watte und Kresse lagen auf dem Boden und führten direkt in die Blumeninsel. Schüler des Hölderlingymnasiums, alle mit der Vertiefung Kunst, hatten sich über das Gebiet verteilt. Ihr Thema war „Linien im Raum“ und so fanden sich verbogene Kleiderbügel, die einen Laufsteg auf den Boden zeichneten, oder eben Kresse als Bodenschmuck. „Wir wollen den ganzen Tag über die Linien verändern und eine Bewegung erzeugen, die Leute sollen mit den Linien interagieren“, sagte Antonie Kemper, als sie gemeinsam mit Mascha Laenger die letzten Kressestreifen zurecht rückte. Einen Blick in das Hinterzimmer des Blumenladens zu erhaschen, war aber nicht einfach, die Zuhörer drängten sich vor der Tür. Drinnen traten Olaf Pyras am Schlagzeug, Stefan Hülsermann mit der Klarinette und die Violinenspielerin Rike Kohlhepp auf. Das Trio füllte den kleinen Raum mit der musikalisch untermalten Geschichte einer Frau, die ihre Blumen gießt. „Mich interessieren die Übergänge von Musik und Alltagssituationen. Speziell die Klänge von Ortsteilen. Wir wollen die Wahrnehmung eines Ortes verändern“, sagte Pyras.

Privates und Öffentliches

Bei der Russisch-Orthodoxen Kirche ertönten aus dem Nirgendwo Klänge, mal lauter, mal leiser, manchmal kaum zu hören beim Lärm der Stadtbahn. Nicht aus dem Inneren, sondern aus Lautsprechern klangen die Audio-Installationen von Martin Stortz. Bunte Fahnen schmückten die Kirche. Die Textil-Installationen stammten von der Malerin Florina Leinß. „Die Fahnen nehmen auf, was in der Kirche zu sehen ist, die Musik verbindet Klänge des Gottesdienstes mit Alltagsklängen. Die Kirche ist für die meisten hier ein abgeschlossener Ort. Wir wollten das Innere nach Außen übersetzen und Privates und Öffentliches verweben.“, sagte Leinß.

An einer Straßenecke hatte Neus Estarellas auf einem Stuhl Platz genommen. Vor der Musikerin standen ein Metalltisch und ein Wasserglas. Mit einem Messer schlug sie rhythmisch gegen das Glas, summte eine Melodie und murmelte leise vor sich hin. Zu hören waren Stücke des französischen Komponisten François Sarhan. Estarellas: „Ich setze Alltagsstücke in Klang um und erzeuge Musik, die Stücke drehen sich um aktuelle Themen, etwa die Finanzkrise.“

Gebannt hörte auch Martin Stortz vom Stuttgarter Kollektiv für aktuelle Musik (SKAM) zu. Der Künstler ist mit Demian Bern vom Interventionsraum e.V. einer der Initiatoren von Kiezklang und freut sich über den Erfolg. „Das Interesse der Läden am Hölderlinplatz war groß, viele finden die Veranstaltung wichtig für das Viertel und die Künstler haben sich begeistert gemeldet“, sagte Stortz. Er sieht die Tendenz, dass sich der Kunstbetrieb wieder ent-eventisiert und keine Großveranstaltungen gefragt sind. Den Künstlern sei weniger die Masse an Zuschauern wichtig gewesen, „sie wollen für die Menschen spielen und ihr Ding machen, Darbietungen an ungewöhnlichen Orten zeigen und Konventionen durchbrechen.“